Deutschlands wilde Wölfe

Sie sind wieder da: Wildlebende Wölfe in Deutschland. Über einen Zeitraum von acht Jahren, porträtierte der Biologe und Fotograf Axel Gomille die scheuen Tiere. Im Interview erzählt er von den Herausforderungen und Freuden dieses Projekts.

Von Merlin Gröber
bilder von Axel Gomille
Foto von Axel Gomille

Der Naturfotograf Axel Gomille hat über einen Zeitraum von acht Jahren wildlebende Wölfe in Deutschland fotografiert. In seinem neuen Buch „Deutschlands wilde Wölfe“ zeigt er die besten Aufnahmen und erklärt, warum die Angst vor Wölfen unbegründet ist.

Für Ihr neues Buch „Deutschlands wilde Wölfe“, haben Sie ausschließlich in Deutschland lebende Wölfe fotografiert. Warum?
Wölfe faszinierten mich schon immer. Seit den ersten Berichten über Wölfe in Deutschland um die Jahrtausendwende war ich Feuer und Flamme. Für das ZDF habe ich mehrere Filme über die Rückkehr der Wölfe gedreht und kam dadurch mit Wolfsforschern in Kontakt. Das Thema hatte mich so gepackt, dass ich nach den Dreharbeiten begann, die Wölfe auch zu fotografieren. Erst dachte ich, das Material würde nur für einen Zeitschriftenartikel reichen. Doch ich hatte Glück und mir gelangen viele gute Aufnahmen. Außerdem merkte ich, wie sehr das Thema die Menschen bewegt. Da beschloss ich, ein Buch über „Deutschlands Wilde Wölfe“ in Angriff zu nehmen.

Acht Jahre für ein Buch über Wölfe. Warum so lange?
Wölfe zu fotografieren, ist schwierig und braucht Zeit. Ich wollte nur authentische Aufnahmen wild lebender Wölfe in Deutschland zeigen – keine Fotos aus Gehegen. Natürlich arbeitete ich in dieser Zeit auch an anderen Projekten. Ich hatte das große Privileg, wild lebende Tiger, Lippenbären, Löwen oder Schneeleoparden zu fotografieren. Trotzdem gehören die Wölfe in Deutschland zu den spannendsten Themen, mit denen ich mich bisher beschäftigt habe. Man ist einfach näher dran, denn die Tiere leben ja gewissermaßen vor unserer Haustüre.

Wo entstanden Ihre Bilder?
Für die Aufnahmen war ich vor allem auf den militärischen Truppenübungsplätzen Oberlausitz und Altengrabow unterwegs, beides entlegene Gebiete in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Gegenden sind abgeschottet und meist ruhig. Nur mit einer Sondergenehmigung darf man sie betreten. Es war etwas ganz Besonderes, dort zu arbeiten. Ich fotografierte aber auch Wölfe außerhalb militärischer Zonen, in normalen Kulturlandschaften. In den Sperrgebieten war ich jedoch erfolgreicher.

Der Truppenübungsplatz Oberlausitz ist 163 Quadratkilometer groß, Altengrabow immerhin 90. Wie haben Sie die Wölfe in so einem großen Gebiet gefunden?
Auf den Truppenübungsplätzen gibt es breite Brandschutzstreifen aus Sand. Nach einem Regen sind sie mit Tierspuren übersät. Anhand frischer Wolfsspuren konnte ich dann ablesen, wo die Tiere besonders aktiv waren. Ich legte mich an den Brandschutzstreifen und anderen freien Flächen auf die Lauer, bis die Wölfe aus dem Wald kamen. Manchmal entdeckte ich anhand der Spuren sogenannte Rendezvous-Plätze. An diesen Orten treffen sich die Tiere und füttern ihre Jungen. Mit etwas Glück trifft man dort auch tagsüber auf Wölfe. Eine Garantie gibt es aber nicht. Manchmal sah ich jeden Tag Wölfe, dann wieder passierte wochenlang nichts.

Auf welche Schwierigkeiten stießen Sie?
Wölfe sind vor allem dämmerungs- und nachtaktiv – eine Herausforderung für Fotografen. Der Mangel an Licht und die Bewegung der Tiere erschweren gute Aufnahmen. Ich hatte aber leistungsstarke Objektive und sehr gute Kameras. Vor zehn Jahren hätte ich das Projekt nicht in dieser Form realisieren können. Seitdem haben sich die technischen Möglichkeiten der Ausrüstung aber deutlich verbessert. Es war hilfreich, dass ich vor allem im Sommer unterwegs war. Zum einen sind die Tage länger, man hat also mehr Zeit zum Fotografieren. Ab viertel vor fünf wird es bereits hell. Aufgrund der kurzen Nächte sind die Wölfe oft noch lange nach der Morgendämmerung aktiv. Der Vorteil im Sommer ist auch, dass die Wölfe durch ihre Jungen an einen Ort gebunden sind. Die Kleinen sind einfach noch nicht so mobil. Das erhöht die Chance, überhaupt ein Tier vor die Linse zu bekommen.

