Im Gespräch mit James Cowpar, Mitglied des Eagle-Clans von der Haida Gwaii-Inselgruppe in British Columbia
Zu Haida Gwaii gehören rund 150 Inseln entlang der nördlichen Küste von British Columbia. Sie sind für ihre Artenvielfalt, unberührte Schönheit und gemäßigte Regenwälder bekannt.
Wie ein Pfad aus Trittsteinen, die in eine wildere Welt führen, verteilen sich die Inseln von Haida Gwaii vor der Nordküste British Columbias auf dem Pazifik. Sie sind ein Ort abgeschiedener, geradezu spiritueller Schönheit. Das Volk der Haida lebt schon seit jeher auf diesen Inseln und kennt auch heute noch ihre Steine und Wurzeln, Vögel und Bären, Gezeiten und Bäume so gut wie ihren eigenen Herzschlag.
Diese erstaunlich artenreichen Inseln werden von Reisenden aus aller Welt auch als „Galapagosinseln des Nordens“ bezeichnet. Sie sind der perfekte Ort, um zu entschleunigen und dem immer höheren Tempo der modernen Welt zu entfliehen. Ob Sie in traditionellen Langhäusern übernachten, unter dem Sternenhimmel schlafen oder Schwarzbären, Orcas und Adler in ihrer natürlichen Umgebung beobachten – immer geht es darum, eins mit der Natur und ihren jahreszeitlichen Rhythmen zu werden. Ist Ihnen das einmal gelungen, kann diese Erfahrung Ihr Leben grundlegend verändern.

James Cowpars Haida-Name ist Sk'aal Ts'iid („Goldspecht“). Dieser Vogel wird in der Kultur seines Volkes hochgeschätzt. Seine leuchtenden orangefarbenen Schwanzfedern wurden traditionell für den Kopfschmuck der Stammesführer verwendet.
Im Jahr 2000 gründete James, der dem Tsaahl-Egale-Clan angehört, gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder William Shawn (dessen Haida-Name Kung X angajii „Mondschatten“ bedeutet) die Haida Style Expeditions. Ihr inzwischen sehr erfolgreiches Unternehmen bietet Kulturerlebnisse und Angelausflüge an. Ihm zugrunde liegt die tiefe Liebe zu Land und Meer und der innige Wunsch, die über Generationen überlieferten Geschichten der Haida mit anderen Menschen zu teilen und das vielfältige Ökosystem und Erbe Haida Gwaiis zu schützen.
Während James uns von seinem Leben auf den Inseln erzählt, wird er ruhig. „Meine Kindheit habe ich im Freien verbracht. Stundenlang habe ich ungestört am Strand gespielt. Wir suchten nach riesigen Mondfischen und beobachteten Bären, wie sie am Bach entlangrannten. Ich war ganz in Einklang mit Mutter Natur. Heute spielen Kinder mit Tablets, doch unsere Tablets waren die Steine, die wir auf der Suche nach Krabben hochhoben. Wir haben Dinge erlebt, die längst nicht mehr selbstverständlich sind: Wir erkundeten uralte Wälder, gingen bei Ebbe spazieren, verbrachten die Nächte draußen im Mondschein. Es war wunderbar, hier aufzuwachsen. Inzwischen bin ich fast 46 Jahre alt und finde es immer noch großartig.“
James hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, diese wunderbare Welt mit anderen zu teilen. „Wir unterstützen die Gemeinde, indem wir Kinder ab etwa 14 Jahren als Mentoren betreuen. Bei unseren Touren geht es vor allem darum, Wissen zu vermitteln: Wir zeigen den Menschen unsere Tierwelt, gehen gemeinsam fischen und auf Nahrungssuche. Wir lehren sie auch die Kultur der Haida in Echtzeit und mithilfe unserer Geschichten und denen unserer Vorfahren - nicht mit Geschichtsbüchern. Wir wandern zum Beispiel zum Dorf SGang Gwaay [Ninstints], das heute zum Weltkulturerbe zählt, um dort die geschnitzten Totems anzusehen. Manchmal unternehmen wir auch einen Ausflug nach Swan Bay, wo wir in einem Langhaus in unberührter Natur übernachten.“

Viele Totempfähle auf Haida Gwaii sind Jahrtausende alt. Die Haida nutzten sie traditionell, um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu zeigen, Geschichten zu erzählen und Besucher willkommen zu heißen.
