Überraschungsfund: Lebensformen in 600 Metern Tiefe entdeckt

Eigentlich dachten Forscher, dass Cyanobakterien zum Überleben Sonnenlicht benötigen.

Von Maya Wei-Haas
Veröffentlicht am 2. Okt. 2018, 16:07 MESZ
Cyanobakterien
Die mineralische Beschaffenheit der Region rund um den Rio Tinto in Spanien weist große Ähnlichkeiten mit dem Marsgestein auf. Nicht zuletzt deshalb haben viele Wissenschaftler die Lebensformen untersucht, die in dieser schwierigen Umgebung überleben.
Foto von Westend61, Getty

Der Pyritgürtel der südiberischen Halbinsel wirkt wie eine Filmkulisse für einen Alien-Film: Eine eisenhaltige Landschaft, die von rostroten Seen durchzogen ist. Der Rio Tinto, der nach seiner leuchtend roten Färbung benannt ist, schlängelt sich wie eine rote Ader durch das blasse Gestein. Gräbt man ein wenig tiefer, trifft man sogar auf noch Seltsameres.

Zur Überraschung der Wissenschaftler hat man in etwa 600 Metern Tiefe Cyanobakterien gefunden, die in einer unwirtlichen Umgebung gedeihen, die nur wenig Wasser, Nährstoffe und Sonnenlicht bietet. Eigentlich hatten Forscher angenommen, dass diese Mikroben nur bei ausreichend Sonnenlicht überleben könnten. Insgesamt handelt es sich aber um sehr robuste Lebewesen, die man so gut wie überall auf der Erde findet.

„Wenn man in die Wüste geht, findet man dort Cyanobakterien. Fährt man aufs Meer, findet man Cyanobakterien. Wenn man zur ISS fliegt, kann man [die Mikroben] mit hinaufnehmen und wieder runter auf die Erde bringen und sie überleben das“, sagt Fernando Puente-Sánchez, ein Forscher am spanischen Nationalzentrum für Biotechnologie.

„Der letzte Lebensraum, an dem wir sie zuvor noch nicht entdeckt hatten, war unterhalb der Erdoberfläche.“

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Cyanobakterien spielen in der Geschichte der Erde eine wichtige Rolle. Sie haben unsere Atmosphäre mit Sauerstoff angereichert und dafür gesorgt, dass das Leben heutzutage in zahlreichen Formen über die Erde schwimmen, hüpfen, galoppieren und fliegen kann. Aus diesem Grund sorgt die neue Studie, die in „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschien, bei Wissenschaftlern langsam für ein Umdenken darüber, was in den Tiefen unter unseren Füßen eigentlich überleben kann. Womöglich wird das auch unsere Suche nach außerirdischem Leben auf dem Mars (und anderen Planeten) beeinflussen.

Tiefenforschung

Puente-Sánchez, der zuvor am Centro de Astrobiología in Spanien geforscht hatte, war ursprünglich gar nicht auf der Suche nach Cyanobakterien, als er Bohrkerne aus dem Pyritgürtel untersuchte. Stattdessen hatte das Team mit ähnlichen Bakterien wie an der Oberfläche gerechnet, darunter auch Mikroben, die Eisen und Schwefel oxidieren.

„Aber die fanden wir nicht“, sagt er. Das Gestein war mit Cyanobakterien übersät. Zunächst dachte er, er hätte einen Fehler gemacht. Er erinnert sich noch, wie er sich damals darüber geärgert hat: „Meine Doktorarbeit geht überhaupt nicht voran. Mein Betreuer wird mich umbringen.“

Kontrollproben bestätigten jedoch, dass die Mikroben nicht über Verunreinigungen durch die Bohrflüssigkeit oder Laborarbeiten an das Gestein kamen. Außerdem fanden sich die Cyanobakterien nicht in einer zufälligen Verteilung an den Proben, wie man es erwarten würde, wenn das Gestein durch Flüssigkeit verunreinigt worden wäre. Stattdessen scharten sie sich entlang der Bruchstellen im Gestein zusammen und erkämpften sich in diesen winzigen Lufteinschlüssen eine Existenz.

Das Team bestätigte zudem, dass die Zellen lebten und es sich nicht nur um tote Überreste handelte, die irgendwie in diese Tiefen gelangt waren. Dabei nutzten sie eine Methode namens CARD-FISH, die dabei hilft, das genetische Material im Ribosom der Zellen zu identifizieren. Wenn eine Zelle stirbt, zersetzt sich dieses Material sehr schnell.

Die Lebenszeichen warfen allerdings auch eine neue Frage auf: „Was zur Hölle machen sie dort? Wie überleben sie?“, fragte sich Puente-Sánchez.

Keine Angst im Dunkeln

Die Cyanobakterien scheinen sich nicht groß von ihren Verwandten zu unterscheiden, die an der Oberfläche gedeihen. Metagenomische Analysen deuteten darauf hin, dass es sich um Nachfahren von Stämmen handelt, die in unwirtlichen Umgebungen auf und in Gestein leben, beispielsweise in der Wüste oder in dunklen Höhlen.

