Die Medici: Geld, Macht & Mord
Gut 350 Jahre lang beeinflussten die Medici die Geschicke Europas. Sie waren skrupellos, kunstsinnig, erfolgreich. Forscher bringen nun Licht in den glanzvoll-düsteren Mythos.
Gut 350 Jahre lang beeinflussten die Medici die Geschicke Europas . Sie waren skrupellos, kunstsinnig, erfolgreich. Forscher bringen nun Licht in den glanzvoll-düsteren Mythos.
Anna Maria Luisa lächelt. Als hätte die Grande Dame des Hauses Medici 269 Jahre nach ihrem Tod diesen Besuch erwartet: den Schädel leicht zur Seite geneigt, die Hände auf der Brust gefaltet. Zwischen ihren Fingerknochen steckt ein kleines Kreuz mit einer Jesusfigur, auf ihrer rechten Schulter liegt ein Medaillon, neben dem Kopf ein zweites. Die Krone auf ihrem Haupt hat Grünspan angesetzt und ist der einzige Farbtupfer in dem braunen Einerlei aus Knochen, Kleidern und Schlamm.
Die Besucher sind trotzdem höchst erfreut, ja geradezu elektrisiert. Bis vor kurzem hatten sie nur rätseln können, was sie bei dieser lange geplanten Exhumierung vorfinden würden. Einer nach dem anderen drängen sie in das Plastikzelt, das in der Krypta von San Lorenzo über Anna Maria Luisas Grabplatte aufgebaut worden ist, um für die Überreste aus der Gruft ein konstantes Raumklima zu schaffen. Dann beugen sie sich über den geöffneten Sarg. Anthropologen , Rechtsmediziner, Genetiker . Was sie an diesem Oktobermorgen 2012 in der Grabkirche der Medici in Florenz nun routiniert abspulen, ist eine Visite im Dienst der Wissenschaft. Mit Pinzetten und Messern schieben sie Kleidungsreste beiseite, füllen Gewebestückchen in Plastikflakons, entnehmen eine Knochenprobe und tasten das Skelett Zentimeter für Zentimeter mit einem Handscanner ab.
Wer die Spur der Medici aufnehmen will, muss also schon mal Hand an Leichen legen. Denn vieles, allzu vieles aus der Geschichte dieser wohl berühmtesten Familie des frühneuzeitlichen Europa liegt noch heute im Dunkeln.
Auf den ersten Blick sind die Medici schillernde Figuren, die gut 350 Jahre lang die Geschicke von Florenz bestimmten, die reicher als mancher König waren und mit ihrem Geld Größen wie Botticelli, Leonardo, Michelangelo und Galilei förderten und forderten. Ihr Stammbaum glänzt mit Bankiers und Fürsten, mit sieben Kardinälen, zwei Päpsten und zwei Königinnen, mit Akteuren, die an Bill Gates, aber auch an Silvio Berlusconi, an die Kennedys wie an die englischen Royals unserer Tage erinnern.
Ihre Geschichte füllt ganze Bibliotheken. Und dennoch: Wer sich mit ihnen befasst, stößt immer wieder auf dunkle Stellen, Ungereimtheiten und ungelöste Fälle. Auf Intrigen, Verbrechen – und auf Mord und Totschlag. «Es gibt eine regelrechte Kriminalgeschichte der Medici, die eine fatale Neigung zur Gewalttätigkeit entwickelten», schreibt der mit Themen der italienischen Renaissance bestens vertraute deutsche Historiker Volker Reinhardt. Warum wurde 1478 versucht, den Chef des Clans, Lorenzo den Prächtigen, umzubringen? Wie kamen gut hundert Jahre später Francesco de’ Medici und seine Geliebte Bianca Cappello zu Tode? Welches Schicksal erlitten mehrere junge, prominente Medici-Frauen, wo blieben ihre Leichen?
Seit mehr als hundert Jahren spüren nicht nur Historiker, sondern auch Mediziner den Geheimnissen der Medici nach, um die Geschichte des legendären Clans zu Ende zu schreiben. Neuerdings mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden: Sie analysieren Erbgut aus Skeletten, suchen nach verdächtigen Stoffen, die sich darin nachweisen lassen, und geben namenlosen Schädeln mit digitaler Technik wieder ein Gesicht (siehe Februarheft 2013, „Das Geheimnis der jungen Frauen von San Lorenzo“).
