Exklusiv: Elitegrab im alten Kanaan könnte neues Licht auf biblische Städte werfen

Eine unberührte Grabkammer in der Stadt, die das biblische „Armageddon“ inspirierte, beherbergt nicht nur Goldschätze, sondern vielleicht auch aufschlussreiche DNA.

Von Philippe Bohström
bilder von Peter Lanyi, The Israel Museum, Jerusalém
Veröffentlicht am 15. März 2018, 15:09 MEZ
Detailaufnahme des Halsreifs
Eine Detailaufnahme eines 3.600 Jahre alten Halsreifs, den der männliche Leichnam in dem Elitegrab trug, zeigt einen eleganten Wasservogel.
Foto von Peter Lanyi, The Israel Museum, Jerusalém

Der außergewöhnliche Fund einer prachtvollen und unberührten, 3.600 Jahre alten Grabkammer in der ehemaligen antiken Stadt Megiddo hat Archäologen in Staunen versetzt. Das Grab war nicht nur mit Reichtümern übersät, sondern bietet auch potenzielle Einblicke in die königliche Dynastie, die dieses Machtzentrum bis zu seiner Eroberung durch Ägypten im 15. Jahrhundert v. Chr. regierte.

Die archäologische Stätte befindet sich etwa 30 Kilometer südlich von Haifa im heutigen Nordisrael. Megiddo befand sich an einem strategisch wichtigen Pass an internationalen Militär- und Handelsrouten und florierte dort von etwa 3000 v. Chr. bis 586 v. Chr. Im Laufe der Zeit fanden dort zahlreiche entscheidende Schlachten statt, die den Lauf der Geschichte änderten. Das spiegelt sich auch in der Bibel wieder, wo Armageddon (von „Har Megiddo“, der Berg von Megiddo) in der Apokalypse des Johannes der Ort der biblischen Endschlacht ist.

Archäologen waren überrascht davon, dass das neu entdeckte Grab mit den Leichnamen und Grabbeigaben etwa 3.600 Jahre lang nicht betreten worden war.
Foto von Robert S. Homsher

Im 15. Jahrhundert v. Chr. belagerten die Streitkräfte des ägyptischen Pharaos Thutmosis III. die befestigte Stadt. Nach sieben Monaten der Belagerung ergab sich Megiddo dem Pharao, der Kanaan daraufhin als Provinz in sein Reich eingliederte.

ÜBERRASCHUNGSFUND

Megiddo wird seit 115 Jahren von Forschern und Archäologen untersucht. Die jüngste internationale Expedition unter der Leitung von Israel Finkelstein und Mario Martin von der Universität Tel Aviv sowie Matthew Adams vom W. F. Albright Institute of Archaeology gräbt dort seit 1994.

Das Modell zeigt das Grab vor der Öffnung. Die Grabkammer befindet sich rechts oben, wo zwei längliche Steinplatten nebeneinanderliegen.
Foto von Model by Adam Prins and Robert Homsher

Im Laufe der Grabungsarbeiten kamen an der UNESCO-Welterbestätte zahlreiche Bauwerke – darunter Paläste, Tempel und Stadtmauern aus der Bronze- und Eisenzeit (ca. 3300 – 586v. Chr.) zum Vorschein. Aber nichts konnte die Archäologen auf den überraschenden Fund eines unberührten Grabes vorbereiten, welches sie auf die spätere Phase der mittleren Bronzezeit datierten, ungefähr 1700 – 1600 v. Chr. Damals befand sich Megiddo auf dem Höhepunkt seiner Macht, bevor die Herrscherdynastie unter dem Ansturm von Thutmosis‘ Armee zusammenbrach.

Die ersten Hinweise auf die Grabkammer entdeckten die Archäologen in Form von Rissen in der Oberfläche eines Grabungsabschnitts neben Palästen aus der Bronzezeit, die in den 1930ern entdeckt wurden. Dort schienen Sand und Dreck in einen nicht sichtbaren Hohlraum zu fallen, erinnert sich Adams. 2016 fanden sie dann den Grund dafür: ein unterirdischer Gang, der zu einer Grabkammer führte.

In der Kammer befanden sich die Überreste von drei Menschen – einem Kind im Alter von 8 bis 10 Jahren, einer Frau Mitte 30 und einem Mann zwischen 40 und 60 Jahren. Sie alle trugen Gold- und Silberschmuck, darunter Ringe, Broschen, Armreife und Fibeln. Das männliche Skelett trug einen goldenen Halsreif und ein goldenes Diadem, und alle Schmuckgegenstände zeugten von einem hohen Maß an Kunstfertigkeit.

Abgesehen von der reich ausgestatteten und unberührten Grabkammer selbst waren die Archäologen auch von ihrer Position neben dem bronzezeitlichen Königspalast von Megiddo fasziniert.

