Aufforstung in Deutschland: Gelingt der Umbau der Wälder?
Wie geht es dem Wald nach den letzten Dürrejahren? Ist das große Waldsterben vorbei? Und was macht die Wiederaufforstung? Ein Gespräch mit Diplom-Biologe und Waldnaturschutzexperte Klaus Striepen.

Zeitenwende im Bonner Kottenforst: Wo einst Monokulturen aus Fichten standen, sollen artenreiche Mischwälder wachsen.
Der Kottenforst, ein 40 Quadratkilometer großes Waldgebiet im Südwesten von Bonn. Schon im siebten Jahrhundert wurde er urkundlich erwähnt. Bis heute ist er weitgehend unbesiedelt geblieben, weite Teile stehen unter Naturschutz. Doch seit einigen Jahren hat sich das Bild dramatisch gewandelt: Riesige Kahlflächen, wo einst Fichten standen. Der Borkenkäfer hat ganze Arbeit geleistet.
Wie vielerorts in Deutschland hatten anhaltende Dürreperioden die Fichten zuletzt so sehr geschwächt, dass sie kaum noch Harz produzieren konnten, um sich vor dem gefräßigen Insekt zu schützen. Deutschlandweit sind inzwischen ganze Fichtenbestände abgestorben. Die Zeit der Fichte scheint vorbei – auch im Kottenforst. Naturnahe Mischwälder sollen die Waldwende einläuten.
Waldwende statt Waldsterben
Wird der Umbau der Wälder gelingen? Das hatten wir den Diplom-Biologen Klaus Striepen vor einem guten Jahr gefragt, als die Wiederaufforstung im Kottenforst bereits auf Hochtouren lief. Striepen ist im Landesbetrieb Wald und Holz NRW für den Waldnaturschutz der Staatswälder in Nordrhein-Westfalen zuständig. Als Leiter des Naturschutzprojekts „Villewälder“ war er seinerzeit maßgeblich an der Neupflanzung im Kottenforst beteiligt.
Rund 150.000 Bäume wurden inzwischen gesetzt. Doch damit ist es lange nicht getan. Jetzt geht es unter anderem um die Pflege der empfindlichen Bäumchen – und um die bange Frage, ob das umgestaltete Ökosystem die kommenden Herausforderungen des Klimawandels überstehen wird. Zeit für ein Zwischenfazit.
Herr Striepen, als wir uns vor über einem Jahr zum ersten Mal unterhielten, waren viele Fichten im Kottenforst bereits abgestorben. Wie geht es der Fichte heute?
Man kann sagen, dass es mittlerweile so gut wie keine lebenden Fichten mehr im Kottenforst gibt. Nur noch einzelne Bäume oder kleine Gruppen haben überlebt. Meist handelt es sich dabei um jüngere Bäume.
Wie groß war denn der ursprüngliche Anteil der Fichten am Kottenforst?
Rund 15 Prozent des Kottenforsts bestand aus Fichten. Die sind inzwischen zum Großteil geräumt.
15 Prozent des Waldes sind also zerstört.
Ja, das kann man so sagen.
Das letzte Jahr war feuchter und nicht so heiß wie die Jahre davor. Laut aktuellem Waldzustandsbericht der Bundesregierung konnten sich die deutschen Wälder etwas erholen. Wie sieht die derzeitige Lage bei Ihnen im Revier aus?
Es gibt große regionale Unterschiede in Deutschland, was den Waldzustand angeht. In den südlichen Bundesländern sieht es zum Beispiel ganz anders aus als bei uns in Nordrhein-Westfalen. Eine der schwerwiegendsten Folgen der vergangenen Hitzejahre war ja der Borkenkäfer-Befall. In den Tieflagen von NRW sind die Fichten weitgehend abgestorben. In den höheren Lagen wie in der Eifel oder im Sauerland steht vieles auf der Kippe. Die Fichten kämpfen dort noch ums Überleben. Es stimmt: Dank der langen feuchten Phasen im letzten Jahr konnte sich der Borkenkäfer nicht mehr so stark ausbreiten. Doch es gibt keine Garantie, dass das Problem damit vorbei ist. Kurzfristig hängt vieles von der Witterung in diesem Jahr ab. Die allgemeine Entwicklung – sprich die fortschreitende Klimaveränderung – hat aber klar gezeigt, dass wir mit dem Waldumbau unbedingt fortfahren müssen.
Klaus Striepen ist im Landesbetrieb Wald und Holz NRW für den Waldnaturschutz der Staatswälder in Nordrhein-Westfalen zuständig.
Waldumbau heißt: Weg von der Fichten-Monokultur, hin zum Mischwald. Dazu werden vermehrt heimische Laubbäume wie Eichen oder Buchen gepflanzt. Doch auch diese Bäume scheinen unter Trockenheit und Hitzestress zu leiden. Welche Erfahrung haben Sie im Kottenforst und in anderen Wäldern in NRW gemacht?
Leider haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht. Hier bei uns in den Tieflagen des Rheinlands, wo es ja relativ trocken und warm ist, beobachten wir, dass die Buchen in den letzten Jahren sehr stark gelitten haben.
Als Zeichen dafür gelten die ausgedünnten Baumkronen. Es heißt, dass vier von fünf Bäumen in Deutschland inzwischen solche Kronenschäden haben, also krank sind.
Ja. Ob die geschädigten Buchen das überstehen werden, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verlässlich vorhersagen. Es könnte sogar sein, dass sich das Waldsterben weiter fortsetzt – selbst wenn sich die Witterungsverhältnisse wieder bessern. Ältere Bäume sind besonders anfällig. Bei den jüngeren Buchen sieht es besser aus. Grundsätzlich macht uns die Situation schon sehr nervös.
Galerie: Fragiles Ökosystem – der Harz
Bei der Aufforstung im Kottenforst haben Sie sich für einen Mix aus mindestens vier Baumarten entschieden – meist aus Eichen, Linden, Hainbuchen und Erlen. Wie läuft die Wiederaufforstung?
Wir sind jetzt mit den Pflanzungen weitgehend durch. Nun geht es vor allem um die Pflege. Die ersten Jahre sind schwer für junge Bäume, weil sie zunächst ein adäquates Wurzelwerk ausbilden müssen. In dieser Phase sind wir jetzt. Rückschläge hatten wir zum Beispiel Anfang 2020. Da gab es ein sehr trockenes Frühjahr. Rund 25 Prozent der neugepflanzten Bäume im Kottenforst sind wieder abgestorben. Gerade auf den großen Freiflächen stehen die jungen Bäume in den ersten Jahren nahezu ungeschützt in Sonne. Wenn es dann hohe Temperaturen mit starker Trockenheit gibt, ist das purer Stress für die Bäume.
Können Sie schon sagen, welche Baumarten besonders gut mit diesem Stress umgehen können?
Wie erwähnt setzen wir hauptsächlich auf heimische Laubbäume. Aber wir können aktuell noch nicht sagen, welche sich auf lange Sicht tatsächlich bewähren werden. Hitzeresistentere Arten wie Speierling oder Elsbeere spielen eine zunehmende Rolle. Im Vorteil sind Mischbestände aus mehreren Arten sowie strukturreichen Bestände – also ein Mix aus alten und jungen Bäumen. Wenn man Nadelbäume pflanzt, sollte man sie gruppenweise einmischen.
Ist es mit den Neupflanzungen getan?
Nein. Das kann nur der erste Schritt sein, die erste Investition. Die nächsten 20 bis 30 Jahre stehen im Zeichen der Pflege dieser Kulturen. Das wird eine riesige Aufgabe, vor der wir hier im Kottenforst und sicher auf andernorts stehen. Es werden schwierige Jahre.
Waldschäden im Taunus: Neben Fichten haben auch Buchen und andere Laubbäume in den letzten Jahren zunehmend unter Hitzestress gelitten.
Was bleibt noch zu tun, um die Waldwende zu meistern? Naturschutzverbände fordern beispielsweise, die Entwässerung von Waldböden müsse gestoppt werden.
Viele Dinge sind zu tun. Auch der Rückbau von Entwässerungsgräben gehört dazu. Denn Regenwasser sollten wir in jedem Fall in den Wäldern zurückhalten, wo immer das möglich ist. Außerdem gibt es intensive Diskussionen darüber, wie viel Holz man künftig überhaupt noch entnehmen sollte. Klar ist: So stark auslichten wie früher dürfen wir nicht mehr. Sonst überstehen einzelne Bäume heiße Phasen womöglich nicht. Es gibt aber keine pauschalen Lösungen, wir müssen immer auf die einzelnen Wälder schauen.
Kann sich die Natur denn nicht selbst ihren Weg bahnen, etwa indem sich Bäume selbst aussäen?
Grundsätzlich funktioniert das. Wenn Sie einen langen Atem haben, wird der Wald auch auf große Freiflächen zurückkehren. Sie müssen sich dabei aber überlegen: Wie wird dieser Wald aussehen? Möglicherweise haben wir irgendwann zunächst einen Birkenwald. Und wenn wir einen noch längeren Atem haben, kehrt vielleicht die Eiche zurück. Aber wir reden hier womöglich von einem Zeitraum von 200 Jahren. Unter Umständen erobern aber auch zunächst Brombeeren oder Adlerfarn das Terrain. Sie verhindern, dass sich Bäume von allein ansiedeln. Jede einzelne Fläche nimmt ihre eigene Entwicklung. Aus Sicht des Naturschutzes könnte man argumentieren, dass wir der Natur diese Zeit geben sollten. Aber aus ökonomischer Sicht stellt sich die Frage, ob wir diese Zeit wirklich haben. Selbst bei schnell wachsenden Arten wie der Birke müssen Sie bis zu 50 Jahre warten, bis sie mit forstwirtschaftlichen Einnahmen rechnen können.
Was meinen Sie: Wie wird der deutsche Wald in 50 Jahren aussehen?
Ich glaube, dass der Wald sehr viel strukturreicher werden wird. Das ist aus naturschutzfachlicher Sicht durchaus positiv zu sehen. Wir werden einen Mix aus älteren und jüngeren Beständen und offenen Flächen haben. Wir werden mehr Misch- und Laubholzbestände haben. Wir werden aber auch einen größeren ökonomischen Druck auf die vorhandenen Altbestände haben. Und das ist aus naturschutzfachlicher Sicht natürlich kritisch zu sehen. Und was die Klimaerwärmung angeht, blicke ich schon sorgenvoll auf die Zukunft unserer Wälder.
