88.000 Jahre alter Fingerknochen in archäologischer „Goldmine“ entdeckt

Der Fund in Saudi-Arabien könnte den Zeitstrahl der menschlichen Auswanderung aus Afrika verschieben.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 10. Apr. 2018, 14:49 MESZ
Finger
Der versteinerte Fingerknochen eines Homo sapiens wurde im Nordosten Saudi-Arabiens an einem ehemaligen See gefunden.
Foto von Ian Cartwright

Vor mehr als 85.000 Jahren sah die arabische Halbinsel noch deutlich anders aus als die weite, sandige Ebene, die wir heutzutage kennen.

Die Region war von üppigem Grasland geprägt, das während der jährlichen Regenzeit aufblühte und von Hunderten Süßwasserseen durchzogen war. Forscher haben Spuren wasserbewohnender und teilweise im Wasser lebender Säugetiere gefunden, darunter auch Flusspferde, die sonst eher mit Subsahara-Afrika assoziiert werden. Sie fanden außerdem Steinwerkzeuge, die auf eine frühe menschliche Präsenz auf der Halbinsel hindeuten, aber keine direkten Fossilbeweise – bis jetzt.

Ein einzelner menschlicher Fingerkonchen, der 2016 an einem ausgetrockneten alten See in Saudi-Arabien gefunden wurde, wurde nun auf ein Alter von etwa 88.000 Jahren datiert, wie in einer Studie in „Nature Ecology and Evolution“ nachzulesen ist.

Das weiße Sediment an der archäologischen Stätte Al Wusta deutet darauf hin, dass der Ort einst von einem Süßwassersee bedeckt war.
Foto von Klint Janulis

Um die Überreste von Saudi-Arabiens grüner Vergangenheit ausfindig zu machen, sahen sich die Archäologen Satellitenbilder der Region an, um nach Spuren prähistorischer Seen zu suchen.

„Wir haben 10.000 alte Seen in Arabien gefunden. Wir waren bei etwa 200, und an etwa 80 Prozent davon gab es archäologische Spuren“, sagt Michael Petraglia vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Er ist der Projektleiter und einer der Autoren der neuen Studie.

Viele Seen der Region waren vermutlich saisonal, wie Petraglia anmerkt, und schrumpften während der Trockenzeit zusammen, bis der Monsun sie wieder auffüllte. Der alte See an der archäologischen Stätte Al Wusta war aber vermutlich ganzjährig mit Wasser gefüllt. Laut dem Co-Autor der Studie Huw Groucutt haben Archäologen an Al Wusta auch Hunderte Fragmente von Steinwerkzeugen gefunden.

FRÜHER AUSZUG

Wann genau die Menschen erstmals Afrika verließen, wird unter Archäologen und Paläoanthropologen noch immer diskutiert. Viele sind der Meinung, dass es keine verlässlichen Beweise für eine Massenmigration von Subsahara-Afrika nach Norden und Osten gibt, die älter als 60.000 Jahre sind.

2007 stellte Petraglia die kontroverse Behauptung auf, dass moderne Menschen schon vor 74.000 Jahren weiter östlich bis nach Indien hin präsent waren.

„Ich bin seit über zehn Jahren in Debatten verwickelt“, sagt er.

„Wir haben argumentiert, dass der Homo sapiens es schon vor dieser Zeit nach Südasien geschafft hat. Das haben wir aus Steinwerkzeugen geschlossen, aber wir konnten das nicht mit Fossilien untermauern“, erklärt er.

2014 warf er dann ein Auge auf die Arabische Halbinsel. In dem ehemaligen Grasland hätten auch Jäger und Sammler überleben können, daher stellte er die Theorie auf, dass es ein natürliches Sprungbrett auf dem Weg aus Afrika heraus war.

Fossilien früher Menschen, die in Marokko gefunden wurden, verorten den Menschen schon vor 300.000 Jahren in Afrika. Außerhalb des Kontinents wurden allerdings nur sehr wenige Fossilen gefunden, die älter als 60.000 Jahre sind. Im Januar entdeckte man dann aber ein 180.000 Jahre alter Kiefer in Israel.

Sowohl Petraglia als auch Groucutt sind der Meinung, dass der menschliche Fingerknochen aus Saudi-Arabien auf eine verzweigtere menschliche Migration hindeutet, als man bisher vermutet.

„Wir waren vielleicht an hundert verschiedenen Stätten in Arabien und an fast jeder gibt es Steinwerkzeuge“, sagt Groucutt. „Man kann nicht mal aus dem Auto steigen, ohne Steinwerkzeuge zu finden. Die Herausforderung bestand darin, einen Ort mit menschlichen Überresten zu finden.“

Das Forscherteam weiß bislang wenig über den 2,5 Zentimeter langen Knochen. Ob er einem Mann oder einer Frau gehörte und welches Alter der Mensch hatte, kann ohne weitere Hinweise nicht bestimmt werden.

„Ich denke einfach nicht, dass ein Knochen ausreicht, um zu sagen, ob dieser Fingerknochen von einem modernen Menschen stammt“, warnt John Hawks, ein Anthropologe der Universität Wisconsin-Madison, der an der Studie nicht beteiligt war. „Es ist zu früh, um zu sagen, dass das ein Zeugnis der menschlichen Ausbreitung ist.“

„Ich denke, das zeigt deutlich, dass wir viel mehr auf der Arabischen Halbinsel forschen sollten, weil es dort noch mehr zu entdecken geben wird.“

ARCHÄOLOGISCHE GOLDMINE

Petraglia ist ebenfalls der Meinung, dass Saudi-Arabien, das ausländischen Wissenschaftsteams erst seit Kurzem Zugang gewährt, großes Potenzial für weitere bedeutende Entdeckungen hat.

„In jeder Saison, in der wir dort sind, machen wir eine neue Entdeckung“, sagt er. „Wir haben sehr große Pläne, unsere Arbeit an den alten Seen fortzusetzen, und wir werden unsere Arbeit auch auf Höhlen ausweiten. Das ist eine Goldmine.“

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