Eine Frau kämpft für die Anerkennung und die Geschichte amerikanischer Veteraninnen

Dreißig Jahre, nachdem sie ohne Waffentraining nach Vietnam geschickt wurde, begann Wilma Vaught damit, die Geschichten von Frauen im Militär zu sammeln.

Von Nina Strochlic
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:34 MEZ
Gemälde in der Gedenkstätte Women in Military Service for America Memorial. Majorin Wilma Vaught kämpft für die Anerkennung der Leistungen anderer weiblicher Veteranen.
Foto von Lindsay Benson und Cosima Amelang

Majorin Wilma Vaught kam mitten im Vietnamkrieg nach Saigon. Es war Oktober 1968 und die 38-jährige sollte sich dort um die Bilanzprüfung und Kosteneinsparungen kümmern. Die U.S. Air Force brachte sie in einem Hotel unter, das nur drei Blocks vom Präsidentenpalast entfernt war. Das Zimmer hatte vorher eine Geheimdienst-Offizierin bewohnt, die ihr eine AK-47 und eine Handfeuerwaffe versteckt in einer Schreibtischschublade hinterließ.

Obwohl Präsident Lyndon Johnson im Jahr zuvor dafür gesorgt hatte, dass Frauen auch den Rang des Generals und Admirals erreichen können, durften sie trotzdem noch immer nicht an der Waffe ausgebildet werden. Vaughts einzige Erfahrung mit Feuerwaffen vor ihrer Stationierung in Vietnam war eine Lehrstunde mit ihrem Schwager. Als sie sich auf das Ende ihrer Zeit in Vietnam vorbereitete, fragte sie den Verantwortlichen für die Waffenaushändigung, ob sie zwei Waffen abgeben könne, die ihr nie ausgehändigt wurden. Dann gab sie ihm die zwei nicht genehmigten Waffen und ging.

Frauen haben seit der Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, wo sie als Krankenschwestern dienten, ihren Weg auf Schlachtfelder gefunden. Im amerikanischen Bürgerkrieg kämpften ungefähr 400 Frauen, die sich als Männer verkleidet hatten. Im Ersten Weltkrieg traten etwa 20.000 Frauen dem U.S. Army Nurse Corps bei und 400.000 Frauen dienten im Zweiten Weltkrieg. Aber die amerikanischen Militärfrauen wurden bis zu den 1970ern nicht an der Waffe ausgebildet. 2015 verkündete das Pentagon schließlich, dass die 200.000 im aktiven Dienst befindlichen Frauen endlich auch im Gefecht eingesetzt werden konnten. In diesem Jahr schlossen sich die ersten weiblichen Marine-Infanteristen einem Bataillon an.

Als die Brigadegenerälin Vaught sich 1985 zur Ruhe setzte, war sie eine der höchstdekorierten Frauen in der Militärgeschichte der USA. Aktuell ist sie 87 Jahre alt und hat die letzten 30 Jahre damit verbracht, für die Anerkennung der Leistungen anderer weiblicher Veteranen zu kämpfen. Ein Großteil ihrer Geschichte wird in einem generischen Bürogebäude in Arlington, Virginia aufbewahrt.

Dort steht ein großer Schrank mit 6.000 Gegenständen aus Sammlungen von Militärfrauen und ihren Familien. Britta Granrud zieht ein Hochzeitskleid aus dem Schrank, das aus Fallschirmseide gefertigt wurde. Es gehörte einer Armeekrankenschwester aus dem Zweiten Weltkrieg, die 1945 einen Piloten im Notre Dame in Paris geheiratet hat. Granrud ist die Kuratorin der Organisation, die von Vaught angeführt wird, dem Women in Military Service for America Memorial. Die Gedenkstätte befindet sich am Rand des Nationalfriedhofs von Arlington. Obwohl es noch andere Gedenkstätten für Frauen aus ganz bestimmten Militärkonflikten gibt, ist die in Arlington aktuell die einzige für amerikanische Militärfrauen auf der ganzen Welt.

Die Gedenkstätte gibt es schon seit 20 Jahren. 2010 stellte der Kongress die Finanzierung ein, seitdem wird sie nur durch private Spenden betrieben.
Foto von Lindsay Benson und Cosima Amelang

In diesem Jahr, da die Gedenkstätte ihren 20. Geburtstag feiert, gibt es noch mehr Probleme, die überwunden werden müssen. Jene, die sich für Frauen im Militärdienst engagieren, beobachten das Geschehen im Weißen Haus mit Nervosität. Dort haben sich sowohl der Präsident als auch der Vizepräsident zuvor skeptisch über die Rolle von Frauen im Militär geäußert. Man befürchtet eine politische Kehrtwende. Auch die Finanzierung stellt eine Hürde dar. 2010 verlor die Gedenkstätte ihre finanziellen Zuschüsse vom Kongress und wird nun durch private Spenden betrieben. Die Kosten belaufen sich jedes Jahr auf 2,5 Millionen Dollar. Letztes Jahr startete eine Crowdsourcing-Spendensammlung, die Geld sammelte, um die Gedenkstätte offen zu halten.

