Ursachen und Hilfe bei Long Covid: Kann Pacing die Genesung unterstützen?

Die große Welle der Covid-19 Erkrankungen ist vorbei. Für viele Betroffene bedeutet das jedoch nicht, dass sie gesund sind. Long- oder Post Covid stellt für viele Menschen ihr Leben auf den Kopf. Doch gibt es Hilfe?

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 5. Sept. 2023, 10:31 MESZ
Post Covid und seine Folgen

Seit der Corona Pandemie zeigt Long Covid seine Nachwirkungen.

Foto von mkalinichenko-stock-adobe.com

Mit der Pandemie kam Long Covid. Mindestens 10 Prozent aller an Covid-19 erkrankten Personen leiden an Long oder Post Covid. Der Unterschied: Long Covid meint einen Zustand bis zu 12 Wochen nach der Infektion. Erst danach spricht man von Post Covid. Dieser Zustand kann bis zu über einem Jahr anhalten. Long Covid gilt jedoch auch als Überbegriff der noch sehr unbekannten Erkrankung. Vor allem die Breite an verschiedenen Symptomen und deren individuellen Zusammensetzung bei jedem Einzelfall macht diese Krankheit schwer zu verstehen und behandeln. 

 

Die Schwierigkeit der Diagnostik von Long Covid

Laut einer ersten Studie sind 45 Prozent der an Long Covid Erkrankten nach über sechs Monaten nicht in der Lage Vollzeit zu arbeiten, 20 Prozent sind arbeitsunfähig. 80 Prozent der Betroffenen, die nach sechs Monaten noch Beschwerden haben, leiden auch nach mehr als einem Jahr an Symptomen. Trotzdem gibt es Hoffnung. Der Neurologe Herr Prof. Martin Marziniak und seine Kollegen des kbo-Isar-Amper-Klinikums in Haar bei München behandeln betroffene Personen in einer Post Covid Tagesklinik. Dort widmet sich ein Team der individuellen Behandlung unterschiedlicher Symptome - denn jedes Krankheitsbild ist einzigartig. „Es gibt die klassischen Symptome wie Kurzatmigkeit und Atemprobleme, Konzentrationsstörungen, Brain Fog, Gliederschmerzen, Kopfschmerzen, Geruchs- und Geschmacksverlust und eine enorme Erschöpfung, auch Fatigue genannt“, fasst Prof. Marziniak zusammen. Darüber hinaus kann es zu anderen Symptomen, wie Magen-Darm-Beschwerden oder einem Auslöser von Asthma oder Diabetes kommen. Auch psychische Beschwerden wie Depressionen oder Angststörungen können getriggert werden. Eben diese Menge an unterschiedlichen Symptomen lässt die Diagnose zu einer Herausforderung werden.

„Eine Diagnose geschieht oft nach dem Ausschlussverfahren. Stimmt die zeitliche Komponente der Erkrankung an Covid-19 mit den anschließenden Symptomen überein, kann man von Long Covid ausgehen. Jedoch gibt es auch andere Auslöser, die man erstmal ausschließen muss.“ Sich matt und ausgelaugt zu fühlen, könne auch nach anderen Krankheiten normal sein. Auch eine depressive Verstimmung oder Panikattacken könnten anderer Herkunft sein. Hält der Zustand jedoch an und treffen viele dieser Symptome zusammen, könne es sich um Long Covid handeln. Vor allem Frauen, Menschen mit schweren Verläufen oder ohne Impfung, mit psychischen Vorerkrankungen oder anderen gesundheitlichen Beschwerden, darunter auch Übergewicht, gehören zur Risikogruppe. Allerdings trifft es auch viele Menschen außerhalb dieser Risikogruppe, die vor ihrer Ansteckung gesund waren.

 

