Kann Kunst dazu beitragen, das Bewusstsein für den Klimawandel zu schärfen?
Für Maison Ruinart schuf der argentinische Künstler Tomás Saraceno eine permanente und innovative Kunstinstallation, um den Menschen dabei zu helfen, besser zu verstehen, was ein einziges Grad Celsius in unserer immer heißer werdenden Welt ausmachen kan
Bewegung. Aeroglyphische Skultpur, die sich mithilfe des Aerozän-Rucksacks entlang einer ortsspezifische Flugbahn bewegt und so eine erweiterte Realität schafft. Eine Bewegung, um die Luft von fossilen Brennstoffen zu befreien, die nur durch die Luft und die Sonne möglich und vom Wind bewegt wird. Für Maison Ruinart.
„Das Leben auf der Erde kann sich von einem großen Klimawandel erholen, indem Platz für neue Arten und neue Ökosysteme geschaffen werden. Die Menschheit kann das nicht.“ Das ist die Kernaussage eines Ausschnitts des neuen Berichtsentwurfs des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC), der am 23. Juni von der Agentur AFP veröffentlicht wurde. IPCC-Experten betonen, dass sich die bestehenden Klimatrends verschlimmern werden, wenn sich individuelle und kollektive Verhaltensweisen nicht ändern und der Klimanotstand nicht als wirklicher Notstand betrachtet wird.
Der Gedanke, dass ein Temperaturunterschied von einem Grad Celsius – oder sogar zwei Grad – auf globaler Ebene einfach für milderes Wetter sorgt, erscheint verlockend. Aber das wird nicht passieren.
Dieses zusätzliche Grad Celsius ist wahrscheinlich eines der weniger fassbaren Zeichen einer zunehmend krisengeschüttelten Welt. Tornados, schnell schmelzende Gletscher, vernichtende Fröste und Hagelstürme, die landwirtschaftliche Flächen und Weinberge zerstören, sind natürlich sichtbarer, alarmierender.
Aber dieses zusätzliche Grad würde zum Klimawandel beitragen. Bei einem Anstieg von 1,5 °C in Städten würden 350 Millionen Menschen unter Wasserknappheit leiden. Diese Zahl würde auf weitere 400 Millionen Menschen anwachsen, wenn die Temperatur um 2 °C ansteigt. Bei 2 °C mehr könnten tödliche Hitzewellen immer öfter auftreten. Bei über 2 °C mehr würden die Eiskappen auf Grönland und der Westantarktis schmelzen. Diese enthalten genügend Wasser, um den Meeresspiegel um 13 Meter ansteigen zu lassen – eine Katastrophe, die einen Punkt ohne Wiederkehr markiert.
In Anbetracht dieses beispiellosen schlimmsten – aber durchaus realistischen – Szenarios haben wir uns gefragt, wie wir das Bewusstsein dafür pädagogisch schärfen könnten. Wie könnten wir diesen Unterschied von 1 oder 2 °C sichtbar machen, um Menschen dazu zu mobilisieren, Maßnahmen zu ergreifen?
KUNST KANN UNS HELFEN, ÜBER UNS HINAUSZUWACHSEN
Das ist die Herausforderung, die der argentinische Künstler Tomás Saraceno angenommen hat. Der ehemalige Architekt ist am besten bekannt für seine spektakuläre Performance-Kunst und seine Konzeptualisierung davon, welchen Platz die Menschheit auf der Erde einnimmt, sowie seine Beziehung zur Luft.
Auf der internationalen Pariser Klimakonferenz COP21 präsentierte Tomás Saraceno seine Vision einer neuen Ära: das Aerozän. Ein Zeitalter, das nach dem folgen würde, was einige Wissenschaftler als das Anthropozän betrachten, folgen würde. Dieser Theorie zufolge ist der Einfluss der anthropogenen Aktivität auf die Ökosysteme der Erde so extrem geworden, dass sie jetzt der Hauptgrund für die Fehlregulierung der Umwelt ist.