Im Büro in Arlington ist die Sammlung des Women‘s Memorial ein Spaziergang durch die Geschichte. Kleiderständer voller Uniformen – manche komplett mit vom Militär ausgegebener Unterwäsche – reichen zurück bis zu den unpraktischen Jacken der ersten weiblichen Abschlussklasse von West Point.

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    Die Gedenkstätte stellt auch ehemalige Uniformen von Frauen im Militärdienst aus.
    Foto von Lindsay Benson und Cosima Amelang

    Dann gibt es da noch die langen schwarzen Lederstiefel, die bis zu den Oberschenkeln reichen. Diese sollten die Beine der Frauen vor Mückenstichen schützen, als sie noch keine Hosen tragen durften. Zwischen den Kleidern hängt auch der Mantel einer Krankenschwester, die im Ersten Weltkrieg in einer Reinigungsstation für Verletzte von der Front gearbeitet hatte. Es gibt von der Armee gestellte Brillen, die mit rotem Nagellack lackiert wurden. Diese wurden von der einzigen afro-amerikanischen Fraueneinheit des Women‘s Army Corps getragen, die im Zweiten Weltkrieg in Übersee stationiert war. Sie sortierten dort Briefe unter dem Motto „Keine Post, schlechte Moral“.

    Nur wenige Gegenstände repräsentieren die benachteiligte Behandlung verpflichteter Frauen so gut wie die Uniformen, die von den 1.043 Pilotinnen im zweiten Weltkrieg getragen wurden. Die sogenannten WASPs (Women Airforce Service Pilots) erhielten nie irgendwelche militärischen Vergünstigungen. Die Familien der 38 Frauen, die im Zweiten Weltkrieg gefallen waren, mussten dafür bezahlen, ihre Überreste wieder nach Hause überstellen zu lassen. Erst 1977 wurde ein Gesetz verabschiedet, das überlebende WASPs als Veteraninnen anerkannte, die ein Recht auf militärische Vergünstigungen haben. 2016 wurde eine WASP-Veteranin schließlich in Arlington beerdigt.

    Solche Diskriminierungen konnten Vaught aber nicht abschrecken. Als Kind mochte sie es nicht, auf der Farm ihrer Familie in Illinois Hausarbeiten zu verrichten. Also sagte sie zu ihrem Vater: „Wenn ich erwachsen bin, will ich ein Mann sein.“ Stattdessen ebnete sie den Weg für Frauen zum gleichberechtigten Militärdienst. „Bei jeder großen Aufgabe, die mir zugewiesen wurde, war ich die erste Frau, die den entsprechenden Job je hatte“, sagt Vaught. Ihre Stationierung wurde unweigerlich mit Versetzungsgesuchen beantwortet.

    Zwei Jahre nach ihrer Pensionierung wurde sie gebeten, dem Vorstand des Women‘s Memorial beizutreten, und wurde kurz darauf zur Präsidentin gewählt.

    „Niemand hat sich da wirklich mit der Bewahrung der Geschichte befasst“, erinnert sie sich. „Dokumente wurden vernichtet.“

    Die Stiftung wählte sich ein bereits bestehendes Gebäude am Eingang des Nationalfriedhofs von Arlington aus und verwandelte sein Inneres in eine Ausstellung. Im digitalen Register kann jede Frau ein Bild von sich sowie ihren Wehrpass ausstellen.

    Es gibt Glasplaketten, auf denen Zitate von Frauen eingraviert sind, die gedient haben. Eines stammt aus einem Brief von Clara Barton, den sie nach dem Bürgerkrieg geschrieben hat. „Vom sturmgepeitschten Deck der Mayflower bis zur heutigen Stunde haben Frauen wie ein Fels in der Brandung für das Wohlergehen und den Ruhm der Geschichte unseres Landes eingestanden ... und wie man sehr wohl hinzufügen kann: unbeschrieben, unbelohnt und unerkannt.“

    Diese Worte treffen auch heute noch zu, sagt Vaught. Eine der großen Hürden besteht auch darin, wie wenig Frauen sich in höheren Rängen repräsentiert sehen. Vor Jahren trat eine Majorin an Vaught heran, die sagte, es sei das erste Mal, dass sie eine Frau traf, die einen höheren Rang als sie selbst hatte. „Ich war entsetzt“, erinnert sich Vaught. „Ich lehne fast nie eine Bitte darum ab, irgendwo zu sprechen, und das ist der Hauptgrund dafür.“

    Die Gedenkstätte hat mittlerweile etwa 262.000 Veteraninnen registriert, aber Vaught weist darauf hin, dass geschätzte 3 Millionen gedient haben. Sie liest die Nachrufe in dem Wissen, dass viele sterben, ohne überhaupt von der Gedenkstätte zu wissen, die ihnen gewidmet ist.

    Besucherinnern, sagt sie, „kommen oft die Tränen, weil sie endlich Anerkennung gefunden haben und weil es etwas gibt, auf das ihre Familien stolz sein können.“

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