Es gibt sieben abgeschiedene Gemeinden auf Haida Gwaii. „Wir sind wie eine einzige große Familie“, erzählt James. „Es gibt ökonomische und logistische Herausforderungen, die wir bewältigen müssen, aber wir lernen, unseren Lebensstil anzupassen und uns weiterzuentwickeln. Dabei versuchen wir, innovative Lösungen zu finden: erneuerbare Energiequellen wie Wind und Wellen anstatt Diesel zu nutzen, beim Holzfällen auf die Lebensräume der Wildtiere und wertvolle Heilpflanzen Rücksicht zu nehmen und eine Infrastruktur zu erschaffen, die Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht hält. Wir entwickeln Richtlinien, bei denen die Umwelt an erster Stelle steht. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber wir machen gute Fortschritte.“
Für die Haida ist der Mensch Teil der Natur und nicht von ihr getrennt. „Wir besitzen dieses Land nicht, es besitzt uns“, sagt James. „Vielleicht nennt man Haida Gwaii auch deshalb die Galapagosinseln des Nordens, weil das Ökosystem hier so stabil ist und wir die Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt streng im Auge behalten. Ich persönlich nenne es ja den Jurassic Park der Westküste, weil es so wild ist. Der Ozean ist wie eine Schnellstraße für Meerestiere: Seevögel, Seelöwen, Robben, vorbeiziehende Schwertwale, Buckel- und Zwergwale. Unsere Touren sind auf Naturschutz ausgerichtet und respektvoll – wir beobachten die Wildtiere zwar, jagen ihnen aber nicht für das perfekte Foto hinterher.“
„Es ist wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, wer wir sind und wo wir herkommen“, fährt James fort. „Ich schaue immer noch zu unseren Stammesältesten auf. Dieser Respekt und die enge Bindung zur Familie sind allgegenwärtig. Genau wie unsere Kultur: Eine Gruppe junger Frauen hält unsere Sprache am Leben; es gibt Schutzzonen für Langhäuser und Kurse, um das Schnitzen von Kanus zu erlernen. Das Entscheidende für die Versöhnung von Mensch und Natur ist, dass wir alle lebende Wesen sind. Es liegt in unserer Verantwortung, Wissen weiterzugeben und das zu erhalten, was uns von der Welt noch bleibt.“

James Cowpar beschreibt den Ozean rund um die Inselgruppe Haida Gwaii als Schnellstraße der Meerestiere, auf der Seevögel, Seelöwen, Robben, vorbeiziehende Schwertwale, Buckel- und Zwergwale unterwegs sind.
