Wie ein Kühlschrank Einstein dazu brachte, um die Erforschung von Atombomben zu bitten

Der große Physiker war ein bekennender Pazifist – warum also drängte er die USA zur Finanzierung einer solch tödlichen Waffe?

Von Erin Blakemore
Veröffentlicht am 3. Nov. 2017, 09:58 MEZ
Nach der Detonation einer Atombombe schwebt 1945 ein Atompilz über Nagasaki.
Foto von U.S Army Air Force, via Library of Congress

Albert Einsteins Berühmtheit geht zu großen Teilen auf eine Gleichung zurück, die er der Welt vorgestellt hat: E = mc². Im Wesentlichen entdeckte er, dass Energie und Masse austauschbar sind. Damit bereitete er den Weg für Atomenergie – und Atomwaffen.

Sein Anteil am Drama des Atomkrieges hätte dort enden können, wäre da nicht ein einfacher Kühlschrank gewesen.

Als er in den 1920ern in Berlin lebte, arbeitete der Physiker zusammen mit dem Ungarn Leo Szilár an der Entwicklung und Patentierung eines energieeffizienten Kühlschranks. Ihr Design schaffte es nie an den Markt. Aber die Arbeit des Duos verwickelte Einstein – einen erklärten Pazifisten – schließlich in das Rennen um die Entwicklung einer Atombombe im Zweiten Weltkrieg.

Mehr als sieben Jahrzehnte, nachdem nukleare Explosionen Hiroshima und Nagasaki erschüttert haben, verhandeln die Vereinten Nationen nun erstmals über einen Vertrag, der Atomwaffen weltweit verbieten soll. Schon Einstein selbst hat sich dafür in seinem späteren Leben vehement eingesetzt, da ihn die tödlichen Konsequenzen seiner wissenschaftlichen Arbeit quälten.

„Seine Brillanz war auch sein Untergang“, sagt der Fulbright- und National Geographic-Stipendiat Ari Beser. „Die Revolution, die mit der Spaltung des Atomkerns begann, benötigt auch eine moralische [Revolution].“

KETTENREAKTION

Auch nachdem Szilárd und Einstein ihre Zusammenarbeit im Bereich der Haushaltsgeräte beendet hatten, blieben die zwei Wissenschaftler in Kontakt.

1933 – das Jahr, in dem Adolf Hitler Reichskanzler wurde – entdeckte Szilárd die nukleare Kettenreaktion: ein Prozess, der die Energie aus Atomen freisetzt, um gewaltige Explosionen zu erzeugen. 1939 war er schließlich überzeugt davon, dass deutsche Wissenschaftler die aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen nutzten, um eine Atomwaffe zu entwickeln.

Also trat er an seinen ehemaligen Kollegen – und den zu jener Zeit berühmtesten Physiker der Welt – heran und bat ihn, den US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt zu warnen.

Szilárd besuchte Einstein in New York mit zwei anderen Flüchtlingen: den ungarischen Wissenschaftlern Edward Teller und Eugene Wigner. Als sie ihm von der Möglichkeit einer nuklearen Kettenreaktion berichteten, war Einstein schockiert von der Gefahr, die von seiner speziellen Relativitätstheorie aus dem Jahr 1905 ausging.

„Er betrachtete seine Theorie definitiv nicht als eine Waffe“, sagt Cynthia Kelly, Präsidentin der Atomic Heritage Foundation. Die gemeinnützige Organisation wurde gegründet, um das Manhattan-Projekt und dessen weitreichendes Vermächtnis zu bewahren und zu interpretieren. Aber „er begriff das Konzept schnell.“

Zusammen mit den anderen Wissenschaftlern setzte Einstein einen Brief an Roosevelt auf. Darin warnte er den Präsidenten davor, was passieren konnte, wenn die Wissenschaftler der Nationalsozialisten vor den USA eine Atombombe entwickeln würden.