Für ästhetische Zwecke stellte sich Tomás Saraceno das Aerozän als internationale Bewegung für Umweltbewusstsein vor. Um dieses Konzept in die Praxis umzusetzen, hat er einen Luftballon als poetisches und utopisches Transportmittel für Menschen, Waren und Dienstleistungen ausgearbeitet.
Dieser Ballon kann ganz ohne Brennerleistung in die Luft steigen und ist völlig kohlenstofffrei. Nur ein Grad Temperaturunterschied zwischen der Luft, die in der Skulptur gefangen ist und von der Sonne erwärmt wird, und der Umgebungsluft ist genug, um sie fliegen zu lassen. Dieses zusätzliche Grad – der gleiche Unterschied, der alles auf der Erde verändern könnte – wird in einem Ozean aus Luft materialisiert.
Unsere sich verändernde Welt verlangsamt sich plötzlich, wie der Aerozän-Rucksack, der vom Wind getragen wird. Poesie entsteht inmitten der Weinberge von Taissy, die der Maison Ruinart gehören. Tomás Saraceno hat sich diese höchstsymbolische Installation so ausgedacht, dass hier Kunst und Wissenschaft im Rahmen des 300. Jahrestages der Maison Ruinart aufeinandertreffen: das erste und älteste Champagnerhaus der Welt gibt dem argentinischen Künstler hierzu in Sachen Poesie eine Carte Blanche.
Die Geschichte der Maison Ruinart reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück, als Nicolas Ruinart den Fa[1]milienbetrieb mit Leinen aufgab, um sich der Champagnerproduktion zu widmen. Dieser neue „Schaumwein“ wurde dann immer mehr von französischen Aristokraten geschätzt. Inspiriert von sei[1]nem Onkel, Dom Thierry Ruinart, der seine Vision an ihn weitergab, musste Ruinart auf das königli[1]che Dekret vom 25. Mai 1728 warten. Davor konnte Wein nur in Fässern transportiert werden, was die Lieferung von Champagner unmöglich machte. Mit der Unterschrift des französischen König Louis XV durften nun gläserne Weinflaschen transportiert werden und der Champagnerhandel richtig starten.
Drei Jahrhunderte später zeichnet sich die künstlerische Luftstruktur im frühen Morgenlicht über den Weinbergen der Maison Ruinart ab. Wir spüren die Kraft der Luft, die wir bewahren müssen, um das Überleben der Menschheit und der Arten, mit denen wir diese Welt teilen, zu gewährleisten.
DEN GLOBALEN KLIMAWANDEL VON DEN WEINBERGEN AUS BEOBACHTEN
Thomas Labbé, Historiker an der Universität Leipzig, und seine Kollegen untersuchten die Archive der Weinberge von Beaune, der Weinhauptstadt Burgunds an der Côte d'Or im Osten Frankreichs. Diese in der Kirche von Notre-Dame de Beaune aufbewahrten Aufzeichnungen reichen vom 14. Jahrhundert bis in die Neuzeit. Sie zeigen kurze Zeiträume der Erwärmung und ungewöhnlich warme Jahre wie 1540. Aber seit den späten 1980er-Jahren hat die Hitze Rekordhöhen erreicht. Die acht frühesten Ernten seit Beginn der Aufzeichnungen wurden allesamt in den letzten sechzehn Jahren registriert. Vor ein paar Jahren begannen die Ernten traditionell Ende September, heute beginnt man mit einigen schon Mitte August.
Das gilt auch in der Region Champagne, wo der Klimawandel seit Jahren Realität ist. Die Önologen von Maison Ruinart dokumentierten zwischen 1961 und 2020 einen Anstieg von 1,3 °C. Auf dem Berg Reims, einem bewaldeten Plateau, auf dem sich die Taissy-Weinberge befinden, wurden die Weinreben im Jahr 1981 Ende September gelesen. Drei der vier jüngsten Weinlesen fanden im August statt, was bis dahin nur einmal in der Geschichte der Champagne stattgefunden hatten, nämlich im Jahr 1822.
