Mythen aus unbekannteren Regionen Spaniens

Von der stürmischen baskischen Küste über die wolkenverhangenen Gipfel Asturiens bis hin zu den sonnenverbrannten Ebenen und den vom Wind geformten Felsen des iberischen Landesinneren: Viele Kulturen leiteten ihre Legenden von der spanischen Landschaft ab – und bauten darauf ihre eigenen Wunderwerke.

WORTE VON STEPHEN PHELAN

BILD MATTHIEU PALEY

Dörfer über den Wolken

Die Kalksteinmassive der Gebirgskette Picos de Europa sind sehr dünn besiedelt. Zwischen ihren Gipfeln und Wiesen liegen winzige Bauerndörfer verstreut. Das höchstgelegene Dorf Asturiens, Sotres, befindet sich im östlichen Teil. Es ist ein unauffälliger Ökotourismus-Hotspot, in dem die Zahl der Sommergäste die etwa hundert Einwohnenden übersteigt. In den Höhlen um Sotres reift Cabrales, der berühmte Blauschimmelkäse, der aus einer Mischung von Kuh-, Schaf- und Ziegenmilch von den hochgelegenen Bergweiden hergestellt wird. Eine Legende besagt, dass in diesen Höhlen ein drachenähnliches, geflügeltes Schlangenwesen namens Cuélebre haust, das ab und zu auftaucht und das Vieh auffrisst – und manchmal sogar Dorfbewohner.

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Der Schäfer und der Cuélebre

Die asturischen Landwirtschaftspraktiken reichen Jahrtausende zurück. Manche der oberen Berghänge sind so unzugänglich, dass die landwirtschaftliche Nutzung größtenteils aus Kleinviehhirten besteht. Sie nutzen die hoch gelegenen Wiesen als Sommerweiden und treiben ihre Tiere vor dem Schnee im Winter auf die tiefer gelegenen Wiesen – ein hartes Leben. Während die traditionelle Viehwirtschaft in den letzten Jahrzehnten stetig zurückging, halten sich die traditionellen Mythen der Vorfahren hartnäckig. Der pensionierte Schäfer Jose Mier, der von seinen Freunden Pepe genannt wird, ist 93 Jahre alt und behauptet, im Alter von 13 Jahren einen Cuelébre gesehen zu haben, die sagenumwobene, in den Bergen lebende, geflügelte Schlange der Region.

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Käseherstellung in alten Höhlen

Keine andere Region in Spanien (oder Europa) produziert so viele verschiedene Käsesorten wie Asturien. Die große Bandbreite an Geschmacksrichtungen und Texturen ergibt sich aus unterschiedlichen alten Rezepten sowie kleinsten Umgebungsunterschieden der einzelnen Tälern. Der Cabrales ist darunter mit Sicherheit der bekannteste dieser regionalen Käse. Auch er wird nach verschiedenen Rezepten und Techniken mit unterschiedlichen Kombinationen aus Schafs-, Kuh- und Ziegenmilch hergestellt: Die gesamte Milch muss dabei von Herden stammen, die in einem kleinen, offiziellen Erzeugungsgebiet in den Bergen der Picos de Europa gehalten werden. Jeder Käse wird von findigen Käsern wie Pablo Asiegu (hier im Bild) in einer der Höhlen der Region ordnungsgemäß gereift und fermentiert.

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Das Eiland der Priester und Piraten

Die schäumenden Wellen des Golfs von Biskaya treffen auf die Ufer des Baskenlandes und formen die Felsen zu spektakulären Bögen, Tunneln und zerklüfteten Inseln. Direkt vor der Küste liegt – mit dem Festland verbunden durch eine Steinbrücke – die Insel San Juan Gaztelugatxe in einem Naturschutzgebiet. Bekannt ist ihr mittelalterliches Kloster, das einst von Sir Francis Drake überfallen und geplündert wurde. Die Buchten der Insel wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von Piraten und Schmugglern genutzt. In der stürmischen Umgebung des Eilands entstanden Volksmärchen – und sogar die erfolgreiche Serie Game of Thrones nutzte die fantastisch anmutende Atmosphäre der Insel als Drehort.

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Glockenläuten fürs Glück der Fischersleute

Wo das Festland an der Baskenküste ins Meer übergeht, verschmelzen alte heidnische Mythen mit frühchristlichen Legenden. Hier verbindet eine alte Steinbrücke die Insel Juan Gaztelugatxe mit dem Festland. Die Legende besagt, dass Johannes der Täufer die Insel besuchte und auf dem Weg zur Spitze des Hügels seinen Fußabdruck in einem Felsen hinterließ. Auf diesem Hügel befindet sich heute der Nachbau eines zu seinen Ehren errichteten Klosters aus dem 9. Jahrhundert. Nachdem die 241 Stufen erklommen sind, wird dreimal die Glocke der Kapelle geläutet – das bringt Glück, vor allem für die Seefahrer der nahegelegenen Häfen wie Bermeo.