„Es scheint fast sicher, dass [eine nukleare Kettenreaktion] in unmittelbarer Zukunft erreicht werden könnte“, schrieb er und schlug Alarm ob der „extrem mächtigen Bomben eines neuen Typs“. Er riet Roosevelt zur Finanzierung einer Initiative für die Erforschung von Atomenergie.

Roosevelt nahm diese Warnung ernst. Am 21. Oktober 1939, zwei Monate nach dem Erhalt des Briefs und nur weniger Tage nach der deutschen Invasion von Polen, traf sich das von Roosevelt berufene Beraterkomitee für Uranium zum ersten Mal. Es war der Vorgänger des Manhattan-Projekts – das streng geheime Regierungsprojekt, das schließlich eine funktionierende Atombombe entwickeln würde.

EIN SCHWIERIGES VERMÄCHTNIS

Das Komitee erhielt nur Mittel in Höhe von 6.000 Dollar. Daher schrieb Einstein weiterhin an den Präsidenten, unterstützt von Szilárd, der große Abschnitte der Briefe verfasste. Ein Brief warnte sogar davor, dass Szilárd zentrale Ergebnisse der nuklearen Forschung in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlichen würde, wenn die Initiative nicht mehr Mittel erhielte.

Auf diese Weise half Einstein, den Funken für das Manhattan-Projekt zu entzünden, sagt Kelly, „aber seine tatsächliche Beteiligung war sehr geringfügig.“ Die FBI-Akte über den unverblümten Physiker – der offen Kritik an Rassismus, Kapitalismus und Krieg übte – sollte am Ende auf über 1.400 Seiten anwachsen.

„Im Hinblick auf seinen radikalen Hintergrund“, schrieb das FBI, „würde dieses Büro die Anstellung von Dr. Einstein in Angelegenheiten geheimer Natur nicht empfehlen.“ Am Ende erhielt Einstein nie eine Sicherheitsfreigabe, um am Manhattan-Projekt zu arbeiten.

Trotzdem wird sein Name auf ewig mit der Waffe in Verbindung stehen, die aus seiner größten Entdeckung heraus geboren wurde. Er war am Boden zerstört von der Nachricht über die Bombardierung Hiroshimas – und gedemütigt von einem Titelbild des Nachrichtenmagazins TIME von 1946, welches ihn vor einem Atompilz zeigte, auf dem seine berühmte Gleichung E = mc² zu sehen war.

Einsteins arbeitete den Rest seines Lebens daran, die Welt vor den Gefahren der Weiterverbreitung nuklearer Waffen zu warnen. Er tat sich aber schwer damit, die Bedeutung seiner Verantwortung zu begreifen.

„Er ist der Vater“ der Atombombe, sagt Beser. Er ist der Enkel des einzigen US-Soldaten, der an Bord beider Flugzeuge war, welche die Atombomben nach Japan geflogen haben.

Heute nutzt Beser seine Erzählkunst, um die Folgen von Atomwaffen zu veranschaulichen. Er besuchte zum Beispiel Auschwitz mit einem Überlebenden aus Nagasaki. Dieser war erstaunt über die Verbindungen zwischen der Bombe, die Hunderttausende Zivilisten getötet oder verwundet hatte, und einem anderen Schrecken der Geschichte – dem Holocaust.

„Mir waren die fürchterlichen Gefahren für die ganze Menschheit sehr bewusst, falls diese Experimente Erfolg hätten“, schrieb Einstein 1952 über die Entwicklung der Atombombe in einer japanischen Zeitschrift. „Ich sah keinen anderen Ausweg.“

Für Beser veranschaulicht Einsteins Dilemma die Widersprüche des Menschseins: „Die Spaltung des Atoms hat alles verändert, außer unserer Art zu denken“, klagt er.

In den kommenden Wochen werden Regierungen über die Details eines Atomwaffenverbots sprechen. Dabei werden sie sich mit dem Vermächtnis auseinandersetzen müssen, das Einstein in seinem innigst gehegten Wunsch nach einer friedlicheren Welt hinterließ.

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