Pride Month: Darum sind Menschen homophob

Homosexuell, bisexuell, asexuell – die Formen der Liebe sind vielfältig. Die starke Ablehnung von gleichgeschlechtlicher Liebe nennt sich Homophobie. Doch warum sind Menschen homophob?

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 26. Juni 2024, 14:01 MESZ
Homophobie

Wieso verspüren Menschen Homophobie?

Foto von Anna_Barynina-Adobe-Stock

Das Wort „Homophobie“ setzt sich aus den griechischen Wörtern „homo“, was „gleich“ bedeutet, und „phobos“, was „Angst“ oder „Furcht“ bedeutet, zusammen. Es wurde erstmals in den 1960er-Jahren vom Psychologen George Weinberg verwendet, um die irrationalen Ängste und negativen Einstellungen gegenüber Homosexualität zu beschreiben. Mittlerweile wird der Begriff mancherorts durch „Homonegativität“ ersetzt. 

Ganz allgemein ist eine Phobie eine Angststörung, die durch eine irrationale, unrealistische, anhaltende und übermäßige Angst vor einem Objekt oder einer Situation definiert wird. Der österreichische Psychotherapeut Florian Friedrich findet den Begriff der Homophobie deshalb ziemlich passend: „Wenn man einen starken Hass auf jemanden oder auf eine bestimmte Personengruppe verspürt, spielt da auch ganz viel Angst mit. Dann fühlt man sich in seiner eigenen Identität so bedroht, dass man eine sehr starke psychische Angst empfindet. Aus psychotherapeutischer Sicht passt der Begriff also gut“, erklärt er.

Homosexualität: Rolle historischer, religiöser, kultureller und politischer Faktoren

Doch woher kommt Homophobie überhaupt? Die Ursprünge der Angst vor Gleichgeschlechtlichkeit sind komplex und vielschichtig: Historische, religiöse, kulturelle und politische Faktoren spielen eine Rolle bei der Entstehung und Verbreitung von homophoben Einstellungen. 

So gibt die Bundeszentrale für politische Bildung Religiosität als Grund für diskriminierende Vorurteile gegen Homosexuelle in der EU an. Menschen mit Religionszugehörigkeit brächten weniger Toleranz für Homosexualität auf als Menschen, die keiner Religion angehörten. Zudem stünden orthodoxe Christen, Katholiken und Muslime der Homosexualität tendenziell ablehnender gegenüber als Protestanten. Dabei gelte auch, dass je enger gläubige Menschen an ihre religiöse Institution gebunden seien, desto entschiedener lehnten sie Homosexualität ab. 

Historisch hat sich vor allem in der Lehre der abrahamitischen Religionen ein Ideal durchgesetzt, bei dem Sex der Fortpflanzung dient. Das führte dazu, dass Heterosexualität in vielen Kulturen bis heute als die „normale“ und „natürliche“ sexuelle Orientierung gilt, während Homosexualität als Abweichung betrachtet wird. Andererseits existieren in einigen Naturvölkern auch dieser Tage keine Wörter wie „hetero- und homosexuell", da Sexualität dort komplett offen ausgelebt wird. 

Ebenso unverkrampft ging man in der Antike mit Homosexualität um. Nicht nur die griechische Mythologie kennt homoerotische Gefühle, auch antike Autoren und Philosophen sprechen in ihren Schriften völlig unbelastet von gleichgeschlechtlicher Liebe. So gesteht beispielsweise der Feldherr Alkibiades in Platons Dialog-Schrift „Symposion“ dem anwesenden Sokrates seine Liebe und beklagt sein erfolgloses Werben.

Christentum verändert Blick auf Homosexualität

Doch das erstarkende Christentums in Europa verändert diese schuldfreie Sicht grundlegend: In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts werden in Europa zahlreiche Gesetze geändert, bis letztendlich fast überall die Todesstrafe auf gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Männern steht. Belegt ist, dass im Jahr 1277 die erste Todesstrafe wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen an einem Mann vollstreckt wurde. 

Homoerotische Beziehungen zwischen Frauen erhielten bis zum Mittelalter und in die frühe Neuzeit weniger Aufmerksamkeit als solche zwischen Männern. Erst später wurde weibliche Homosexualität als Verstoß gegen die göttliche Ordnung betrachtet und Frauen verfolgt und bestraft. Dennoch belegen historische Berichte und literarische Werke, dass lesbische Liebe trotz der kirchlichen Ablehnung in verschiedenen Kulturen und Epochen weiterlebte, oft im Verborgenen oder verschleiert durch enge Freundschaften und spirituelle Bindungen.

Bayern streicht 1813 als erster deutscher Staat eine Bestrafung

Im Jahr 1532 erließ Kaiser Karl V. Gesetze, die homosexuelle Handlungen sowohl von Männern wie auch von Frauen ahndeten: Tod auf dem Scheiterhaufen. Erst während Französischen Revolution 1791 wurde die Strafbarkeit für Homosexuelle aus dem Gesetzbuch gestrichen, in Preußen wurde 1794 die Todesstrafe zwar abgeschafft - allerdings durch Zuchthaus, Prügelstrafe oder Verbannung ersetzt. Unter dem Einfluss Frankreichs lehnte Bayern im Jahr 1813 als erster deutscher Staat die Bestrafung grundsätzlich ab.

