Säuberung am Meeresgrund: Europas Unterwasser-Müllabfuhr

Ein europäisches Forscherteam baut Tauchroboter, die Abfall am Meeeresboden mithilfe künstlicher Intelligenz aufspüren, kartieren und einsammeln.

Von Julia Graven
Veröffentlicht am 10. Nov. 2022, 10:44 MEZ
Die Roboter von SeaClear reinigen den Meeresgrund

Die Roboter von SeaClear können in bis zu 300 Meter Tiefe arbeiten. Damit ließe sich zumindest der Meeresgrund in der Nähe der Küste und in Häfen reinigen. Der Meeresgrund war allerdings bislang eine Zone, die weitgehend unerreicht blieb. Doch unter einer Schicht aus Sand und hellem Schlick türmt sich Müll am Meeresboden.

Foto von Seaclear Project

Im Hafenbecken von Marseille schwimmt ein U-Boot, groß wie ein Reisekoffer und gelb wie eine Butterblume. Die zwei Scheinwerfer des Tauchroboters durchleuchten das tiefblaue Wasser auf der Suche nach Müll. Stefan Sosnowski, Roboter-Experte an der Technischen Universität München testet hier mit Kollegen aus dem EU-Forschungsprojekt SeaClear die autonomen Unterwasserfahrzeuge.

Er berichtet zufrieden: „Die einzelnen Komponenten funktionieren gut. Doch unsere Technik ist so neu, da steckt der Teufel oft im Detail.“ Der gelbe Tauchroboter ist Teil eines komplexen Systems: Ein autonom fahrender Katamaran scannt mit Sonar den Meeresboden und ortet größere Müllmengen. Vom Schiff aus startet ein Tauchroboter mit Kameras, Sonar und Metalldetektoren, der den Meeresboden genau kartiert.

Bisher unerreichte Zone: Müllhalden am Meeresboden

Eine Drohne liefert aus der Luft zusätzliche Daten. Mit diesen Informationen sammelt dann ein weiterer Roboter mit Greifarm und Saugvorrichtung die kartierten Abfälle in einen großen Metallkorb. Ist der Korb voll, wird er automatisch auf dem Schiff entleert. Die Idee einer Unterwasser-Müllabfuhr klingt wie Science-Fiction, doch der Müll im Meer ist ein reales Problem.

Videos, die ein SeaClear-Roboter 2021 in der Adria vor der kroatischen Hafenstadt Dubrovnik aufnahm, offenbaren das Desaster: Unter einer Schicht aus Sand und hellem Schlick türmt sich Müll am Meeresboden – Flaschen aus Glas, Plastikeimer, Rohre, Stoffteile, Autoreifen und Betonblöcke. Einem Bericht der Weltnaturschutzunion IUCN zufolge sollen allein 229000 Tonnen Plastik – das entspricht dem Inhalt von 500 Schiffscontainern – jährlich im Mittelmeer landen.

Selbst wenn der Eintrag sofort gestoppt würde, befinden sich bereits Millionen Tonnen in den Ozeanen, die durch Wind, Wetter und Gezeiten zu Mikroplastik zerkleinert werden und die Meeresökosysteme bedrohen. Mikroplastik ist allgegenwärtig: Selbst in der Tiefsee und im arktischen Eis finden Forscher die kleinen Partikel. Es gibt daher viele Initiativen, die mit großem technischen Aufwand Plastik aus den Meeren sammeln, bevor es zu Mikroplastik wird. Der Meeresgrund war allerdings bislang eine Zone, die weitgehend unerreicht blieb. Hier setzt SeaClear an.

Mit den Robotern, die in bis zu 300 Meter Tiefe arbeiten können, ließe sich zumindest in der Nähe der Küste und in Häfen der Meeresgrund reinigen. Acht Partner aus fünf Ländern arbeiten seit zwei Jahren in dem fünf Millionen Euro teuren Forschungsvorhaben zusammen. Der Elektroingenieur Stefan Sosnowski hat den Greifarm entwickelt, mit dem der Roboter Flaschen und anderen Müll aufsammeln soll. Andere Partner bringen dem Roboter bei, was Müll ist – oder möglicherweise Teil einer geschützten Seegraswiese. Dafür wird die Software des Roboters mit Tausenden Bildern gefüttert und lernt, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.

Flexible Zukunftslösung: Autonome Müllsuche

Noch kommt es vor, dass die Künstliche Intelligenz ihr eigenes Stromkabel mit einem Aal verwechselt. In Zukunft soll das System vollständig autonom entscheiden und arbeiten. Im besten Fall könnten bis zu acht Roboter gleichzeitig rund um die Uhr im Wasser nach Müll suchen. Claudia Hertel-ten Eikelder vom Projektpartner Hamburg Port Authority setzt darauf, dass SeaClear günstiger und flexibler einsetzbar ist als die großen Bagger, mit denen bisher im Hamburger Hafen der Schlick ausgebaggert wird, bevor er an Land mit großen Maschinen gereinigt wird.

In Zukunft will das Team auch gesellschaftliches Bewusstsein wecken und sich für bessere Gesetze einsetzen, damit Müll gar nicht erst im Meer landet. „Die Roboter bekämpfen schließlich nur Symptome“, sagt Sosnowski. Trotzdem würde für ihn ein Traum wahr werden, wenn SeaClear wie geplant vom Forschungsprojekt zum erfolgreichen Unternehmen wird.

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Foto von National Geographic

Dieser Artikel erschien im National Geographic Magazin 11/22. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis!

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