Die Geburt der USA: Als Pioniere und Siedler im Westen ihr Glück suchten

Bis heute lebt der Mythos fort: Trapper, Pioniere und endlose Trecks mit Siedlern suchten ihr Glück jenseits von Missouri und Mississippi.

Von Manuel Lucena Giraldo
Veröffentlicht am 19. Apr. 2024, 14:59 MESZ
Cowboys reiten durch die Rocky Mountains

Zwei Cowboys in den Rocky Mountains zeigen: Der Mythos des Wilden Westen hat sich bis heute gehalten.

Foto von Carol M Highsmith / Rawpixel.com

Der junge französische Publizist Alexis de Tocqueville veröffentlichte im Jahr 1835 den ersten Band von „Über die Demokratie in Amerika“. Darin schildert er sein Erstaunen und die Eindrücke, die er auf einer neunmonatigen Studienreise durch die Vereinigten Staaten sammeln konnte. Tocqueville stellte fest, dass die Demokratie und die Massenauswanderung aus Europa in Amerika einen zivilisatorischen Wandel herbeiführten. „Wir sind hier in einer anderen Welt“, notierte er in einem Brief. Er war fasziniert von dem, was er den „sozialen Organismus“ nannte – das Zusammenwirken von Tausenden von Individuen, Männern und Frauen jeglicher Herkunft, die dorthin gekommen waren, um Erfolg zu haben – was wiederum hieß, dem Elend zu entkommen.

​Frei und gleich

Tocqueville und sein Freund und Reisegefährte Gustave de Beaumont machten sich auf den Weg, um diese ihnen unbekannte Realität zu erkunden, von den Partys der New Yorker High Society bis hin zu den rauen Docks, in denen täglich Tausende von Auswanderern als Tagelöhner schufteten. Neugierig beschlossen sie, das neu eroberte Land im Westen zu bereisen, und was sie entdeckten, war „ein allgemeiner Zustand der Gleichheit in der Bevölkerung“. Anders als in Europa schienen der Charakter und die Leidenschaften des Volkes ohne blutige Revolutionen und Klassenkampf in die Zukunft projiziert zu werden. Der Grund dafür war das Vorhandensein großer, unbesiedelter Gebiete.

Im Jahr 1803 hatten die jungen USA das Gebiet des damaligen Louisiana von Frankreich erworben, ein riesiges Territorium, das sich vom Mississippi bis zu den Rocky Mountains erstreckte. Damit fiel der neuen Nation genauso viel unerforschtes Land in die Hände wie den ursprünglichen 13 Staaten und ihren Besitzungen gemäß dem 1783 mit Großbritannien unterzeichneten Unabhängigkeitsvertrag. Im Jahr 1819 kauften die Vereinigten Staaten den Spaniern auch Florida ab, und zwischen 1846 und 1848 begannen sie einen Annexionskrieg, in dessen Verlauf sie sich Texas, Kalifornien und die mexikanischen Nordprovinzen einverleibten.

Als Meilenstein der amerikanischen Erschließung des Westens wird häufig die Expedition von Meriwether Lewis und William Clark genannt, die zwischen 1804 und 1806 auf ausdrücklichen Befehl von Präsident Jefferson das Gebiet um den Missouri und den Mississippi bereisten. Insgesamt 27 Militärangehörige und zwei Zivilisten (der Führer Drouillard und Clarks Sklave namens York) verließen Indiana nach dem strengen Winter. Ausgestattet mit Kanus, Gewehren und wissenschaftlichen Instrumenten sowie Geschenken für die Indigenen (Spiegel, Scheren, Messer und Tabak), machten sie sich auf den Weg, um das von Jefferson vorgegebene Ziel zu erreichen: „die direkteste und praktikabelste Handelsroute durch den Kontinent“.