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Das Zuhause der weltbesten Seefahrer

Im Laufe der Jahrtausende währenden Küstenbesiedlung am Golf von Biskaya wurden die Basken zu meisterhaften Seefahrern und Schiffsbauern, die mit immer ausgefeilteren Booten stets weiter hinausfuhren. Mehrere Basken waren an Bord der berühmten Magellan-Reise, auf der erstmals die Welt umrundet wurde. Außerdem gehörten Seeleute aus dieser Region auch zu den ersten Europäern, die vor der nordamerikanischen Küste fischten. Dieses nautische Erbe wird in der Werft und im Museum Albaola in Pasia in Ehren gehalten: Ein eigenes Schreinerteam baut und restauriert dort Schiffe nach alter Tradition.

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Wo Feuchtgebiete auf Wellen treffen

Der Fluss Oka fließt durch eine von fruchtbaren Wiesen, Eichenwäldern, Kiefernwäldern und Salzwiesen gesäumte Mündung in das Kantabrische Meer. Vor allem die Salzwiesen bieten einen spektakulären Lebensraum für Wildtiere und sind heute Kern des Biosphärenreservats Udaibai. Die Wiederherstellung der Feuchtgebiete hat eine Fülle von Zugvögeln angezogen, während die Flussmündung bei Mundaka beliebt ist bei Sportlern: Ihre legendären Wellenbrecher ziehen Surfer aus aller Welt an. Dazu ist es auch das Gebiet der lamiak, den Meerjungfrau-ähnlichen Kreaturen der Baskenlegenden.

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Gegen Windmühlen kämpfen

Über die Ebenen von La Mancha verteilen sich Ansammlungen weiß gestrichener Windmühlen. Diese zeitlosen Ikonen der spanischen Landschaft prägten ebenfalls den von Miguel de Cervantes geschriebenen Roman Don Quijote aus dem 17. Jahrhundert. Der Romanheld verwechselt die Bauwerke mit angsteinflößenden Riesen und greift sie mit seiner Lanze an. Die Stadt Campo de Criptana, so wird allgemein angenommen, sei die reale Inspiration für dieses Kapitel gewesen. Zehn verbliebene Windmühlen wurden in dieser Stadt zu verschiedenen Museen und Besuchszentren umgebaut, einige von ihnen sind sogar noch mit ihrer ursprünglichen Ausstattung in Betrieb.

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Toledo: Stadt der drei Kulturen

Toledo, hoch auf einem Hügel über dem Tejo und dem Flachland von Kastilien La Mancha gelegen, war unter den Westgoten einst die Hauptstadt Spaniens. Später wurde Toledo dann zu einer von dicken Mauern umgebenen Stadt, in der Muslime, Juden und Christen in Teilen des Mittelalters vergleichsweise harmonisch koexistierten. Jede Kultur hat ihre bleibenden Spuren in der städtischen Architektur hinterlassen. So ist das heutige UNESCO-Weltkulturerbe ein Wunderwerk dieses Mixes aus Kulturen. Diese ethnisch-religiöse Mischung sorgt heute ebenfalls für einen mythologischen Reichtum, der von alten Geschichten von Riesen und Hexenmeistern geprägt ist.

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Die Architektur von Toledos Synagoge

Einst war Toledo ein Außenposten christlicher Streitkräfte. Von dort aus versuchten sie die Iberische Halbinsel von den maurischen Dynastien zurückzuerobern, die sie mehr als ein halbes Jahrtausend lang beherrscht hatten. Nachdem ihnen dies gelungen war, wurde die Stadt unter König Carlos V. wieder zu Spaniens katholischem Machtzentrum. Einige ihrer prächtigsten Moscheen wurden daraufhin in Kirchen umgewandelt, wobei viele der islamischen Gestaltungsmerkmale erhalten blieben, darunter geometrische Muster, glasierte Keramik und ornamentale Stuckarbeiten. Diese Mudéjar-Hybridarchitektur verleiht dem heutigen Toledo viel von seiner geheimnisvollen Schönheit.

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Riesen aus Stein

Die Stadt Cuenca ist ein geologisches Wunderwerk: Die im maurischen Stil erbaute Altstadt scheint über einer tiefen Flussschlucht in der Luft zu hängen. Ganz in der Nähe befindet sich die Ciudad Encantada – die Verzauberte Stadt – mit ihren eigenartigen Dolomitfelsen. Durch Erosion verwandelten sie sich in verschiedene Formen, die teilweise wie in Stein gemeißelte gebückte Riesen aussehen. Diese wundersamen Figuren haben den Volksmärchen im Júcar-Tal Leben eingehaucht.  
 

Hier gibt es weitere spanische Legenden zu entdecken.

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