Ohne Worte keine Kunst? Neue Studie verknüpft frühe Sprache mit Höhlenmalereien

Die Akustik in den Höhlen könnte die Motive an den Höhlenwänden geprägt haben.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 26. Feb. 2018, 11:42 MEZ
In der Höhle von Lascaux in Frankreich kann man diese Zeichnung eines Pferdes mit Pfeilen sehen.
In der Höhle von Lascaux in Frankreich kann man diese Zeichnung eines Pferdes mit Pfeilen sehen.
Foto von Alinari Archives, Getty

Vor Tausenden von Jahren lief einer unserer Vorfahren tief in das Innere einer Höhle hinein, wo die Höhlenwände die Geräusche zurückwarfen. Vielleicht waren es Lautäußerungen, die dadurch einen Klang erzeugten, der an klappernde Hufe erinnerte, oder vielleicht waren es auch die Schritte des frühen Menschen. Um diesen Klang darzustellen, malte er ein Huftier.

Dafür nutzte er dieselben Fertigkeiten, welche zuvor schon die Entwicklung der Sprache angeregt hatten – so zumindest lautet die Theorie, die in einer neuen Studie dargelegt wird.

Die Abhandlung wurde im Fachmagazin „Frontiers in Psychology“ veröffentlicht und legt nahe, dass Höhlenkunst an akustischen „Hotspots“ geschaffen wurde, weil frühe Menschen Klänge in Bilder umwandelten.

„Unsere Forschungen lassen vermuten, dass die kognitiven Mechanismen, die für die Entwicklung von Höhlen- und Felsbildkunst nötig sind, auch bei dem Ausdruck des symbolischen Denkens angewandt werden, das für Sprache benötigt wird“, sagt Cora Lesure. Die Linguistin am MIT ist eine Autorin der Studie.

Im Grunde seien die kognitiven Funktionen, die man braucht, um Klänge in Bilder zu übertragen, dieselben, die auch für Sprache notwendig sind, erklärt Lesure.

„In diesem Sinne wäre Höhlen- und Felsbildkunst eine Form des sprachlichen Ausdrucks.“

Ob dieser künstlerische Ausdruck auch die weitere Entwicklung der Sprache beeinflusst hat, darüber lässt sich nur spekulieren.

DARSTELLUNG DER GEDANKENWELT

Der moderne Homo sapiens entwickelte sich vor ungefähr 200.000 Jahren, und den Autoren der Studie zufolge geht man derzeit davon aus, dass menschliche Sprache etwa 100.000 Jahre alt ist. Die ältesten Höhlenmalereien, die vom Homo sapiens stammen, sind etwa 40.000 Jahre alt.

„Wir könnten spekulieren, dass die menschliche Sprache als abstraktes symbolisches System entstand, während ihr Ausdruck – in Form von Höhlen- und Felsbildkunst oder jeder anderen Ausdrucksform – womöglich erst sehr spät auftrat“, erklärt Vitor Nobrega. Der Linguist von der Universität São Paulo hat an der Studie ebenfalls mitgeschrieben.

Für ihre Studie konzentrierten sich die Autoren insbesondere auf die Blombos-Höhle in Südafrika, in der es geometrische Felsbildkunst gibt.

Bei diesen Markierungen handelt es sich laut den Autoren um die symbolische Darstellung von Gedanken.

Belege dafür zu finden, wie und wann genau der Mensch mit dem Sprechen begann, ist allerdings schwierig. Anthropologen können alte Schädelformen untersuchen, um herauszufinden, wann sich bestimmte Hirnbereiche entwickelt haben, die für die Sprache verantwortlich sind. Allerdings lässt sich nicht exakt feststellen, wann der Mensch zu sprechen begann, da er vermutlich deutlich eher sprach als schrieb.

Manche Archäologen glauben, dass Objekte wie Perlen oder bearbeitete Knochen Belege für eine frühe Sprache sind, da sie womöglich für diverse Aufgaben wie das Zählen benutzt wurden.

ANDERE ERKLÄRUNGEN?

„Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Archäoakustik das Vorhandensein mancher Kunstwerke und manchen Höhlen erklären kann“, sagt April Nowell, eine Archäologin der Universität von Victoria, die sich mit den Ursprüngen der Kunst beschäftigt.

Aber zu behaupten, dass die Höhlenakustik die bildliche Darstellung inspiriert hat, sei ihr zufolge etwas weit hergeholt.

Sie verweist darauf, dass manche Höhlenkunst auch in den akustischen „Hotspots“ der Höhlen entstand, wo vielleicht auch Zeremonien stattfanden und Geschichten erzählt wurden. Das könnte darauf hindeuten, dass die Kunstwerke nicht der Kommunikation, sondern eher dekorativen Zwecken gedient haben. Einige der häufig verwendeten Motive wie Pferde und andere Huftiere, die der Studie zufolge in den Höhlen zu finden sind, tauchen auch auf Objekten außerhalb der Höhlen auf, wie Nowell anmerkt.

„Die Akustik ist zweifelsfrei ein wichtiger Faktor, den man in Betracht ziehen sollte“, sagt sie, „aber ich glaube nicht, dass er die einzige Erklärung dafür ist, warum Menschen an diesen Orten ihre Spuren hinterlassen haben.“

Lesure betont, dass ihre Studie nicht explizit besagt, dass die von ihnen betrachtete Höhlenkunst mit Sprache gleichzusetzen ist, sondern nur, dass dabei dieselben kognitiven Funktionen vorhanden gewesen sein könnten.

„Diese Bilder hatten zweifelsfrei auch einen symbolischen Wert“, sagt Genevieve von Petzinger, eine Anthropologin und National Geographic Explorer.

Sie stimmt mit Nowell zwar überein, dass man nicht eindeutig sagen kann, ob die Malereien als eine Art der Kommunikation genutzt wurden, aber fügt hinzu: „Es wäre sicher im Bereich des Möglichen, dass die Klänge [in der Höhle] zu dem beigetragen haben, was sie da taten.“

Archäologen sind nach wie vor auf der Suche nach den ersten handfesten Belegen für die linguistische Befähigung des frühen Menschen, wie von Petzinger anmerkt. „Wir sind immer noch auf der Suche nach diesem Heiligen Gral.“

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