Wanderung und Mobilität im Anthropozän

Menschliches Handeln prägt unseren Planeten und beeinflusst die Wanderungen von Tieren

Von Johnny Langenheim
Veröffentlicht am 10. März 2023, 17:14 MEZ
Der Distelfalter ist eines von vielen Tieren, deren Wanderungsmuster sich durch menschliches Handeln verändert haben. Der National Geographic-Fotograf Lucas Foglia reist in die Schweiz, um herauszufinden, wie wir unsere eigenen Wanderungen verändern müssen.
von National Geographic CreativeWorks

Der Distelfalter ist eines von vielen Tieren, deren Wanderungsmuster sich durch menschliches Handeln verändert haben. Der National Geographic-Fotograf Lucas Foglia reist in die Schweiz, um herauszufinden, wie wir unsere eigenen Wanderungen verändern müssen. Unser Planet wird von einem unsichtbaren Netz umspannt – ein sich ständig veränderndes Netzwerk, das in jeden terrestrischen Lebensraum, in unsere Ozeane, Flüsse und in die Lufträume vordringt. Es handelt sich dabei um die Wanderungsmuster, die von Milliarden von Tieren als Teil ihres Lebenszyklus geknüpft werden. Sie folgen dem Wechsel der Jahreszeiten, dem Bedürfnis nach optimalen Klimabedingungen, der Suche nach Nahrung und dem Drang, sich fortzupflanzen. Diese Wanderrouten können weniger als einen Kilometer, aber auch mehr als 40.000 Kilometer lang sein. Ob Vögel oder Schmetterlinge, Wale oder Gnus, Libellen oder Lachse, Migration ist ein grundlegendes Verhalten vieler Tiere auf der Erde – Menschen eingeschlossen.

Wissenschaftler gewinnen immer mehr Erkenntnisse über die komplexen Faktoren, die diese Wanderungen beeinflussen. Die Wanderung von Tieren ist eine adaptive Reaktion auf natürliche Umweltveränderungen. Häufig richten sie sich nach der Jahreszeit und folgen den gewohnten Strecken zu den Orten, die für die Nahrungsaufnahme oder die Fortpflanzung günstiger sind. Doch mittlerweile wirken sich menschliches Handeln wie die großflächige Bebauung und der erhöhte CO2-Ausstoß auf die Umwelt und die Ökosysteme aus, wodurch der Klimawandel beschleunigt und das Wanderungsverhalten der Tiere beeinflusst wird.

Die Wanderungsmuster des Distelfalters haben sich an eine Welt angepasst, die zunehmend vom menschlichen Handeln geprägt ist.

Foto von Lucas Foglia

„Die Wanderungen ändern sich überall. Die acht Milliarden Menschen der Erde sind der Auslöser für viele dieser Veränderungen“, so National Geographic-Fotograf Lucas Foglia. Foglia ist gerade dabei, in einem langfristigen Kunstprojekt die Mehrgenerationenwanderung des Distelfalters (Vanessa cardui) von Äthiopien nach Israel und von England in die Schweiz zu verfolgen. Er möchte versuchen, Parallelen zwischen dem Verhalten der Schmetterlinge und unserem eigenen zu ziehen. „Wohin auch immer sie fliegen, ich fotografiere, was sie auf ihrer Reise sehen.“Und diese Reise ist wirklich ein Abenteuer. Diese bunt gemusterten Schmetterlinge, die oft im Schatten ihrer berühmten Cousins stehen, den Monarchfaltern (Danaus plexippus), sind ständig unterwegs und decken dabei ein enormes Gebiet ab, das sich von Afrika südlich der Sahara bis zum Polarkreis erstreckt.

Lepidopterologen – Entomologen, die sich mit Schmetterlingen befassen – halten bei ihrer Suche nach Distelfaltern manchmal zuerst nach Kühen Ausschau, da Disteln, die zu den Lieblingspflanzen der Schmetterlinge gehören, oft dort gedeihen, wo es viel Kuhmist gibt.

