„Alle Gräber, die wir davor gefunden hatten, waren beraubt worden“

Eine aufs Jahr genau Datierung und eine spektakuläre Bergung: Warum das Grab der Keltenfürstin von Bettelbühl gleich in mehrerer Hinsicht besonders ist, erklärt der Archäologe Dirk Krausse.

Von Kathrin Fromm
Veröffentlicht am 12. Okt. 2018, 10:02 MESZ
Goldperle aus dem Grab einer Keltenfürstin
Mehr als 2500 Jahre lagen die Schmuckstücke aus dem Grab der Keltenfürstin von Bettelbühl unter der Erde.
Foto von LandESAmt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

Was ist so besonders am Grab der Keltenfürstin von Bettelbühl?
Wir kennen bisher nur dieses ein Grab eines keltischen Fürsten oder einer Fürstin aus dem Umfeld der Heuneburg, das nicht schon vor langer Zeit beraubt wurde. Dazu muss man wissen, dass schon die Heuneburg etwas ganz Besonderes ist, nämlich die älteste Stadt nördlich der Alpen. In ihrem Umfeld liegen einige große Grabhügel, bis zu 40 Meter hoch. Alle Gräber, die wir davor gefunden hatten, waren beraubt worden – nur dieses nicht. Das ist schon ein faszinierender Moment, wenn man sich vorstellt, dass die Dinge, die man da in der Hand hält, mehr als 2500 Jahre unter der Erde lagen und von keinem Menschen gesehen worden waren.

Welche Schätze haben Sie dort gefunden?
Das Grab war reich ausgestattet, mit viel Schmuck. Gerade die Objekte aus Gold und Bernstein sind super erhalten, die sehen aus wie neu. Die Fürstin trug zum Beispiel ein Collier aus filigranen Goldperlen. Außerdem gab es zwei etwa zwölf Zentimeter lange Goldfibeln, mit denen wohl ihr Umhang verschlossen war. Wir haben auch wahrscheinlich magische Zauberutensilien gefunden, wie verschiedene Fossilien und Bergkristalle. Dann gab es da noch die Ausrüstung für ein Reitpferd, einen verzierten Stirnpanzer aus Bronze und einen Anhänger aus Eberzähnen. Das ist natürlich alles sehr faszinierend, aber fürs uns Archäologen sind ganz andere Dinge noch interessanter.

Auch diese etwa zwölf Zentimeter lange Goldfibel war im Grab der Keltenfürstin.
Foto von LandESAmt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

Was finden Sie so interessant?
Das Wichtigste für uns ist, dass das Grab ganz genau datierbar ist, weil die Kammer aus Holz dank des moorigen Bodens erhalten ist. Durch das Muster der Jahrringe wissen wir, dass die Tannen und Eichen im Herbst 583 v. Chr. gefällt und frisch verarbeitet wurden. So genau ließ sich das bislang bei keinem Keltengrab sagen. Dadurch können wir auch den Todeszeitpunkt der Frau bestimmen. Und es gibt noch einen spannenden Punkt: Die Fürstin lag nicht allein in der Kammer. Es wurde noch eine zweite Frau gefunden, die nicht von Kopf bis Fuß prächtig geschmückt war, sondern sehr schlicht ins Grab kam. Da besteht natürlich die Frage, wie diese beiden Frauen zueinander stehen. Die zweite Frau könnte aus dem Gefolge sein, eine Magd oder vielleicht auch eine Amme. Denn nebenan haben wir noch das Grab eines kleinen Mädchens, das im Alter von zwei bis vier Jahren gestorben war, gefunden, ebenfalls reich ausgestattet.

BELIEBT

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    Dirk Krausse ist der Landesarchäologe von Baden-Württemberg und leitet die Arbeiten am Fürstinnengrab.
    Foto von LandESAmt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

    Wissen Sie, wie die Keltenfürstin und das Mädchen zueinander standen?
    Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um Mutter und Tochter handelt, schließlich tragen beide Schmuck, der in der gleichen Werkstatt mit den gleichen Werkzeugen hergestellt wurde. Wenn die Kinder der Eliten ebenfalls mit Prunk bestattet werden, wäre das ein Hinweis dafür, dass nördlich der Alpen erstmals so etwas wie Aristokratie-Bildung eingesetzt hatte. Dann hätte der Fund universalgeschichtliche Bedeutung. Zur Bestimmung des Verwandtschaftsgrades läuft deshalb auch gerade eine Studie mit dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Dabei werden wir auch versuchen, das Genmaterial der beiden Frauen und des Mädchens, soweit es erhalten ist, mit Personen aus anderen Fürstengräbern in Südwestdeutschland zu vergleichen.

