Tausende Juden pilgern jedes Jahr in dieses muslimische Land

Eine der ältesten jüdischen Siedlungen und die muslimische Mehrheit existieren allen Widrigkeiten zum Trotz friedlich nebeneinander.

Von Christine Blau
bilder von Danielle Villasana
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:40 MEZ

Die kleine Insel Djerba vor der tunesischen Küste hat alle Zutaten für den perfekten Urlaub: strahlend weiße Sandstrände, das warme Wasser des Mittelmeers, kleine Dörfer mit verschlungenen Gassen und hunderte archäologischer Stätten, die von der langen Geschichte des Landes zeugen. Nach der Ankunft scheinen sich viele Touristen jedoch damit zu begnügen, sich in einem der Luxus-Resorts am Strand von Sidi Mahres unter einen Sonnenschirm zu legen und verpassen so einen Großteil des eigentlichen Charmes der Insel.

Obwohl die Strände und Resorts auf Djerba äußerst einladend und wunderschön sind, zeigen sie nur eine Seite der Insel.
Foto von Reinhard Schmid, Estock Photo

Begibt man sich weiter ins Innere der Insel – vorbei an den Kunsthandwerksmärkten, den Terrassen der Cafés und den verfallenen Kolonialgebäuden –, entdeckt man einen faszinierenden Kontrast: Hier befinden sich die Überreste einer der ältesten jüdischen Siedlungen der Welt in einem Land, in dem 98 Prozent der Einwohner Muslime sind.

Die bekannte el-Ghriba-Synagoge auf der Insel wird seit mehr als zwei Jahrtausenden ununterbrochen genutzt. Man vermutet, dass sie um 500 v. Chr. von Juden erbaut wurde, die nach der Zerstörung des ersten Jerusalemer Tempels durch die Römer geflohen waren. Während der Spanischen Inquisition und danach wuchs die Gemeinde durch Zuzügler aus den Nachbarländern an. Schließlich lebten etwa 100.000 Juden in Tunesien, bis das Land 1956 seine Unabhängigkeit von Frankreich erlangte.

Heutzutage sind von der einst blühenden Gemeinschaft nur noch etwa 1.100 Juden übrig, die sich um die berühmte Synagoge herum finden. Aber jedes Jahr pilgern zum jüdischen Fest Lag baOmer, das am 33. Tag nach Pessach begangen wird, Tausende Gläubige in die mit blauen Fliesen verzierte el-Ghriba-Synagoge

BELIEBT

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    Pilger entzünden Kerzen und legen Eier, die von Hand mit guten Wünschen für das nächste Jahr beschrieben wurden, auf den Boden der Synagoge – gegenüber von einem Stein, der aus dem ersten Jerusalemer Tempel stammen soll. Sie setzen die Feierlichkeiten mit Musik und Festmahlen aus Couscous, Fisch und starkem Feigenwein fort, den es so ausschließlich in Tunesien gibt.

    Die Pilgerreise ist für die Einheimischen ein Quell des Stolzes und stellt jedes Jahr aufs Neue das Zusammenleben auf einer Insel unter Beweis, auf der es jahrhundertealte Moscheen, Kirchen und Synagogen gibt. Leider waren die letzten Jahre nicht einfach: 2011 wurde die Veranstaltung wegen der Revolution in Tunesien abgesagt, später aber wiedereingeführt. In jüngerer Zeit warfen drei große Terroranschläge seit 2015 Sicherheitsbedenken auf. Kreuzfahrtunternehmen schicken das Jahr über weniger Schiffe nach Djerba und am Strand des Inselparadieses bleiben die Liegen leer. Doch das Land blickt der Zukunft entgegen.

    In diesem Jahr verkündete Tunesien seine Absicht, sich für die Insel Djerba auf den Status als UNESCO-Welterbe zu bewerben, damit die kulturelle Einzigartigkeit der Synagoge und der jährlichen Pilgerreise offiziell anerkannt wird. Die Besucherzahlen mögen geschrumpft sein, aber noch immer reisen jedes Jahr Tausende Juden für das besondere Ereignis nach Djerba. Und zu jeder Jahreszeit können Touristen die einzigartige kulturelle und religiöse Vielfalt entdecken, die sich jenseits der Strände verbirgt.

    Die Wandmalereien auf den Straßen des tunesischen Ortes Erriadh auf Djerba entstanden 2014 im Zuge eines Urban Art-Projekts, an dem 150 Künstler aus aller Welt teilnahmen.
    Foto von Danielle Villasana
    In diesem Jahr verkündete Tunesien seine Absicht, sich für die Insel Djerba auf den Status als UNESCO-Welterbe zu bewerben, damit die kulturelle Einzigartigkeit der Synagoge und der jährlichen Pilgerreise offiziell anerkannt wird.
    Foto von Danielle Villasana
    Ein Mann fährt mit dem Rad durch das Marktviertel von Djerba, Houmt Souk, ein Labyrinth aus zahllosen Gassen, die teils durch Arkaden miteinander verbunden sind.
    Foto von Danielle Villasana
    Das Guellala-Museum bietet Einblicke in die Geschichte und Traditionen der Menschen von Djerba, sowohl von Muslimen als auch von Juden.
    Foto von Norbert Scanella, Alamy Stock Photo

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