Das Wichtige sichtbar machen
Der National Geographic-Fotograf Anand Varma macht Hightech-Aufnahmen von Parasiten, Fledermäusen, Vögeln und Insekten. Mit seiner Kamera sammelt er Daten für die Wissenschaft.
Die Juwelwespe ist die Königin der Parasiten. Sie jagt und kontrolliert Schaben, um ihren Nachwuchs zu versorgen. Dafür sticht sie die Schabe direkt hinter den Kopf, lähmt sie kurzzeitig und webt dann ihren Stachel in ihr Gehirn. Der Stachel hat spezielle Fühler, die den Teil des Schabenhirns erkennen, der für Bewegung verantwortlich ist. Die Wespe injiziert einen speziellen Gift-Cocktail, der genau diesen Teil des Gehirns deaktiviert. Alle Muskeln der Schabe funktionieren noch, aber das Gift unterbricht die Verbindung zu dem Teil des Gehirns, der ihre Bewegung steuert. Die Wespe greift dann nach der Antenne der Schabe - und kann das Tier tatsächlich wie einen Hund an der Leine zu ihrem Nachwuchs führen. Dem dient die gelähmte Schabe als Futter.
Warum sollten wir uns für diese kleine Wespe interessieren? Was sie mit der Schabe macht, ist im Ergebnis dem sehr ähnlich, was mit Parkinson-Patienten passiert: Die Muskeln funktionieren noch, aber das Gehirn verliert seine Fähigkeit, sie zu kontrollieren.
Die Aufnahmen der Juwelwespe und anderer Parasiten waren die erste Auftragsproduktion des Fotografen Anand Varma für National Geographic. "Die lebenden Toten der Natur: Echte „Zombies“. Parasiten, die wie die Juwelwespe ihre Wirte kontrollieren können.
Die Fotos, die Varma von Parasiten und anderen Tieren macht, haben eine ganz besondere Form der Ästhetik. Sie sind inspiriert von Film Noir, Graphic Novels und japanischer Animation: harte Beleuchtung, dramatische Hintergründe und Liebe zum selektiven Detail.
Auf seinem Foto eines mit einer parasitären Seepocke infizierten Krebses erkennt man unzählige helle Punkte, die aus dem Krebs kommen: parasitäre Seepocken-Larven. Die Aufmerksamkeit des Betrachters hat Varma bewusst auf die Millionen Kleinsttierchen gelenkt – die Textur des Krebses oder seine Farbe waren ihm nicht wichtig.
„Mich fasziniert die sehr technische Herangehensweise an die Fotografie, weil ich in den Bildern gerne Details sehe, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Durch Vergrößerung, Zeitraffer oder Slow Motion werden sie sichtbar. Fotografie hat etwas Magisches, wenn sie die verborgene Schönheit unserer Welt offenbart.“
Varma nutzt beipielsweise moderne Hochfrequenzkameras, um den Geheimnissen der Kolibris auf die Spur zu kommen. Und auch damit verbindet er eine Absicht. Wenn man den Flug dieser Vögel besser versteht, nutzt das zum Beispiel in der Robotik – Kolibris können besser manövrieren als jede unserer Maschinen. Wie kommen sie zudem mit den metabolischen Herausforderungen klar? Die Herzen mancher Arten schlagen 1000 mal pro Minute, die Flügel 100 mal in der Sekunde – für Wirbeltiere ein extremer Wert.
Bevor Anand Varma beginnt, für ein neues Projekt zu fotografieren, studiert er zwei bis drei Wochen die Gewohnheiten der Tiere und testet verschiedenste Beleuchtungen. Für Fledermausaufnahmen verbrachte er viele Nächte mit den Tieren, um herauszufinden, wann sie ihren Schlafplatz verlassen und welche Flugroute sie nehmen. „Du musst wissen, wann du einen Blitz auslösen musst, auf die Millisekunde genau", sagt Varma. Auch seine eigene Küche wird zum Labor, wenn er dort Dutzende mit Parasiten infizierter Grillen lagert.
Dabei wurde er eher zufällig Fotograf. Der National-Geographic-Fotograf David Liittschwager suchte im Fachbereich Biologie der University of California in Berkeley nach einem Assistenten für einen Sommerjob. Der Biologiestudent Varma wurde ihm empfohlen, weil er auf allen Exkursionen mit seiner Kamera auftauchte. Aus dem Sommerjob wurde eine siebenjährige Tätigkeit für David Liittschwager. Parallel fotografierte Varma für befreundete Biologen weitere Projekte.
Aus seiner Erfahrung bei Liitschwager und seinen inzwischen weitreichenden Kontakten in die Wissenschaft ergab sich die Förderung von National Geographic, und aus dieser die Titelgeschichte über Parasiten und Reportagen über Kolibris, Bienen und Fledermäuse. National Geographic fördert Anand Varma als „Emerging Explorer“.