Serie: Der 5-Punkte-Plan zur Ernährung der Welt

Haben wir nur die Wahl zwischen billiger Massenproduktion und der Versorgung durch viele kleine Biobauern? Es geht auch anders.

Von Jonathan Foley
Foto von George Steinmetz, Jim Richardson

Wie werden wir im Jahr 2050 alle satt? Im Jahr 2050 muss die Erde zwei Milliarden Menschen mehr ernähren als heute. Wie soll das gehen, ohne den Planeten zu überfordern? Unsere neunteilige Serie beleuchtet diese große Frage – und zeigt Lösungen auf.

Reden wir über Umwelt, sind meist Autos und Kraftwerke das Thema, aber nicht unser Abendessen. Dabei kommt eine der größten Gefahren für die Erde vom wachsenden Bedarf an Lebensmitteln.

Fast eine Milliarde Menschen auf der Welt hungern, viele andere leben in verschwenderischem Überfluss. Die rasant zunehmende Weltbevölkerung macht es erforderlich, noch mehr Nahrung zu produzieren. Und schafft dadurch weitere Probleme.

Ackerbau und Viehzucht sind mit die wichtigsten Verursacher der Erderwärmung, sie sind die Quelle von mehr Treibhausgasen als alle unsere Autos, Lastwagen, Züge und Flugzeuge zusammen. Von Rinderherden und Reisfeldern steigt Methan auf, von gedüngten Äckern Distickstoffmonoxid, durch das anhaltende Abholzen von Regenwäldern zur Anlage weiterer Acker­ und Weideflächen wird noch mehr Kohlendioxid aus den Böden freigesetzt.

Die Landwirtschaft ist der größte Verbraucher der kostbaren Vorräte von Süßwasser und ein gewaltiger Umweltverschmutzer, da der Abfluss von Kunstdünger und Gülle weltweit Seen, Flüsse und Küstenökosysteme belastet und zerstört. Auf das Konto der Landwirtschaft geht auch ein großer Teil des Verlustes an ökologisch wichtiger Artenvielfalt. Durch die Rodung von Grünflächen und Waldgebieten zur Gewinnung von Ackerland verlieren wir viele unersetzbare Lebensräume und beschleunigen das Aussterben wildlebender Tiere und Pflanzen.

Schon heute stellt vor allem die konventionelle und hochtechnisierte Landwirtschaft den Umweltschutz vor große Probleme. Und sie werden zunehmen durch unsere Bemühungen, den weltweit steigenden Nahrungsbedarf zu befriedigen. Bis Mitte des Jahrhunderts werden wir vermutlich mehr als neun Milliarden menschliche Münder zu füllen haben – zwei Milliarden mehr als heute. Dabei ist der reine Bevölkerungszuwachs nicht der einzige Grund für den höheren Nahrungsbedarf. Auch der wachsende Wohlstand in vielen Teilen der Welt trägt dazu bei. Besonders in den Milliardenstaaten China und Indien schießt die Nachfrage nach Fleisch, Eiern und Milchprodukten in die Höhe. Das verstärkt den Druck, mehr Getreide und Soja anzubauen, um damit immer mehr Rinder, Schweine und Hühner zu füttern. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird es die Kombination aus Bevölkerungswachstum und üppigerer Ernährung erfordern, dass wir 2050 auf der Erde etwa doppelt so viel anbauen müssen wie heute. Doch die Fläche, auf der wir das tun können, ist begrenzt.

Hinzu kommen unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Weltgemeinschaft die Herausforderungen angehen sollte, die uns alle betreffen. Es gibt, kurz gesagt, eine Polarisierung zwischen den Verfechtern des konventionellen Anbaus und des Welthandels einerseits und den Befürwortern lokaler Systeme der Lebensmittelerzeugung und der ökologischen Landwirtschaft andererseits.