Symptome, die den Alltag erschweren bis unmöglich machen

Woher Long Covid kommt, weiß bis jetzt niemand so genau, zur Entstehung gibt es viele verschiedene Theorien. Eine davon, sieht bereits einen Zusammenhang bei der Ansteckung mit Covid-19: „Das Virus tritt über bestimmte Andockstellen in den Körper ein, die sogenannten ACE2-Rezeptoren. Diese Andockstellen sind im menschlichen Körper in vielen Geweben beziehungsweise Organen vorhanden. Das könnte erklären, warum die Beschwerden bei Long COVID so vielfältig sind und verschiedene Organe betreffen“, schreibt die BMG Initiative Long Covid. Daneben reichen wissenschaftliche Theorien von einer Autoimmunerkrankung, über einer Entzündung der Organe durch das Virus oder Restbeständen des Virus im Körper, bis hin zur Entstehung kleinster Gerinnsel oder Mini-Schlaganfälle im Körper. Bislang ist keine dieser Theorien bewiesen, es wird weiterhin geforscht. „Aktuell geht man nicht davon aus, dass Long Covid jemanden lebenslang begleitet, wie beispielsweise ein immer wiederkehrender Herpes“, so Prof. Marziniak von der kbo in München. Ohne ein genaues Verständnis der Krankheit ist es jedoch schwierig bis unmöglich, sie richtig zu behandeln. Daher bleibe bis jetzt nur die Möglichkeit, die verschiedenen Symptome einzeln zu behandeln, um so den Zustand der betroffenen Person zu verbessern. 


Pacing: So können Betroffene ihre Genesung unterstützen

Symptome wie Fatigue oder Brainfog schränken den Alltag extrem ein. Bereits ein kurzer Spaziergang oder ein Zoom-Meeting können zu einer Überlastung und einem sogenannten „Crash“ führen. Gemeint ist damit eine Belastungsintoleranz, PEM (Post-Exertionelle Malaise), bei der Betroffene schon nach kleineren körperlichen oder geistigen Anstrengungen einen Zusammenbruch ihres Zustandes erleiden. Der Crash tritt meist einige Stunden, manchmal aber auch erst einen Tag nach der Überanstrengung ein und hält ein paar Stunden, Tage, aber auch Wochen an. Betroffene sind in dieser Zeit meist ans Bett gebunden und brauchen bei alltäglichen Dingen Hilfe. Fatigue kann sich in manchen Fällen auch zu einer chronischen Fatigue erweitern, der sogenannten ME/CFS: „Hierbei spielt das Pacing eine wichtige Rolle. Man muss sich seiner Belastungstoleranz bewusstwerden und ganz genau auf seinen Körper hören. Pausen sind essenziell, man sollte Stress vermeiden und Ablenkung minimieren“, rät Prof. Marziniak. Denn auch Reizüberflutung kann zu einem weiteren Crash führen oder den Zustand verschlechtern. Man stelle sich einen Akku vor, der beschädigt ist und nicht die volle Leistung erbringt. Überfordert man sich, entleert sich der Akku über seine Grenze hinaus. Pacing hilft, den Akku nie komplett zu entladen und immer eine „Reserve an Energie“ zur Verfügung zu haben. Durch eine konstante Reserve ist man in der Lage, dem Akku langsam, aber stetig zu erhöhter Leistung zu verhelfen. Auf den eigenen Körper zu hören, Warnzeichen zu erkennen und eine gewisse Resilienz aufzubauen ist demnach entscheidend für Betroffene. Ein Symptom-Tagebuch kann helfen, die Energie richtig einzuteilen und die eigenen Kräfte zu verstehen. Daneben können Meditationen und Atemübungen den Stress reduzieren und Ruheinseln schaffen. 


Forschung muss Ergebnisse erzielen 

Ärztliche Unterstützung ist in den meisten Fällen sinnvoll. Angebote wie die Tagesklinik der kbo helfen Betroffenen, ihren Alltag besser zu bewältigen. Auch das Umfeld, Arbeitgeber, Familie und Freunde müssen sensibilisiert werden und Verständnis zeigen. Psychologische Hilfe in Form einer Gesprächstherapie oder Selbsthilfegruppe sollte in vielen Fällen ebenfalls in Anspruch genommen werden, da der psychische Druck auf die betroffenen Personen durch ihr Krankheitsbild enorm ist. 

Doch hilft das alles? „Ich bin mir sicher, dass es eine hohe Heilungschance gibt, die Frage ist nur, wie lange es in den einzelnen Fällen dauert“, sagt Prof. Marziniak zuversichtlich. „Doch es braucht mehr Forschung. Zwar gibt es Studien, zum Beispiel über Blutwäsche - die Daten sind bis jetzt jedoch nicht so überzeugend. Es gibt viele verschiedene Ansätze, bis jetzt war allerdings noch keiner davon ein wirklicher Erfolg, der sich in die Praxis umsetzen ließe. Das fehlt mir aktuell, doch ich habe die Hoffnung, dass sich das ändert.“ Bis dahin müssten Patienten und Ärzte weiterhin mit den erlernten Methoden das Bestmögliche herausholen und das Bewusstsein für die Krankheit müsse auch bei nicht Betroffenen und in der Politik weiter einen Stellenwert behalten. 

Cover National Geographic 9/23

Foto von National Geographic

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