Chinas Regierung empfiehlt Bärengalle gegen COVID-19

Gerade erst beschloss China, gegen die Wildtiermärkte des Landes vorzugehen. Nun veröffentlichte die Gesundheitskommission eine Liste mit teils fragwürdigen Heilmitteln.

Von Rachel Fobar
Veröffentlicht am 27. März 2020, 13:46 MEZ
Bär auf Bärenfarm
Auf Bärenfarmen in China und Südostasien wird den Tieren Galle entnommen, die in der traditionellen chinesischen Heilkunst Anwendung findet. Die Extraktion erfolgt mittels Katheter, Kanüle oder Röhrchen, die in die Gallenblase eingeführt werden – ein schmerzhafter und invasiver Prozess. Dieser Kragenbär im Vietnam Bear Rescue Centre ist einer von mehr als 1000 Bären, die 2017 aus illegalen Bärenfarmen im Land gerettet wurden.
Foto von Roberto Schmidt, AFP, Getty

Vor nicht mal einem Monat unternahm die chinesische Regierung erste Schritte, um den Handel und Konsum von lebenden Wildtieren zu kulinarischen Zwecken dauerhaft zu verbieten. Dieselbe Regierung empfiehlt nun die Nutzung von Tan Re Qing – ein traditionelles Heilmittel, das Bärengalle enthält –, um schwere Formen von COVID-19 zu behandeln. Das Mittel steht auf einer Liste empfohlener Heilmittel für die Behandlung von Coronavirus-Erkrankungen, die am 4. März von der chinesischen Gesundheitskommission veröffentlicht wurde. Tierrechtler sehen darin ein Zeichen für die widersprüchliche Politik des Landes: Einerseits wird der Handel mit lebenden Wildtieren für kulinarische Zwecke verboten, andererseits wird der Handel mit medizinischen Wildtierprodukten nach wie vor unterstützt.

Galle wird von der Leber produziert und in der Gallenblase gespeichert. Seit dem 8. Jahrhundert spielt diese Körperflüssigkeit eine Rolle in der traditionellen chinesischen Medizin und wird üblicherweise aus Bären gewonnen, beispielsweise Kragenbären und Braunbären. Galle enthält eine hohe Konzentration von Ursodesoxycholsäure (UDCS). Klinische Tests haben gezeigt, dass diese Gallensäure dabei hilft, Gallensteine zu zersetzen und Lebererkrankungen zu behandeln. In synthetischer Form wird sie seit Jahrzehnten weltweit als Medikament verkauft.

Galerie: Bärenbrüder

Derzeit existiert laut der Weltgesundheitsorganisation noch kein Heilmittel für COVID-19. Diverse Medikamente, von Schmerzmitteln bis zu Hustensaft, können allerdings die Symptome lindern, die mit der Krankheit einhergehen.

In der traditionellen chinesischen Medizin wird Tan Re Qing für gewöhnlich verwendet, um Bronchitis und Infektionen der oberen Atemwege zu behandeln. Clifford Steer, ein Professor an der University of Minnesota in Minneapolis, hat den medizinischen Nutzen von Ursodesoxycholsäure erforscht. Ihm sind keine Belege dafür bekannt, dass Bärengalle ein effektives Behandlungsmittel für das neue Coronavirus ist. Allerdings würde sich UDCS insofern von anderen Gallensäuren unterscheiden, als dass sie entzündungshemmende Eigenschaften hat und die Immunreaktion abschwächen kann. Damit könnte die Säure Symptome von COVID-19 lindern und die Zellen schützen.

Laut Chinas Gesetzgebung zum Schutz von Wildtieren, die 1989 erlassen wurde, gelten wilde Tiere als Ressource, die zum Wohle des Menschen genutzt werden kann. 2016 wurde die Gesetzgebung umgeschrieben, um die kommerzielle Nutzung von Wildtieren noch stärker zu legitimieren. Auch die Verwendung in der traditionellen chinesischen Heilkunst wurde explizit gestattet, schrieb Peter Li von der Humane Society International damals.

Für die Behandlung schwerer Verlaufsformen von COVID-19 empfiehlt die chinesische Regierung unter anderem ein traditionelles Heilmittel, das pulverisierte Bärengalle enthält. Bislang gibt es keinen Nachweis dafür, dass das Mittel gegen die Krankheit hilft.
Foto von Str, AFP, Getty

In China ist allerdings nur die Nutzung von Galle gestattet, die von Bären in Gefangenschaft stammt. Galle von wilden Bären sowie der Import von Bärengalle aus anderen Ländern ist verboten. Aron White arbeitet für die Environmental Investigation Agency (EIA), eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in London, die Wildtierverbrechen aufdeckt. Er erzählt, dass seine Organisation über Social-Media-Posts von Wildtierschmugglern von der Empfehlung der chinesischen Regierung erfahren hat, COVID-19 mit diversen Mitteln zu behandeln.

„Wir haben gesehen, wie die Schmuggler die Empfehlungen der Regierung genutzt haben, um ihre illegalen Produkte als Heilmittel zu bewerben“, sagt White. Die illegale Galle stammt von wilden Bären aus China, wird aber auch aus Laos, Vietnam und Nordkorea importiert, wo sie sowohl von wilden Bären als auch von Bären in Gefangenschaft gewonnen wird. Auch Galle von Kragenbären wird weiterhin im großen Stil gehandelt, obwohl jeglicher internationale Handel mit dieser Tierart und ihren Erzeugnissen durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen verboten ist.