Die Auseinandersetzungen werden zum Teil durchaus scharf geführt, und anstatt Gemeinsamkeiten zu suchen, lässt man derzeit oft noch einzig die Argumente des eigenen Lagers gelten. Verfechter der konventionellen Landwirtschaft führen an, dass Mechanisierung, moderne Bewässerungsmethoden, Kunstdünger und Fortschritte in der gentechnischen Veränderung von Nutzpflanzen die Erträge erhöhen und so helfen werden, den Bedarf zu decken. Damit haben sie durchaus recht. Befürworter lokaler und ökologischer Landwirtschaft halten dagegen, dass die zahllosen Kleinbauern der Welt die Erträge insgesamt stark erhöhen könnten – und zwar mit Techniken, die die Fruchtbarkeit der Böden auch ohne Kunstdünger und Pestizide verbessern. Das würde zudem viele Bauern aus ihrer Armut befreien. Auch sie haben recht.

Das eine muss das andere nicht ausschließen. Beide Ansätze bieten Lösungen. Keine von beiden bringt uns allein zum Ziel. Wir täten gut daran, alle sinnvollen Ideen unter die Lupe zu nehmen, jene von lokalen und ökologischen Betrieben ebenso wie die von konventionellen Hightech-Bauernhöfen, und das Beste beider Ansätze miteinander zu verbinden. Als Direktor des Instituts für Umwelt und Professor für Fragen globaler Nachhaltigkeit an der Universität St. Paul in Minnesota leitete ich kürzlich ein Team von Wissenschaftlern, das sich mit der Frage beschäftigte: Wie kann die Welt die Nahrungsproduktion verdoppeln und zugleich den durch die Landwirtschaft verursachten Schaden mindern? Wir haben eine Unmenge von Daten analysiert und unsere Erkenntnisse in einen 5-Punkte-Plan gefasst, mit dem man das Ernährungsproblem der Welt lösen könnte. Diese Punkte sind:

Stopp des zusätzlichen Flächenverbrauchs, Steigerung der Erträge in den Betrieben, Effizientere und nachhaltigere Nutzung von Wasser und Dünger,

Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, Stopp der Verschwendung und Vernichtung genießbarer Lebensmittel.

Die Kombination der Maßnahmen könnte die Nahrung für die Welt mehr als verdoppeln und die schädlichen Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt deutlich begrenzen. Aber diese Vorschläge erfordern, dass wir umdenken. Wir müssen uns von der historisch gewachsenen Vorstellung verabschieden, alle Probleme durch ein Immer-Mehr lösen zu können: mehr Land roden, mehr anbauen, mehr Ressourcen nutzen. Aus Verantwortung für unsere Kinder und Enkel müssen wir eine neue Balance finden zwischen der Mehrproduktion an Nahrung und der nachhaltigen Bewirtschaftung unseres Planeten.

Die gute Nachricht ist: Wir wissen bereits, was wir zu tun haben. Wir müssen es nur noch umsetzen. Das bedeutet, dass wir künftig alle umsichtiger mit dem umgehen, was wir uns auf den Teller legen. Dass wir wieder eine bewusste Verbindung herstellen zwischen unserer Nahrung und den Bauern, die sie säen, pflanzen und ernten. Und ebenso zwischen unserem Essen und dem Boden, aus dem es wächst, den Gewässern und dem Klima, die unsere Lebensgrundlage bilden. Wenn wir demnächst wieder den Wagen durch die Gänge eines Supermarkts schieben, wissen wir: Unser Einkauf entscheidet mit über die Zukunft der Welt.

Der 5-Punkte-Plan

1. Stopp des zusätzlichen Flächenverbrauchs durch die Landwirtschaft
Bisher haben wir immer, wenn wir mehr Nahrung produzieren mussten, einfach mehr Wälder und Grünflächen gerodet, um Ackerland zu gewinnen. Wir nutzen insgesamt bereits eine Fläche von der Größe Südamerikas zum Anbau von Nahrungspflanzen. Wir 
züchten Vieh auf einer Fläche von der 
Größe Afrikas. Die Landwirtschaft hat weltweit Ökosysteme zerstört, von den Prärien und Savannen in Nordamerika und Afrika bis hin zu tropischen Regenwäldern. Und die Abholzung geht weiter. Doch wir können es uns nicht mehr leisten, mehr Natur für den Anbau von Getreide und die Erzeugung von Fleisch zu opfern. Wo heute Wald gerodet wird, nützt dies nur sehr selten den 850 Millionen Menschen auf der Welt, die Hunger leiden. Auf vielen neuen landwirtschaftlichen Flächen werden Rinder für die wachsende Nachfrage nach Fleisch gezüchtet – oder das Soja für ihre Mast. Andernorts wird abgeholzt für Palmölplantagen, zur Gewinnung von Biosprit und für Kosmetika. Die weitere Entwaldung zu vermeiden hat höchste Priorität.