    Hat das Grab darüber hinaus Auswirkungen auf den aktuellen Stand der Keltenforschung?
    Auf jeden Fall. Wir wussten ja bereits, dass die Heuneburg die älteste Stadt nördlich der Alpen ist. Ihre Besonderheit ist eine weiß verputzte Stadtmauer aus luftgetrockneten Lehmziegeln mit Türmen und Bastionen, wie wir es aus dem mediterranen Raum kennen. Bislang stand diese Architektur seltsam isoliert da, weil aus der Zeit ansonsten klare Indizien für starke Handels- und Kulturbeziehungen dorthin fehlten. Das hat sich durch die Funde aus dem Fürstinnengrab geändert. Da sind zum Beispiel exotische Dinge wie der Stirnpanzer für das Pferd. Das gab es so in dieser Gegend noch nicht, sondern ist eher aus dem assyrischen Raum bekannt oder bei Reiternomaden wie den Skythen. Auch die filigranen Goldarbeiten lassen vermuten, dass die Beziehungen zum Süden viel ausgeprägter waren als bisher gedacht. Nicht nur die Baumeister der Stadtmauer hatten offensichtlich ihr Handwerk im mediterranen Raum erlernt, sondern auch die Goldschmiede.

    In einem 80 Tonnen schweren Block wurde das Grab auf einen Tieflader gehoben und zur weiteren Untersuchung in eine Halle transportiert.
    Foto von LandESAmt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

    Nicht nur der Fund war spektakulär, sondern auch die Bergung. Wie sind Sie genau vorgegangen?
    Als die ersten Goldfunde ans Licht kamen, war es schon Ende Oktober. Der Winter stand vor der Tür. Uns war klar, dass wir den Fund nicht adäquat vor Ort untersuchen können. Wir hatten auch Angst vor Grabräubern, die Entdeckung hatte sich inzwischen herumgesprochen. Wir haben dann das Grab in einem 80 Tonnen schweren Block bergen lassen. Ein Tiefbauunternehmen hat dafür Stahlrohre unter der Kammer hindurchgepresst, verschweißt und das Ganze mit einer Stahlwanne ummantelt. Das war technisch ziemlich anspruchsvoll. Weil der Boden gefroren war, ließ sich der Block mit zwei Schwerlastkränen auf einen Tieflader heben. So ging es in eine Halle nach Ludwigsburg.

    Und dort haben Sie das Grab dann Stück für Stück untersucht?
    Ja, wir haben allein für die Freilegung der Funde und die Untersuchung der Hölzer drei Jahre gebraucht. Eine Herausforderung war zum Beispiel, dass sich die Bronzeobjekte gar nicht mehr von den Eichendielen trennen ließen, die waren wie draufgebügelt. Deshalb haben wir mit Computertomographie gearbeitet. Um so ein Stück aus Eichendiele und Bronzeobjekt zu durchleuchten mussten wir die Holzbalken einmal horizontal sägen, so dass nur ein dünnes Brett mit den Funden übrig blieb, sonst wäre die Auflösung der Röntgenaufnahmen nicht gut genug gewesen. Das war ein Riesenaufwand! Eine weitere Schwierigkeit war, dass die Restauratorinnen im Liegen gearbeitet haben, um nichts zu zerstören. So war nur für zwei bis drei Kolleginnen gleichzeitig Platz.

    Um nichts zu zerstören, arbeiten die Restauratorinnen im Liegen am Keltengrab.
    Foto von LandESAmt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

    Der Fund ist jetzt acht Jahre her. Sind die Forschungen daran abgeschlossen?
    Die Funde sind gesichtet, aber noch nicht alle bis ins Detail ausgewertet. Daran arbeiten wir. Wir untersuchen zum Beispiel die Muster auf den Schmuckstücken, welche Bedeutung sie haben könnten. Einige Metallobjekte sind auch noch immer im Block, weil sie sehr fragil sind. Die konnten wir bislang nur durch Computertomographie erfassen. Zum Beispiel zeichnete sich eine Kopfbedeckung der Fürstin ab. Da könnten noch interessante Stücke darunter sein!

    Mehr über die Entdeckung, Bergung und Erforschung des Grabs gibt es im Buch "Das Geheimnis der Keltenfürstin. Der sensationelle Fund von der Heuneburg".

    Eine Titelgeschichte über die Kelten steht in Heft 10/2018 des National Geographic Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!

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