​Ankunft im Unbekannten

Es war wichtig, dass sie den Pazifik erreichten und zurückkehrten, um davon zu berichten. Ein schiffbarer Wasserweg wurde gesucht, und die Gründung einer Nation zwischen den Ozeanen war angedacht. Dieses Unternehmen der „Grenzdiplomatie“, das einige Historiker des 20. Jahrhunderts sogar mit der Ankunft des Menschen auf dem Mond verglichen, diente der Bestandsaufnahme der Ressourcen, der Bevölkerung und der Wege in die neuen Gebiete. Danach entstanden die ersten Karten der im Westen in Besitz genommenen Länder. Es lässt sich jedoch nur schwer festlegen, ob dies schon eine „Eroberung des Westens“ war oder ob es umgekehrt eine Konsequenz der Dynamik der neu emanzipierten Republik darstellte.

Ein Großteil dieser Erkundungen wurde von Trappern wie Jedediah Smith durchgeführt, der sich auf eigene Faust und ohne staatliche Unterstützung in das unbekannte Land wagte. Smith wurde im Alter von 23 Jahren von der Missouri Fur Company, einem Pelzhandelsunternehmen, angeworben. Mit Bibel und Gewehr brachte er es fertig, Nevada und Utah zu durchqueren, Kalifornien auf dem Landweg zu erreichen und als erster Weißer die Sierra Nevada zu bezwingen. Dann wurde er 1831, im Alter von knapp 33 Jahren, an einer Wasserstelle wahrscheinlich von Komantschen überrascht und getötet.

Die Missouri Fur Company behauptete, „100 Männer – wie Jedediah Smith – hatten die Rocky Mountains erklommen“ und sich im Nordwesten dem lukrativen Pelzhandel gewidmet. In den populären Romanen von James Fenimore Cooper („Der letzte Mohikaner“) oder Karl May („Winnetou“) wurde der Mut der einsamen Abenteurer gepriesen, die die Zivilisation verließen und sich auf den Weg ins Grenzland machten. In diesen unerforschten Regionen entstand eine neue Art von Mensch: der Pionier. Um in den Weiten des Kontinents zu überleben, waren Ehrlichkeit, körperliche und geistige Stärke sowie Einfallsreichtum von größter Bedeutung.

Der Drang zur Ausbreitung wurde 1845 von dem Journalisten John L. O Sullivan aufgegriffen, der mit missionarischem Eifer die Theorie aufstellte, die den amerikanischen Expansionismus begründete: „Manifest Destiny“. Dieser Doktrin einer „offenkundigen Bestimmung“ zufolge hatte Gott der neuen amerikanischen Nation das Recht gegeben, sich über den Kontinent zu verteilen, um die Freiheit in alle seine Ecken zu bringen. Die Überzeugung trieb Millionen von Siedlern in den Westen. Dabei meinten viele von ihnen, das „Licht der Zivilisation“ berechtige sie auch, die Ureinwohner der „neuen“ Gebiete zu vertreiben.

Die Entdeckung von Gold in Kalifornien im Jahr 1848 führte zu einer Vervielfachung der Anstrengungen der Pioniere. Nach der Überquerung des Mississippi, zunächst nach Oregon und dann weiter nach Kalifornien, erreichten Wagenzüge mit Farmern und Siedlern ihr Ziel. Deutsche mennonitische Siedler machten den Conestoga-Wagen populär, der mit breiten Holzrädern und Eisenstreben ausgestattet und über dessen gebogene Spriegel eine mit Leinöl imprägnierte Plane gespannt war. Vier bis sechs Pferde zogen den schweren Lastenwagen. Diese „Prärie-Schoner“ benötigten fünf Monate, um in Konvois von Missouri nach Kalifornien zu gelangen. Nachts bildeten sie zum Schutz Kreise. Ältere Menschen und Kinder litten am meisten unter den Strapazen der Reise und den Krankheiten, insbesondere Cholera und Ruhr.

Cover National Geographic History Nr. 12

Foto von National Geographic

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