Zwei der drei Mitglieder der gesellschaftlichen Elite in der Position, in der die Archäologen sie fanden.
Foto von Model by Adam Prins and Robert Homsher

„Wir reden hier aufgrund der Monumentalität der Grabstätte, den reichhaltigen Funden und der Tatsache, dass sich die Grabkammer in der Nähe des Königspalastes befindet, von einem elitären Familienbegräbnis“, erklärt Finkelstein.

Der Inhalt des Grabes lässt auch auf das kosmopolitische Flair Megiddos zu jener Zeit schließen. Die Lage an wichtigen Handelsrouten des östlichen Mittelmeerraums hat der Stadt großen Reichtum beschert. Neben dem Schmuck fand man in der Grabkammer auch Tongefäße aus Zypern und steinerne Behälter, die womöglich aus Ägypten importiert wurden.

MONARCHENGRAB?

Die prunkvolle Ausstattung der Toten mit Schmuck weist auf eine komplexe Gesellschaft hin, in der eine wohlhabende und mächtige Elite über dem Großteil der Bevölkerung Megiddos stand.

Die Forscher erhoffen sich aber nicht nur von den wertvollen Artefakten aus fernen Ecken des antiken Nahen Ostens wichtige Hinweise, sondern auch von den körperlichen Überresten der Toten.

Bei der Ausgrabung der Grabkammer fanden die Archäologen heraus, dass neben den drei Individuen noch weitere Menschen dort bestattet worden waren, allerdings schon zu einem früheren Zeitpunkt.

Laut Melissa Cradic, einem Mitglied des Expeditionsteams und einer Expertin für alte Grabriten in der Region, gab es in dieser Grabkammer zwei Bestattungsphasen. Während der ersten Phase wurden mindestens sechs Individuen innerhalb kurzer Zeit bestattet. In der zweiten Phase wurden deren Überreste in einem Knochenhaufen an den hinteren Rand der Kammer geschoben, während die frisch Verstorbenen am vorderen Ende der Kammer bestattet wurden.

Der Goldschmuck des männlichen Erwachsenen bestand unter anderem aus (von oben) einem Diadem, einem Armreif und einem Halsreif.
Foto von Peter Lanyi, The Israel Museum, Jerusalém

Cradic verweist darauf, dass einige der Artefakte an den drei unversehrten Individuen – zum Beispiel bronzene Perlenfußketten und Metallfibeln – mit Artefakten in dem Knochenhaufen identisch sind. Das lässt darauf schließen, dass diese beiden Gruppen zu Lebzeiten einen sehr ähnlichen sozialen Status hatten.

„Die letzten drei hatten aber vermutlich eine besondere Bedeutung, wenn man von der großen Menge und dem hohen Wert ihrer Grabbeigaben ausgeht“, erklärt Cradic, „und von der Tatsache, dass ihre Leichname nach der Bestattung nicht mehr angerührt wurden.“

Die Bioarchäologin Rachel Kalisher analysiert die Knochen aus der Grabkammer und fand bei einigen Individuen aus beiden Phasen Hinweise auf eine mögliche genetische Blut- oder Knochenkrankheit. Eventuell waren die Bestatteten also miteinander verwandt.

GENETISCHE SCHATZGRUBE

Derzeit wird eine umfassende DNA-Analyse von zahlreichen Individuen aus Megiddo durchgeführt, sowohl jene aus dem „königlichen“ Grab als auch solche aus weniger reich geschmückten Gräbern.

Die Ergebnisse könnten bisher einmalige Rückschlüsse darauf zulassen, ob das „gemeine Volk“ der kanaanitischen Stadt dieselbe Herkunft wie die Elite hatte, so Finkelstein.

Dutzende von geschnitzten Elfenbeintafeln aus dem Grab waren einst an einer Holzkiste angebracht, die es nicht mehr gibt.
Foto von Peter Lanyi, The Israel Museum, Jerusalém

Das besondere Interesse der Forscher an der Herkunft von Megiddos Herrscherklasse rührt von einem diplomatischen Briefwechsel mit Ägypten im 14. Jh. v. Chr. nach der Eroberung durch Tuthmosis III. her. Diese Korrespondenz offenbart, dass der damalige Herrscher Megiddos keinen semitischen, sondern einen hurritischen Namen hatte: Birydia.

Lange Zeit glaubte man, dass die Hurriter ein umherziehendes Bergvolk waren, das irgendwann zwischen dem 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. in der Region auftauchte und sich schließlich niederließ und die Keilschrift übernahm. Neue Ausgrabungen in alten hurritischen Städten haben allerdings eine fortschrittliche Kultur mit einer eigenen Sprache und einem eigenen Glaubenssystem offenbart, die einen entscheidenden Einfluss auf die ersten Städte und Staaten des Nahen Ostens gehabt haben könnte. Die ausstehenden DNA-Ergebnisse aus Megiddo könnten erstmals die Rolle der Hurriter bei der Herrschaft über kanaanitische Stadtstaaten offenbaren und unser Bild der Bevölkerung Kanaans verändern.

„Diese Studien haben das Potenzial, unser Wissen über die Bevölkerung von Kanaan vor der Verbreitung der Bibel zu revolutionieren“, sagt Finkelstein.

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