Die Auswirkungen von ein paar Grad Celsius auf die Reben sind unterschiedlich. Die von hohen Hügeln umgebenen Regionen sind geschützter als die Weinberge im Südwesten Frankreichs, wo die Hitzewelle im Sommer 2019 Weinblätter verbrannte und die Trauben schneller trocknete.
Bewegung. Aeroglyphische Skultpur, die sich mithilfe des Aerozän-Rucksacks entlang einer ortsspezifische Flugbahn bewegt und so eine erweiterte Realität schafft. Eine Bewegung, um die Luft von fossilen Brennstoffen zu befreien, die nur durch die Luft und die Sonne möglich und vom Wind bewegt wird. Für Maison Ruinart.
Bewegung. Aeroglyphische Skultpur, die sich mithilfe des Aerozän-Rucksacks entlang einer ortsspezifische Flugbahn bewegt und so eine erweiterte Realität schafft. Eine Bewegung, um die Luft von fossilen Brennstoffen zu befreien, die nur durch die Luft und die Sonne möglich und vom Wind bewegt wird. Für Maison Ruinart.
Auch das Aroma von Weinen und Champagner verändert sich mit steigenden Temperaturen. Eine Studie des Whitman College aus dem Jahr 2007 zeigte, dass der Alkoholanteil der Napa-Weine von rund 12,5 Prozent in den 1970er Jahren auf durchschnittlich 14,8 Prozent im Jahr 2001 gestiegen ist, obwohl die Zahlen in der gesamten Region variieren. Dies ist zum Teil auf die schnellere Reifung der Trauben zurückzuführen. Während der Reifung entsteht der Zucker in den Trauben, der dann während des Weinherstellungsprozesses in Alkohol umgewandelt wird. Deshalb gilt: je mehr Zucker, desto höher der Alkoholanteil. In der Champagne beobachten Experten nun eine Dekorrelation zwischen Zucker (technische Reife) und Farbe sowie Aroma des Weins (physiologische Reife), die typisch für frühe Rebsorten ist, die in wärmeren Klimazonen gedeihen.
Auch im Taissy-Weingut ist der Klimawandel zu einem wichtigen Thema geworden. Seit der Hitzewelle im Jahr 2003 fanden in der Champagne sechs frühe Ernten statt. Die Trauben sind den Elementen ausgeliefert. Jede Wärmespitze kann für Weinbauern problematisch werden.
Um die Ländereien zu erhalten, in denen der Champagner produziert wird, hat Maison Ruinart allmählich alle landwirtschaftlichen Praktiken angepasst. Ein hoher Einsatz für dieses 300 Jahre alte Champagnerhaus. Der Einsatz von landwirtschaftlichen Zusätzen – Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln – und Fungiziden wurde um 50 Prozent reduziert und seit 2020 werden keine Herbizide mehr eingesetzt.
Bewegung. Aeroglyphische Skultpur, die sich mithilfe des Aerozän-Rucksacks entlang einer ortsspezifische Flugbahn bewegt und so eine erweiterte Realität schafft. Eine Bewegung, um die Luft von fossilen Brennstoffen zu befreien, die nur durch die Luft und die Sonne möglich und vom Wind bewegt wird. Für Maison Ruinart.
Im Herzen der Weinberge hat das Champagnerhaus ein ambitioniertes Biodiversitätsprojekt gestartet: In Zusammenarbeit mit Reforest'Action werden bis 2022 fast 25.000 Bäume auf dem Taissy-Weinberg gepflanzt, um den Boden zu regenerieren und heimische Wildtiere in dieses Gebiet zurückzuholen. Die Produkte, die früher auf die Reben gesprüht wurden, um unerwünschte Insekten zu vertreiben, haben gleichzeitig auch die Arten verjagt, die für den Anbau von Reben nützlich waren, wie Marienkäfer, Florfliegen, Vögel und Fledermäuse.
Die aeroglyphische Struktur schwebt immer noch über dem Taissy-Weinberg. Diese pädagogische Metapher des Klimawandels schwebt durch die Luft und erinnert uns daran, wie Kunst uns manchmal helfen kann, ein bisschen über uns hinauszuwachsen.