Foto von Lucas Foglia

Einer der Schmetterlinge könnte etwa in Äthiopien aus seiner Puppe schlüpfen, seine Reise nach Norden antreten und dabei die Sahara und sogar das Mittelmeer überqueren, denn er kann eine Strecke von 4.000 Kilometern am Stück zurücklegen. Seine Nachkommen könnten die Reise über Süd- und Nordeuropa bis nach Skandinavien fortsetzen – und wieder zurück. Und vielleicht landet ein Jahr später ein Nachkomme der sechsten Generation auf einer Blume nicht weit von der Stelle, an der der erste Schmetterling seine Reise begonnen hat. Die Schmetterlinge sind ständig mit Fortpflanzung und Wanderung beschäftigt. Sie passen sich an die Bedingungen um sie herum an, fliegen nur bei günstigen Winden und werden vom Blütenstaub der Blumen angelockt. „Sie folgen Gelegenheitsmustern, die wir noch nicht vollständig verstehen“, so Foglia. Die jüngste Forschung hat gezeigt, dass die Zahl der Schmetterlinge, die sich auf die jährliche Wanderung begeben, um das Hundertfache und mehr schwanken kann, abhängig von der Witterung und deren Auswirkungen auf Kulturpflanzen und Wildblumen.

Aber nicht nur der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich auf die Wanderung der Schmetterlinge aus, sondern auch die Veränderungen, die der Mensch in der Landschaft selbst verursacht hat. „Distelfalter sind schon gewandert, bevor der Mensch die Landschaft geprägt hat“, so Foglia. „Jetzt trinken sie Nektar in Gärten und auf Ackerland, in Stadtparks und an den Autobahnen.“

Es ist jedoch unklar, wie sich all diese Veränderungen in den kommenden Jahrzehnten auf die Wanderung des Distelfalters auswirken werden. „Wenn sich das Klima weiter ändert, werden sie dann nicht mehr wandern? Werden sie weiter wandern? Oder werden sie weniger wandern? Werden sie ihre Wanderrouten vollständig ändern? Wir wissen es nicht. Das bleibt ein Rätsel“, so die Schmetterlingsgenetikerin Aurora García-Berro Navarro. Und alle auftretenden Veränderungen werden sich natürlich auch auf andere Arten auswirken.

Aurora García-Berro Navarro ist Wissenschaftlerin und Doktorandin. Sie beschäftigt sich mit der Genetik des Distelfalters und wie sich diese auf die Insektenwanderung auswirkt.

Foto von Lucas Foglia

„Was mit den kleinsten Arten geschieht, spiegelt sich im gesamten Nahrungsnetz wider“, so Foglia. „In meinen Fotos verbinden die Distelfalter unterschiedliche Menschen an verschiedenen Orten. Sie sind eine Metapher, sowohl für die vernetzte Welt als auch für unsere Verantwortung, sie zu erhalten.“

Moderne Verkehrsnetze weisen eine andere Komplexität auf und haben ihre eigenen wirtschaftlichen und sozialen Triebkräfte. Der Transport von Gütern und Menschen rund um die Welt hinterlässt jedoch einen beträchtlichen CO2-Fußabdruck, der die Auswirkungen auf das Klima und folglich auch die Tierwanderungen noch verschärft.

Schätzungen zufolge entfallen rund 25 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen auf den Verkehrssektor – und der Bedarf wird in den kommenden Jahrzehnten wohl weiter steigen. Um die verheerendsten Auswirkungen des Klimawandels abzumildern, ist die Dekarbonisierung unserer Verkehrsnetze eine Priorität. Die Entwicklung hin zu einem Netto-Null-Verkehrsnetz ist auch eine generationenübergreifende Aufgabe, da weniger als 30 Jahre verbleiben, um das im Pariser Klimaabkommen von 2015 festgelegte globale Netto-Null-Emissionsziel für 2050 zu erreichen und die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

DPDHL Group ist eines der größten globalen Logistik- und internationalen Versandunternehmen der Welt. Der deutsche Konzern hat sich verpflichtet, spätestens ab dem Jahr 2050 in seiner gesamten Geschäftstätigkeit keine Emissionen mehr zu verursachen. Als Senior Vice President for Strategy and Operation Programs bei DPDHL Group ist Andreas Mündel sehr darauf bedacht, dieses Ziel zu erreichen.