Die liberale Einstellung sollte jedoch nicht von langer Dauer sein: Bereits im Jahr 1871 führte das Deutschen Kaiserreich den „Paragraf 175“ ein, welcher die „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern erneut bestrafte. Während des Nazi-Regimes reichte der alleinige Verdacht aus, um zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt zu werden. Der §§ 175 bezog sich in Deutschland ausschließlich auf Homosexualität zwischen Männern, jedoch wurden gerade auch im österreichischen Nazi-Deutschland Homosexualität zwischen Frauen strafrechtlich verfolgt. Doch auch ohne strafrechtliche Verfolgung waren lesbische Frauen während des Nationalsozialismus ebenfalls einem großen Risiko ausgesetzt. 

Homosexualität wurde in Deutschland erst 1969 legalisiert

Geändert wurde dieses Gesetz erst in der BRD im Jahr 1969: Es erlaubte erwachsenen Männern über 21 nun homosexuelle Handlungen. „Erst 1994 beschloss der Bundestag die endgültige Streichung des Paragrafen“, so die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Nach Schätzungen, die sich in der Wissenschaft etabliert haben, ist davon auszugehen, dass auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik zwischen 1949 und 1994 etwa 64.000 Männer nach den §§ 175, 175a StGB verurteilt worden sind, davon etwa 50.000 bis 1969, so der Lesben- und Schwulenverband.

Durch diese Sexualfeindlichkeit des Staates wurden homophobe Gesellschaftsbilder in der Bevölkerung normalisiert. „Man sagt, es dauert bis zu acht Generationen, um ein Trauma zu überwinden. Wir haben so viele Jahrzehnte in einer sexualfeindlichen Gesellschaft gelebt, in vielen Ländern ist das noch heute so. Diese Strukturen beeinflussen nach wie vor jeden Einzelnen“, erklärt der Psychotherapeut.

Innere und äußere Homophobie treffen aufeinander und beeinflussen einander

Dabei müsse man zwischen der inneren und der äußeren Homphobie unterschieden, so Friedrich: „Die äußere Homophobie geht von Systemen aus, z. B. vom Justizsystem, das lange Zeit vorwiegend schwule Männer verurteilte. Außerdem von Kirchen, Religionsgemeinschaften, von Arbeitskolleg*innen oder Familiensystemen“. Diese gesellschaftliche, „äußere Homophobie“ sei allerdings nicht der einzige Eckpfeiler. Hinzu komme die „innere Homophobie“, welche im Inneren einer Einzelperson stattfinde. Sie führe zu „massiver Angst, Ekel, Abscheu oder gar Hass gegenüber einer gleichgeschlechtlichen Lebensweise“. Es müsse jedoch zwischen dem „reinen Gefühl der Angst“ und der Art, wie diese Angst ausgelebt wird unterschieden werden: „Viele Menschen tragen eine internalisierte, innere Homophobie in sich, die sie jedoch nicht gewaltsam ausleben. Es geht nicht darum, dass man seine Gefühle, wie Angst gegenüber etwas ‚Unbekanntem‘, nicht fühlen darf. Vielmehr geht es darum, wie man mit diesen Gefühlen umgeht, was man aus ihnen macht“.

BELIEBT

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    Homosexuellen Menschen wird nicht selten vorgeworfen, ihre Form der Sexualität sei nicht normal. 

    Foto von Deagreez-Adobe-Stock

    Nicht nur heterosexuelle Menschen könnten diese inneren Gefühle verspüren, auch viele homosexuelle Menschen hätten in sich selbst eine homophobe Seite, erklärt Friedrich. „Aufgrund von sozialer Ausgrenzung in der Familie oder im Freundes- und Arbeitsumfeld und durch Mobbing können schwule und lesbische Menschen Angst und Abneigung gegen ihre eigene Sexualität entwickeln, oftmals auch als Schutzmechanismus.“ 

    Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, war überzeugt, dass alle homophoben Menschen selbst homosexuell sind; dieser Annahme widerspricht Florian Friedrich jedoch. Es könne in manchen Fällen der Grund sein, jedoch sind die Hintergründe meist vielschichtiger und komplexer. „Eine enorm autoritäre Kinderstube kann beispielsweise dazu führen, dass man seine eigenen Bedürfnisse und Gefühle stark unterdrückt und gerade auf Menschen, die ihre Identität gefunden haben und ausleben, einen Hass entwickelt.“ Je unsicherer ein Mensch mit seinem eigenen Selbst ist, umso mehr würde er sich durch die Abwertung anderer Personengruppen eine eigene Aufwertung verschaffen. Dies beträfe nicht nur homosexuelle Menschen, sondern auch Transpersonen, Personen mit ausländischen Wurzeln, anderer Religion und mehr. Vor allem Menschen, die ihre Identität freier ausleben (können), würden zum Angriffsziel.