2. Steigerung der Erträge in bestehenden Betrieben
Die erste „Grüne Revolution“ zu Beginn der sechziger Jahre brachte verbesserte Getreidesorten, mehr Düngemittel, moderne Bewässerungsmethoden und Maschinen. Sie steigerte die landwirtschaftlichen Erträge vor allem in Asien und Lateinamerika 
– verursachte aber auch große Umweltschäden. In der zweiten Phase kann sich die Welt den übrigen, wenig produktiven Ackerflächen zuwenden, besonders in Afrika, Lateinamerika und Osteuropa. Hier klaffen zwischen realen Ernten und möglichen Erträgen gewaltige Lücken. Mithilfe verbesserter Anbaupraktiken sowie Verfahren aus der ökologischen Landwirtschaft kann man in diesen Regionen die Erträge um ein Mehrfaches steigern – ohne die ökologischen Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

3. Effizientere und nachhaltige Nutzung von Wasser und Dünger
Die konventionelle Landwirtschaft macht heute
 große Fortschritte bei der Suche nach innovativen Wegen, Düngemittel und Pestizide sparsam
 und zielgerichtet auszubringen. Dabei
 helfen computergesteuerte Maschinen, die auf jeder Fläche die Erträge automatisch erfassen und die dazugehörige Position mit GPS abgleichen. So können maßgeschneiderte Düngermischungen exakt auf die jeweiligen Bodenbedingungen abgestimmt werden. In der Folge geraten auch weniger Chemikalien in umliegende Gewässer. Daneben wächst der ökologische Landbau. Er verbessert die Böden durch Gründüngung, das Aufbringen von Mulchmaterial und Kompost. Das spart Wasser und bewirkt eine natürliche Anreicherung mit Nährstoffen. Neue Bewässerungssysteme verschwenden zudem weniger Wasser; sie setzen auf zielgenaue Tropfbewässerung. Durch konsequente Anwendung moderner Methoden im konventionellen wie im ökologischen Landbau würden wir „mehr Ertrag pro Tropfen“ aus unseren Wasser- und Nährstoffvorräten gewinnen.

4. Umstellung der Ernährungsgewohnheiten
Die Welt kann im Jahr 2050 neun Milliarden Menschen ernähren, wenn wir nicht so viele pflanzliche Produkte an Tiere verfüttern. Nur gut die Hälfte aller weltweit produzierten pflanzlichen Kalorien essen wir direkt, mehr als ein Drittel dient als Futter für Rinder, Schweine und Hühner, knapp ein Zehntel wird zu Biokraftstoff und Industrieprodukten verarbeitet. Von 100 Kalorien aus Tierfutter kommen über Milch nur 40 Kalorien beim Menschen an, bei Eiern gerade mal 22. Bei der Produktion von Hühnerfleisch bleiben von 100 eingesetzten Kalorien zwölf für den Menschen übrig, beim Schweinefleisch sind es zehn, beim Rind gerade noch drei. Wenn wir weniger Fleisch essen, wird das große Mengen an Nahrung freisetzen. Wegen des Nachholbedarfs von Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern ist es sinnvoll, das Essverhalten zunächst in Ländern zu korrigieren, in denen fleischreiche Kost seit langem der Standard ist – also auch bei uns.

5. Stopp der Verschwendung und Vernichtung genießbarer Lebensmittel
Etwa ein Viertel aller weltweit erzeugten Nahrungskalorien gehen verloren oder landen auf dem Müll, ehe sie konsumiert werden können. In reichen Ländern geht die Verschwendung zu großen Teilen auf das
Konto von Supermärkten, Restaurants
und Haushalten, in armen Ländern sind Mängel bei Lagerung und Transport vom Erzeuger zum Markt die Ursache großer Verluste. Bei uns gibt es viele Möglichkeiten, weniger zu verschwenden: kleinere Mengen auftischen, Reste nutzen, die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Restaurants und Supermärkte nicht so viel – häufig importierte Nahrung – wegwerfen müssen. Dann wird viel mehr für andere übrig bleiben.

(NG, Heft 5 / 2014, Seite(n) 36 bis 59)

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