Dennoch ging man davon aus, dass Cyanobakterien selbst in der düstersten Höhle noch einige umherirrende Photonen einfangen und die Sonnenenergie nutzen, um Wasser aufzuspalten und während der Photosynthese Elektronen freizusetzen. Wie also überleben die unterirdischen Bakterien ohne Licht?

Eine aktuelle Studie bestätigte zum ersten Mal, dass Cyanobakterien – hier sichtbar als leuchtend rote Flecken – in den Rissen und Poren von Gestein tief unter der Oberfläche überleben können, weit weg von den wärmenden Strahlen der Sonne.
Foto von PNAS

Die Cyanobakterien aus dem Pyritgürtel scheinen Wasserstoff-Elektronen jedoch mit Hilfe eines Mechanismus zu verarbeiten und freizusetzen, den ihre Verwandten an der Oberfläche zur Photosynthese verwenden. Genau genommen nutzen die Mikroben das „Sicherheitsventil“ des Mechanismus aus, das Elektronen freisetzt und so kleine Mengen an Energie erzeugt.

Die Oberflächenmikroben brauchen diese zusätzliche Energie eigentlich nicht, da ihnen Sonnenlicht zur Verfügung steht. Sie nutzen das Ventil nur, um überschüssige Energie loszuwerden, wenn die Lichteinstrahlung sehr intensiv ist. Aber die unterirdischen Cyanobakterien scheinen teilweise von diesen winzigen Energieschüben aus den Ventilen zu leben.

Alles auf eine Karte

„Das ist eine ziemlich coole Idee“, findet Jennifer Biddle, eine Ökologin der University of Delaware, die an der Arbeit nicht beteiligt war. „Sie müssen keinen großen Teil ihrer Zellmaschinerie austauschen, um das tun zu können.“

Trotzdem sei die Nutzung des Photosynthese-Systems nicht unbedingt überraschend, sagt Virginia Edgcomb. Die Mikrobiologin ist auf unterirdische und marine Biosphären spezialisiert und war an der Studie nicht beteiligt. Mikroorganismen, die in anspruchsvollen Umgebungen leben, müssen anpassungsfähig sein, um zu überleben.

„Das ist wie mit der Analogie, alles auf eine Karte zu setzen“, sagt sie. „Es macht keinen Sinn, alles auf eine Karte zu setzen, weil man flexibel sein muss. Man muss in der Lage sein, verschiedene Dinge als Kohlenstoffquelle oder Elektronenakzeptor zu nutzen, da es wahrscheinlich ist, dass die Lebensbedingungen ziemlich einschränkend und unvorhersehbar sind.“

Sowohl Biddle als auch Edgcomb verweisen darauf, dass sie zuvor schon Spuren von Cyanobakterien in anderen unterirdischen Proben gesehen haben. Allerdings wurden diese Mikroben größtenteils ignoriert oder für Verunreinigungen gehalten.

„Vor dieser Studie gab es eigentlich keine handfesten Beweise dafür, dass es sich bei den Cyanobakterien aus Proben von unterirdischen Biosphären nicht einfach um Verunreinigungen handelte“, so Edgcomb.

Life on Mars?

Der neue Fund könnte auch Konsequenzen für die Suche nach außerirdischem Leben haben, sagt Puente-Sánchez. Besonders die Region um den Rio Tinto gilt Dank ihrer eisen- und schwefelhaltigen Minerale schon länger als Analogie zur Marslandschaft.

Die aktuelle Studie hebt die Anpassungsfähigkeit von Lebewesen und die Möglichkeit unterirdischer Lebensgemeinschaften auf dem Mars hervor. Tief unter der Oberfläche des Roten Planeten könnten Mikroben vor der schädlichen Strahlung, die unablässig die Oberfläche bombardiert, Schutz finden. Für das Jahr 2020 ist der Start von zwei Rovern geplant, die auf dem Mars nach Lebenszeichen suchen sollen: der ExoMars der Europäischen Weltraumagentur und der Mars 2020 der NASA. Beide verfügen über Bohrer zur Entnahme von Gesteinsproben, in denen sie nach Spuren von Mikroben suchen können, die vor langer Zeit auf dem Mars lebten. Womöglich werden sie dort aber auch deutlich jüngere Lebenszeichen finden.

„Ich behaupte nicht, dass es auf dem Mars Cyanobakterien gibt“, sagt Puente-Sánchez. Er findet eher, dass wir stattdessen unsere Vorstellung davon überdenken sollten, welche Umgebungen jenseits unseres Planeten Leben beherbergen könnten.

„Was wir für eine sehr unwirtliche Umgebung halten – zum Beispiel unter der Oberfläche oder auf dem Mars –, ermöglicht eigentlich Leben.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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