„Wenn man bedenkt, wie komplex diese Netzwerke sind, dann haben alle Elemente ihren eigenen ökologischen Fußabdruck, sei es das Lager, Logistikdrehscheiben oder der Transport – dann muss man alle Bereiche gleichzeitig angehen“, erklärt Mündel. „Wir bauen also CO2-neutrale Lagerhäuser, wir sind Vorreiter bei nachhaltigen Kraftstoffen, die einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck haben, wir haben bereits 24.000 Fahrzeuge der letzten Meile elektrifiziert und wollen zwei Drittel der Flotte bis 2030 elektrifizieren.“

Während die Umstellung auf elektrische Fahrzeuge bereits weit fortgeschritten ist, stelle die Dekarbonisierung des Luftverkehrs laut Mündel eine weitaus größere Herausforderung dar. Nachhaltige Flugkraftstoffe (Sustainable Aviation Fuels, SAF) aus Altfetten, -ölen und -Schmiermitteln sind ein erster Schritt, aber es braucht auch weitere neue Ansätze. „Das Nächste, was bald kommen wird, ist das emissionsfreie elektrische Fliegen“, sagt er.

Links: Oben:

Die „Eviation Alice“ wird als das erste rein elektrisch betriebene Flugzeug der Welt bezeichnet, das 250 Seemeilen zurücklegen und dabei Lasten von bis zu einer Tonne transportieren kann – und das gänzlich ohne Emissionen.

Foto von Eviation
Rechts: Unten:

Im Jahr 2027 wird DHL zwölf E-Cargo-Flugzeuge vom Typ „Alice“ erhalten, die ersten vollelektrischen Frachtflugzeuge der Welt. Die innovativen Flugzeuge, die in dieser Computeranimation zu sehen sind, spielen eine wichtige Rolle, um die Emissionen im Luftverkehr zu reduzieren – neben der Entwicklung nachhaltigerer Kraftstoffe und Technologien zur CO2-Abscheidung.

Foto von DHL

Was einst nur ein Wunschtraum war, ist heute Realität: ein elektrisch betriebenes Frachtflugzeug. Das Flugzeug „Alice“, das von dem in Israel gegründeten und in den USA ansässigen Unternehmen Eviation entwickelt wurde, verfügt über Lithium-Ionen-Batterien, die in den Rumpf und das Heck eingebaut sind, und ist für eine Reichweite von 250 Seemeilen ausgelegt. DHL hat bereits im Jahr 2021 zwölf dieser Flugzeuge bestellt, die Auslieferung wird für 2027 erwartet. „Wir sind davon überzeugt, dass es sich hierbei um den ersten Schritt einer Reihe von notwendigen Innovationen handelt, um die Luftfahrtindustrie CO2-frei zu machen“, so Mündel. Die Flugzeuge könnten dann in nationalen und regionalen Gebieten eingesetzt werden, entsprechend den Fahrzeugen von DHL auf der letzten Meile.

Für interkontinentale Transportwege wird laut Mündel eine andere Lösung erforderlich sein: „Die künftige Generation heißt Power to Liquid ... ein vollständig CO2-neutraler Kraftstoff.“Power to Liquid-Kraftstoffe (PtL) sind synthetisch hergestellte flüssige Kohlenwasserstoff-Kraftstoffe, die mit erneuerbarem Strom, Wasser und CO2 aus der Luft hergestellt werden und einen geschlossenen Kreislauf bilden.

„Ich habe Physik studiert“, fügt Mündel hinzu. „Und dieses Thema ist für Physiker äußerst faszinierend: Wie kann man ein so komplexes System CO2-frei machen? Ich bin der Auffassung, dass ich das für meine Kinder mache. Ich mache meine Arbeit, um den Planeten zu retten … Ich denke, das ist die größte Motivation, die man haben kann.“

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