    Ein solches Mobbing und die Abwertung anderer Personen würden kurzzeitig sogar zu einem Dopaminausschuss führen und mit einem Gefühl von Stärke und Macht einhergehen, so der Psychotherapeut - anhalten würde es jedoch nicht. Oftmals würden deshalb immer stärkere Taktiken gesucht, um sich selbst besser zu fühlen. So können aus Hasskommentaren auf Social Media Anfeindungen auf der Straße und sogar körperliche Gewalt werden.

    Schon in Schulklassen ist Homophobie zu spüren

    Florian Friedrich betreibt als Psychotherapeut sexualpädagogische Aufklärung in Schulklassen. Schon hier spüre er eine internalisierte Homophobie. Er erlebe mehr Jungen mit homophobischen Zügen als Mädchen; je religiöser und autoritärer die Mädchen erzogen werden, umso mehr wäre die Projektion auch hier vorhanden. Diese Eindrücke werden von mehreren Studien gestützt, unter anderem von einer Studie aus dem Jahr 2017. Die Elterngeneration spiele eine große Rolle, denn sie beeinflusse Kinder mit ihren Werten und Überzeugungen. Auch psychische, wie körperliche Gewalt in der Erziehung können eine homophobe Sozialisation bei Kindern begünstigen. Zusammenfassend sagt Friedrich: „Alles, was ein Kind isoliert und einen kulturellen und sozialen Austausch minimiert, kann zu Hassprojektionen führen.“

    Die Regenbogenfahne entwarf der amerikanische Künstler Gilbert Baker für den Gay Freedom Day 1978. Sie unterstreicht die Vielfalt der Lebensweisen von schwulen und lesbischen Menschen. 

    Foto von Chalermphon-Adobe-Stock

    Welche Auswirkungen hat Hass auf betroffene Personen der queeren Community?

    Welche Auswirkungen dieser Hass auf betroffene Personen der queeren Community hat, zeigen die erschreckenden Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2022: Allein bei Kindern und Jugendlichen der LGBTQIA+ Community haben 45 Prozent über Selbstmord nachgedacht, 14 Prozent haben einen Versuch unternommen. Die Selbstmordrate ist bei queeren Jugendlichen 4- bis 7-mal höher als bei heterosexuellen. „Gerade, wenn man sich als Mensch in seiner sexuellen Identität noch unsicher ist oder gerade erst sein Coming-out hatte, ist man sehr anfällig für Ablehnung. Mobbing, psychische wie auch physische Gewalt prägen in dieser Phase ganz besonders. Auch deshalb ist die Suizidrate in diesem Alter so hoch“, erklärt der Psychotherapeut. Weiterhin entstehen durch Mobbing und Ausgrenzung im sozialen wie auch beruflichen Umfeld starke Traumata, Selbstzweifel und Depressionen.

    Aufklärung und Bildung sollten in jedem Land schon früh stattfinden

    Wie kann man diese Anfeindungen nachhaltig minimieren? Um Ausgrenzung und Hass zu reduzieren, brauche es hauptsächlich eins: Aufklärung und Bildung – und zwar so früh wie möglich, so Friedrich. Sexualität solle kein Tabuthema sein, ebenso wenig wie Emotionen und Bedürfnisse. Man müsse mit dem Gegenüber in den Dialog gehen, man müsse informieren und vor allem Emotionen mehr in die Mitte der Gesellschaft rücken. 

    „Täter traumatisieren sich letztlich auch selbst. Hass kann zwar ein kurzes Gefühl von Macht geben, auf lange Sicht rutscht man jedoch in eine Abwärtsspirale aus noch mehr Hass und Abneigung und tut sich damit selbst weh.“ Florian Friedrich findet, dass die Homophobie nur ein Eckpfeiler eines größeren Problems ist: Unsere Gesellschaft habe den richtigen Umgang mit Sexualität nicht gelernt, genauer gesagt verlernt. „Jungen Frauen wird gesagt, sie dürfen nicht den ersten Schritt machen, sie müssten auf den Jungen warten, sie müssten sich rarmachen. Jungs hingegen wird vermittelt, sie müssten stark und der Verführer sein.“ 

    Solche Stereotype und Schubladendenken ziehen sich durch unsere Gesellschaft. Vor allem junge Menschen seien mit diesem Druck oft allein und isoliert, was wiederum zu einer Spaltung führe. Sowohl von oben aus der Politik, als auch von unten aus der Gesellschaft wäre ein ganzheitliches Umdenken wichtig, um Ausgrenzung, Hass, Unverständnis und Spaltung der Gesellschaft zu reduzieren und in einem verständnisvollen Miteinander zu leben. Der Therapeut erhofft sich vor allem auch von der Politik mehr: „Wir haben die Menschenrechtskonventionen unterschrieben und müssen auch rechtlichen Schutz sichern, der für Freiheit steht.“

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