Tierschützer sind besorgt, dass Chinas Empfehlung zur Nutzung von Tan Re Qing – das neben Puder aus Bärengalle auch Puder aus Ziegenhörnern und diverse Pflanzenextrakte enthält – den Handel mit illegalen Produkten befeuern und die Misshandlung von Tieren rechtfertigen wird. „Die Verbraucher ziehen Wildtierprodukte vor, die oft als wirksamer gelten und als ‚das einzig Wahre‘“, so White. „Die legalen Produkte von Tieren in Gefangenschaft sorgen nicht dafür, dass der Druck auf die wilden Populationen nachlässt – der legale Markt erhält überhaupt erst den Bedarf aufrecht, der die Wilderei befeuert.“

Auf Gallenfarmen in China und Südostasien werden die Bären teils jahrzehntelang in kleinen Käfigen gehalten. Regelmäßig wird ihnen Galle abgenommen, indem ein Katheter, eine Kanüle oder ein Röhrchen in die Gallenblase eingeführt wird. All diese Methoden sind invasiv und „verursachen große Schmerzen, Leid und Infektionen“, erklärt Animals Asia, eine gemeinnützige Organisation, die solchen Gallenfarmen ein Ende bereiten will. Häufig werden die Tiere auf diesen Farmen nicht gut versorgt. Verbraucher riskieren also, Galle von kranken Bären zu konsumieren, die laut Animals Asia mit Blut, Fäkalien, Eiter, Urin oder Bakterien kontaminiert sein kann.

Einem betäubten Kragenbären wird Galle abgepumpt. Weil viele Tiere auf solchen Gallenfarmen krank sind, kann die Körperflüssigkeit laut der gemeinnützigen Organisation Animals Asia mit Fäkalien, Eiter, Urin und Bakterien kontaminiert sein. Das birgt auch Risiken für menschliche Verbraucher.
Foto von Mark Leong, Nat Geo Image Collection

Ein weiteres traditionelles Heilmittel, das auf der Empfehlungsliste der chinesischen Gesundheitskommission zu finden ist, ist eine Pille namens Angong Niuhuang Wan. Das Mittel, das zur Bekämpfung von Fieber und diversen Krankheiten genutzt wird, enthält traditionell Nashornhorn, dessen internationaler Handel jedoch streng verboten ist. Laut chinesischer Gesetzgebung muss die Pille stattdessen mit Büffelhorn hergestellt werden, sagt White, aber einige Händler bewerben nach wie vor Pillen mit Nashornhorn.

Die Empfehlung von Tan Re Qing und anderen Mitteln, die Wildtierprodukte enthalten, sowie das gleichzeitige Handelsverbot mit lebenden Wildtieren „zeigen wirklich, dass China aktuell widersprüchliche Signale sendet“, so White.

Geretteter Bär mit amputierten Pfoten lernt wieder zu laufen
22. Dezember 2017: Ein Kragenbär mit amputierten Vorderpfoten trifft in einer neuen Schutzeinrichtung im Nordosten Vietnams ein. Hai Chan wurde von VIER PFOTEN, einer internationalen Tierschutzorganisation, gerettet, nachdem er zehn Jahre lang als Gallenbär gehalten wurde. Bärengalle wird dem Tier abgezapft und in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet. Hai Chan litt unter vergrößerten Nebennieren, Stress und den zwei amputierten Pfoten. Die Pfoten wurden wahrscheinlich zur Herstellung von Bärenpfotenwein genutzt. Zwei weitere Kragenbären wurden ebenfalls gerettet und in die Einrichtung gebracht.

In China war die traditionellen Medizin, die größtenteils auf pflanzliche Wirkstoffe setzt, jahrtausendelang quasi die einzige Form der medizinischen Versorgung. Das änderte sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts, als der letzte Kaiser der Qing-Dynastie von einem Arzt gestürzt wurde, der im Westen ausgebildet worden war. Traditionelle Heilmittel werden aber auch heute noch häufig von der Regierung als eine der Säulen der chinesischen Kultur geduldet oder gar beworben. 2019 nahm die WHO Diagnosen nach der traditionellen Heilkunst in ihr medizinisches Kompendium auf. Behörden wiesen während der Coronavirus-Pandemie auf ihren Nutzen hin – und 85 Prozent der COVID-19-Patienten wurden laut dem chinesischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie mit pflanzlichen Heilmitteln behandelt.

Chinas nationale Gesundheitskommission reagierte auf Bitten um Stellungnahme nicht.

Risiken für die menschliche Gesundheit

Wildtierfarmen stellen immer ein Risiko für die Gesundheit dar, unabhängig davon, ob die Tiere dort für ihr Fleisch oder für die traditionelle Medizin gezüchtet werden, sagt White. In beiden Fällen leben oft Hunderte von Tieren auf engstem Raum, die Menschen verarbeiten oder beseitigen ihre Kadaver.

„Ob die Tiere nun in Form von Fleisch oder Medizin verzehrt werden, die Risiken sind die gleichen und gehen davon aus, wie die Tiere geschlachtet und ihre Erzeugnisse verstaut, verarbeitet und konsumiert werden“, so White. China schließt aktuell Farmen, die Wildfleisch von Tieren wie Pfauen, Stachelschweinen und Wildschweinen produzieren, weil sie ein Krankheitsrisiko darstellen. „Warum also“, fragt White, „ignorieren sie Bären- und Tigerfarmen? Die haben viele derselben Probleme.“ Außerdem enthalte „der überwiegende Großteil der traditionellen chinesischen Medizin keine Inhaltsstoffe von wilden Tieren“, erzählt White. „Sie muss also gar keine Bedrohung für Wildtiere darstellen.“

Was wir im Falle von COVID-19 brauchen, sei klar, findet Clifford Steer von der University of Minnesota. „Letztendlich müssen wir einen Impfstoff dagegen entwickeln, um die Menschen zu schützen.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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