Was war Ihr schönster Moment mit den Wölfen?
Oh, da gab es viele. Etwas Besonderes war die Begegnung mit einem neugierigen Wolf. Beim Fotografieren trug ich oft einen Tarnanzug. Die Dinger sehen zwar albern aus, sind aber sehr hilfreich, da man mit der Umgebung verschmilzt. Ich saß also mit dem Tarnanzug hinter einem Busch, die Kamera bereit. Plötzlich tauchte ein Wolf auf, keine 50 Meter entfernt. Er lief direkt auf mich zu. Bis auf rund 20 Meter näherte er sich. Ich war sehr aufgeregt und traute mich kaum, den Auslöser zu drücken, weil ich befürchtete, den Wolf zu verscheuchen. Doch der Wolf blieb stehen und schaute mich direkt an. Dann entfernte er sich wieder langsam, und ich konnte ihn noch eine ganze Weile beobachten. Ich glaube nicht, dass er mich als Mensch erkannte.

Hatten Sie in dem Moment keine Angst?
Im Gegenteil, ich war sehr froh, diesen Moment erleben zu dürfen. Durch meine jahrelange Erfahrung mit wildlebenden Wölfen weiß ich, wie schwer es ist, die Tiere zu sehen und ihnen nahe zu kommen. Vor den Wölfen hatte ich nie Angst. Um zu meinen Ansitzen zu kommen, war ich auch in der Dunkelheit unterwegs. Auch da gab es keinerlei brenzlige Situationen. Auf den Truppenübungsplätzen habe ich aber immer darauf geachtet, dem Militär nicht in die Quere zu kommen. Es gab genaue Absprachen mit den jeweiligen Kommandanturen.

Der Wolf breitet sich in Deutschland weiter aus, was viele argwöhnisch beobachten. Woher kommt die Angst vor dem Wolf?
Den meisten Menschen fehlt die Erfahrung mit Wölfen. Seit mehreren Generationen kennen die Deutschen den Wolf vor allem aus Märchen und Erzählungen. Dort frisst er Rotkäppchen, dessen Großmutter, und die sieben Geißlein. Seither ist sein Ruf ruiniert. Der „böse Wolf“ gehört gewissermaßen zum deutschen Kulturgut. Früher konnte der Wolf durchaus existenzbedrohend sein, weil er Haustiere gefressen hat. Viele Menschen waren jedoch auf ihre wenigen Nutztiere zum Überleben angewiesen. Das ist heute kaum noch so. Die meisten Ängste, die dem Wolf entgegengebracht werden, sind irrational.

Ist es also unbegründet, sich vor dem Wolf zu fürchten?
In Deutschland bin ich mehr als 200 Mal wild lebenden Wölfen begegnet. Meine Erfahrung ist, dass die Tiere immer versuchen, dem Menschen aus dem Weg zu gehen. Das gelingt ihnen sehr gut, denn sie haben bessere Sinne als wir. Ich habe keine einzige gefährliche Situation erlebt. Und ich bin mehreren Wölfen allein zu Fuß begegnet. Man sollte aber unbedingt vermeiden, Wölfe an Menschen zu gewöhnen, indem man sie beispielsweise anfüttert. Wenn Wölfe Menschen mit Futter in Verbindung bringen, könnte es kritisch werden. Gesunde Wölfe mit normalem Verhalten sind für Menschen aber ungefährlich.

Manche möchten den Wolf trotzdem nicht als neuen Nachbarn, zum Beispiel Schäfer.
Das ist nachvollziehbar, denn der Wolf macht das Leben für Schäfer unbequemer. Wölfe greifen ungeschützte Nutztiere an, wenn sie dazu die Gelegenheit bekommen. So ein Schaf ist wesentlich einfacher zu erbeuten, als ein erwachsener Hirsch oder ein großes Wildschwein. Deswegen dürfen wir Schäfer nicht alleine lassen. Professionelle Schafhalter können Mittel zum Schutz ihrer Tiere beantragen. Je nach Bundesland gibt es verschiedene Zuschüsse für Zäune und Herdenschutzhunde. Bei Hobby-Schäfern sieht die Situation meist anders aus. Für sie sind Förderungen oft schwieriger oder Schutzmaßnahmen zu aufwändig.

Brauchen wir den Wolf überhaupt?
Die Rechtslage ist klar. Wölfe sind bei uns streng geschützt, sie gehören noch immer zu den seltensten Säugetieren Deutschlands. Kürzlich hat das Bundesamt für Naturschutz die neuen Zahlen zum Wolfsbestand veröffentlicht. In Deutschland leben 46 Rudel, 15 Wolfspaare und einige sesshafte Einzelwölfe. Ihnen stehen mehrere Millionen wildlebender Huftiere wie Rehe, Hirsche und Wildschweine gegenüber. Die Wölfe können also nicht einmal annähernd das Wild in Deutschlands Wäldern regulieren. Wölfe sind wichtig, da sie auch kranke und alte Tiere erlegen. Damit tragen sie besser als jeder menschliche Jäger zu einem gesünderen Wildbestand bei. Für mich hat die Rückkehr der Wölfe auch eine ungeheuer Symbolkraft. Wir können nicht von anderen Ländern erwarten, dass sie bedrohte Tiger, Löwen oder Elefanten schützen, wenn wir uns nicht selbst um eine Koexistenz von Menschen und Wildtieren bemühen.

 

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