James kann von unzähligen Begegnungen mit Wildtieren erzählen. „Vor ein paar Jahren saß ein Pärchen auf Hochzeitsreise im Bug unseres Bootes“, erinnert er sich. „Plötzlich tauchte vor uns die Finne eines Killerwals auf, nicht einmal einen Meter entfernt. Mit einem kräftigen Schlag seiner Schwanzflosse bespritzte er das Pärchen mit Salzwasser und schwamm davon. Da hatten sie ihren Orca, hautnah und ganz privat.“ Doch es gibt auch andere Begegnungen. „Einmal fing ich beim Fischen etwas, von dem ich dachte, es sei ein großes Stück Plastik. Tatsächlich war es ein zweieinhalb Meter langer Seewolf, mit einem faltigen Gesicht, das aussieht wie das eines alten Mannes, aber auch mit einem solch kräftigen Gebiss, dass er einem die Fingerspitzen abbeißen kann.“
Die Tierwelt auf Haida Gwaii wird vom Wechsel der Gezeiten und Jahreszeiten bestimmt. Besonders lebendig ist sie im Mai und Juni, wenn die Heringe laichen, sowie im August, wenn die heimischen Lachse auf Wanderung gehen. „Je nachdem, wann man anreist, kann man hier Hirsche, Rotschwanzbussarde, Baummarder, größere Zugvögel wie Kanadakraniche, Gelbschopflunde und die größten Schwarzbären der Welt beobachten“, erklärt James. „Ihre Population erholt sich, seit die Haida vor rund zehn Jahren aufgehört haben, sie zu jagen.“
Die Haida waren schon immer ausgezeichnete Seeleute. Sie nutzen die Sterne und markante Punkte in der Landschaft zum Navigieren und Fischen. „Meine Cousins haben mir beigebracht, wie ich anhand der Felsen und Wellen erkenne, wann ich mich einem Riff nähere – das funktioniert besser als jedes GPS“, sagt James. „Jetzt liegt es an uns, dieses Wissen an unsere Kinder weiterzugeben. Wir Haida haben ein Sprichwort: Chiix̱was gen gaguu gataa daanaay guu ga taa iijii („Wenn die Ebbe kommt, ist der Tisch gedeckt“). Essen ist ein wichtiger Teil unserer Kultur. Dabei kommt es darauf an wertzuschätzen, was die Natur uns gibt, ihr Respekt zu zollen und bei der Ernte nachhaltig vorzugehen. Wenn wir auf Nahrungssuche gehen, pflücken wir nicht alles ab, sondern essen nur ein paar Blaubeeren oder Algen hier und da.“
Wohin aber zieht sich nun ein Mann, der unter freiem Himmel lebt, zum Entspannen zurück? „Ans Wasser“, sagt James. „Ich schnappe mir mein Notizbuch oder meine Kamera, gehe Kajaken oder Wandern, fange einen Taschenkrebs für ein Festmahl und genieße die Stille. Die Natur hier hat eine meditative Wirkung und rückt alles wieder in die richtige Perspektive. Man muss nur dazu in der Lage sein, zu beobachten, zuzuhören und aufmerksam zu sein. Jetzt gerade kann ich durch mein Fenster hören, wie ein Adler seine Jungen füttert. Ist das nicht wundervoll?“
Wissenswertes
Anreise und Transport
Air Canada und Lufthansa bieten Nonstop-Verbindungen von Frankfurt und München zum internationalen Flughafen Vancouver ab einem Preis von 500 Euro für Hin- und Rückflug an. British Columbia ist wie gemacht für Roadtrips. Ein Mietwagen ist deshalb die beste Möglichkeit, um in die wilde Natur zu gelangen. Fähren von BC Ferries steuern beinahe 50 verschiedene Häfen entlang der Küste an, nach einem Zwischenstopp in Prince Rupert auch Skidegate auf Haida Gwaii.
Buchungsmöglichkeit
Haida Style Expeditions bietet von April bis September eine Reihe wöchentlicher Kulturerlebnisse und Angeltouren an.
Beste Reisezeit
Die Provinz British Columbia ist das ganze Jahr über wunderschön – auch im Winter sind die Wälder grün. Um die Natur in all ihrer beeindruckenden natürlichen Pracht zu erleben, empfehlen wir als Reisezeit jedoch den Frühling oder Sommer, wenn die Temperaturen milder und die Gewässer ruhiger sind.
Die Natur hat einen nachhaltigen Einfluss auf uns, und laut Experten ist dieser umso größer, je ursprünglicher die Natur. Wir laden Sie ein, bereits vor Abreise eine wohltuende kleine Auszeit in British Columbias großartiger Wildnis zu verbringen. Ihr Weg in die Natur:
