Bitte Lächeln: Die Mimik der Mäuse und ihre Bedeutung für die Emotionsforschung

Die Neurobiologin Dr. Gogolla erklärt, wie die Forschungen an Gesichtsausdrücken von Mäusen zur Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen beitragen könnten.

Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 7. Mai 2020, 11:23 MESZ
Können Tiere lachen Forschung

Say cheese! Es gibt zahlreiche Fotos wie dieses, von lachenden oder traurigen Tieren. Ein echtes Lächeln oder ein glücklicher Schnappschuss? Forscher konnten nun fünf unterschiedliche Gesichtsausdrücke bei Mäusen nachweisen und erzeugen. 

Foto von Giuseppe Martini, Unsplash.com

Eine neue Studie hat gezeigt, dass man die Gefühle einer Maus in ihrem Gesicht ablesen kann. Niedlich, oder? Doch hinter dieser Erkenntnis steckt für die Neurobiologen des Max-Planck-Instituts viel mehr: Sie können Emotionen besser verstehen und hoffen dadurch neue Therapieansätze für Angststörungen oder Depressionen zu finden.

Was sind Emotionen und Gefühle?

„Derzeit gibt es keine von allen Wissenschaftlern allgemein anerkannte Definition von Emotionen oder Gefühlen“, erklärt Dr. Nadine Gogolla, Leiterin der Max-Planck-Studie. „Die meisten Gehirnforscher, die sich mit Emotionen befassen, definieren sie als komplexe innere Zustände, die durch Verarbeitung und Interpretation von inneren und äußeren Reizen im Gehirn entstehen. Weitestgehend unbestritten ist auch, dass Emotionen zu bestimmten Reaktionsmustern führen, sich also in einem Verhalten, Hormonausschüttung, und körperlicher Veränderung ausdrücken. Gefühle werden hingegen von den meisten Neurowissenschaftlern als die bewusste Wahrnehmung von emotionalen und körperlichen Zuständen definiert, aber auch hier gibt es Kontroversen.“

Freude Ekel, Angst, Schmerz und Unwohlsein – fünf Emotionen, die alle Menschen mit den gleichen, wiedererkennbaren Gesichtsausdrücken spiegeln. Und nicht nur in der menschlichen Mimik lassen sich Emotionen ablesen. Was mancher Haustierbesitzer schon ahnte: Auch Tiere zeigen diese fünf emotionalen Ausdrücke, wie die WissenschaftlerInnen des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie mit Methoden der maschinellen Bildverarbeitung zeigen konnten. Der Computeralgorithmus konnte  sogar die relative Stärke dieser Emotionen eindeutig messen.

Evolutionäre Vorteile der Mimik?

Laut Dr. Gogolla gibt es verschiedene Hypothesen, warum Menschen und auch Tiere universelle Gesichtsausdrücke haben. „Eine erste Erklärung wäre, dass Gesichtsausdrücke es dem Organismus erlauben, Sinneserfahrungen an die emotionale Situation oder den Reiz anzupassen. Weiten sich bei Angst die Augen und stellen sich die Ohren auf, können Gefahren aus der Umgebung schnell erfasst und eventuell vermieden werden. Bei Ekel werden alle Sinnesorgane vom Stimulus abgewendet, um möglichst wenig des eventuell krankmachenden Reizes abzubekommen, oder ihn im Extremfall durch Würgen oder Erbrechen wieder auszuspucken. Bei der Freude geht es eher darum, möglichst viel von dem Reiz aufzunehmen.“ Eine zweite, weiterführende Hypothese geht davon aus, dass Gesichtsausdrücke, die bei Artgenossen oder anderen Tieren die gewünschten Reaktionen auslösen und besonders gut erkannt wurden, evolutionär erhalten und verstärkt wurden. „Ein Baby, egal ob Tier oder Mensch, das seine Freude über eine Mahlzeit kund tut, konnte vielleicht besser gefüttert werden. Ein Tier, das seine Aggression besonders effizient zeigte, konnte sich eventuell besser durchsetzen, jagen oder sich verpaaren. Wer stark auf Angst reagiert, hat sich eventuell besser vor Gefahren geschützt und wer es seinen Artgenossen mitteilen konnte, konnte so die ganze Familie retten“, meint Dr. Gogolla.

Aufbauend auf den verschiedenen Gesichtsausdrücken einer Maus wollen Forscher nun die neuronalen Grundlagen der Emotionen untersuchen. Von links nach rechts: Freude, Angst und Schmerz.

Foto von Julia Kuhl

Emotionen sind mehr als nur Mimik

Die Studie „Facial expressions of emotion states and their neuronal correlates in mice“ (Nejc Dolensek, Daniel A. Gehrlach, Alexandra S. Klein, Nadine Gogolla) konnte nun zeigen, dass die körperliche Veränderung, also der Gesichtsausdruck bei Mäusen, nicht nur eine Reaktion auf die Umwelt ist. Erstmals wurde auch der innere Wert des auslösenden Reizes gemessen. „Hungrige Mäuse, die eine Zuckerlösung schleckten, zeigten viel freudigere Gesichtsausdrücke, als satte. Eine leicht salzige Lösung rief einen zufriedenen Ausdruck hervor, eine sehr salzige jedoch eine angeekelte Mimik“, erklärt Nadine Gogolla den Rückschluss der Forscher, dass die Mimik unabhängig vom sensorischen Reiz tatsächlich den inneren, individuellen Charakter einer Emotion widerspiegelt.

Individueller Wert einer Emotion

Der individuelle Charakter beschreibt einen bisher von der Wissenschaft nicht kontrollierbaren Einfluss auf Emotionen. „Emotionen sind ein komplexer, innerer Zustand. Sie können durch Reize aus der Umgebung aber auch aus dem Inneren hervorgerufen werden. Sie sind aber immer von dem körperlichen und inneren Zustand, der Erfahrung und der Interpretation des Individuums abhängig. So wird ein identischer Reiz in unterschiedlichen Individuen nie den genau gleichen Emotionszustand hervorrufen. Während wir in unserer Studie äußere Reize benutzen, die mit großer Wahrscheinlichkeit eine gewisse Emotion in einem naiven Tier hervorrufen, hängt die hervorgerufene Emotion stark von der individuellen Erfahrung und Interpretation dieses Reizes ab – dem ‚individueller Charakter‘ einer Emotion.“

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Die Neurobiologen gehen davon aus, dass äußerliche Reize in den meisten Fällen (vor allem unter kontrollierten Versuchsbedingungen) bestimmte Emotionen hervorrufen. Diese Emotionen sind aber immer die Summe verschiedener Zustände. „Der Reiz Zucker, plus der körperliche Zustand Hunger und die Erfahrung, dass mir Zucker gut tut, wird interpretiert als `wenn ich das zu mir nehme, wird es mir gut gehen´. Erst zusammengefügt ergibt sich daraus die Emotion Freude“, erklärt Dr. Gogolla beispielhaft. „Weicht jedoch einer der Zustände ab, ist man satt oder wird einem von Zucker schlecht, dann ergibt sich durch den Reiz auch eine andere Emotion. Da wir zeigen konnten, dass die Gesichtsausdrücke in Antwort auf denselben Reiz sich ändern, wenn wir den körperlichen Zustand oder die Erfahrungen mit dem Reiz ändern, gehen wir davon aus, dass die Gesichtsausdrücke eine Expression der Emotion sind.“

Mithilfe moderner Technologie konnten die ForscherInnen des Max-Planck-Instituts sechs Gesichtsausdrücke der Mäuse kategorisieren.

Foto von Julia Kuhl

Prozesse im Gehirn messen

Die wichtigste Erkenntnis an der Entdeckung der Maus-Mimik ist, dass die Wissenschaft „Emotionen besser und genauer messen kann. Das erlaubt uns die Prozesse im Gehirn zu identifizieren, die Emotionen überhaupt erst hervorbringen“, so Dr. Gogolla. Waren die Ergebnisse bisher nicht eindeutig, konnten die Neurobiologinnen und Neurobiologen durch Aktivierung emotionserzeugender Hirnregionen verschiedene emotionale Gesichtsausdrücke bei den Mäusen hervorrufen. „Das ermöglicht es, die neuronalen Grundlagen verschiedener Emotionen zu verstehen und zu erforschen, wo und wie unterschiedliche Eigenschaften von Emotionen im Gehirn entstehen.“

Die computergestützte Gesichtsausdrucks-Analyse kann im Bruchteil einer Sekunde die Intensität und Art einer Emotion messen und mit der Aktivität in relevanten Gehirnregionen vergleichen. Solch eine Hirnregion ist zum Beispiel die Inselrinde. „Die Tatsache, dass wir in der Inselrinde, einer Gehirnstruktur die beim Menschen sehr eng mit dem subjektiven Empfinden von Emotionen in Verbindung gebracht wird, auch in der Maus einzelne Nervenzellen finden, die spezifischen emotionalen Gesichtsausdrücken folgen, ist sehr interessant“, so die Studien-Leiterin. „Es ist ein erster wichtiger Hinweis darauf, dass die Gesichtsausdrücke uns tatsächlich zu einem besseren Verständnis der Emotionsverarbeitung verhelfen werden.“

Außerdem hoffen die Forscher den wissenschaftlichen Konsens über Emotionen zu schärfen. „Gibt  es verschiedene Kategorien oder Basisemotionen? Wir hoffen, dass wir durch die genauere Beschreibung der Emotionszustände und auch deren Gehirnmechanismen in Zukunft Antworten auf diese Fragen finden können. Kann man Gehirnzustände und Verhaltensmuster, körperliche Reaktionen usw. klassifizieren, wird man Emotionen genauer definieren. Wir hoffen, dass unsere Studie ein Schritt in diese Richtung ist.“

Ein Lächeln für ein Lächeln: Hilfe gegen psychiatrische Erkrankungen

Ein besseres Verständnis von Emotionen ist eine wichtige Voraussetzung für die Erforschung und Entwicklung von Therapieansätzen für Verarbeitungsstörungen wie Angststörungen oder Depression. „Die Identifizierung der neuronalen Mechanismen die zur Entstehung und Regulierung von Emotionen beitragen, könnten zu neuen Therapieansätzen für emotionale Störungen führen. Auch die Tatsache, dass unsere Forschung verschiedene Kategorien von Emotionszuständen in Mäusen nachweisen konnte, und auch in der Inselrinde Nervenzellen identifiziert die emotionale Zustände widerspiegelt, stützt die Hoffnung, dass wir mit Hilfe von Mäusen grundlegende Erkenntnisse über die neuronalen Prozesse der Emotionen gewinnen können, die auch für Menschen relevant sind.“

Genau das treibt die Neurobiologin Dr. Godolla an: „Ich möchte verstehen wie das Gehirn funktioniert. Eine der für mich faszinierendsten aber auch am wenigsten verstandenen Eigenschaften des Gehirns ist es, dass es Emotionen hervorbringt, die wir Menschen oft als Gefühle wahrnehmen. Emotionen beeinflussen unser Handeln, unseren Körper und unsere Wahrnehmung fundamental, aber wir verstehen sie immer noch sehr wenig. Wie entstehen Emotionen und Gefühle im Gehirn? Was passiert im Gehirn, wenn die Emotionen gestört sind, wie z.B. bei sehr vielen psychiatrischen Erkrankungen? Ich hoffe, dass wir in der Zukunft durch ein besseres Verständnis von Emotionen dazu beitragen, dass neue Therapieansätze für psychiatrische Erkrankungen gefunden werden.“

 

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