Die Exhumierung von Anna Maria Luisa ist der neueste Fall in der dicken Akte Medici. Aufgerollt hat ihn die Florentiner Medizinhistorikerin Donatella Lippi – eine Art „Miss Marple der Medici“, die seit Jahren Archive durchforstet und auch mal mit bloßen Händen nach Spuren gräbt – zusammen mit Forschern und Kuratoren der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, die dem berühmten Clan eine eigene Ausstellung widmen: „Die Medici. Menschen, Macht und Leidenschaft“, eröffnet am 17. Februar, dem 270. Todestag von Anna Maria Luisa.
Die Tochter des Großherzogs Cosimo III. de’ Medici war 1691 im Alter von 24 Jahren mit Johann Wilhelm von der Pfalz verheiratet worden, nach Düsseldorf gezogen und erst 1717, ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes, wieder nach Florenz zurückgekehrt. Da wie dort wurde sie hoch geschätzt: eine gottesfürchtige, großmütige Frau, die auch die Oper liebte und sich aufs Jagen verstand. Ohne sie wäre Florenz heute wohl um etliche Gemälde, Skulpturen und naturkundliche Sammlungen ärmer. Denn Anna Maria Luisa setzte durch, dass alle Kunstschätze der Medici nach ihrem Tod in der Stadt verbleiben. So verewigte sie das Vermächtnis ihrer Familie, das ein tatkräftiger junger Mann dreieinhalb Jahrhunderte zuvor – im Jahre 1397 – aufzubauen begonnen hatte: Giovanni di Bicci.
Er war nicht der erste Medici, der in Florenz namhaft wurde. Bereits Ende des 13. Jahrhunderts hatten es seine Vorfahren, die aus dem Mugello, einer Gegend der nördlichen Toskana, zugewandert waren, zu Ämtern in der Signoria, der Stadtregierung, gebracht: als eine von etwa 300 Familien, die in Florenz das Sagen hatten. Die Zeiten waren günstig nach der großen Pest von 1348, Handel und Fernhandel blühten auf, hier vor allem die Tuchweberei und das Bankwesen. In dieser riskantesten (aber auch profitabelsten) Branche setzte Giovanni den Grundstein für ein Familienimperium, das fortan ganze Epochen mitprägen sollte.
Im Oktober 1397 gründet er in Florenz eine eigene Bank. 30 Jahre später ist er der zweitreichste Mann der Stadt, die Medici-Bank fortan ein Jahrhundert lang – bis zu ihrer Weiterführung nach 1496 unter Tarnadressen! – die erste und überragende Finanzmacht Europas.
Zum Anfangen brauchte er nicht viel: die Genehmigung der Geldwechslergilde, einen grün bespannten Tisch – den banco –, den er in der Via Porta Rossa aufstellte, ein Schriftbuch und genügend Bares. Aber viel Mut und Unternehmergeist waren nötig, um das zu tun, was er und sein Sohn Cosimo alsbald schafften: ein Bankennetz zu knüpfen, das von London bis Neapel und Zypern, von Barcelona bis Konstantinopel reichte; den Papst als Hauptkunden zu gewinnen; in 15 Jahren einen Gewinn von 290000 Fiorini zu erwirtschaften (mit 1000 Fiorini baute man sich damals einen prächtigen Palazzo) – und dabei still und heimlich in Florenz die Macht zu übernehmen. In einer Stadt, in der es eigentlich keine Machthaber geben durfte.
Florenz war zu dieser Zeit ein republikanisch verfasster Stadtstaat und peinlich genau auf die Einhaltung der Spielregeln bedacht. Die Signoria bestand aus neun Männern, die nicht gewählt, sondern aus Listen der politikfähigen Familien ausgelost wurden. Für zwei Monate, um Missbrauch gar nicht erst entstehen zu lassen. Diese lupenreine Oligarchie funktionierte so: Erwählt war, wessen Name aus einem der amtlichen Lederbeutel gezogen wurde, in den er eingefüllt worden war; Entscheidungen der Signoria bedurften der Zweidrittelmehrheit. Schönes Spiel – und leicht zu steuern für jemanden, der es darauf anlegte. Die Medici taten das mal mit Geduld, mal mit Gewalt, immer aber mit klarem Willen zur Macht: Von 1434 an ließen sie – handverlesen durch willfährige Wahlausschüsse – nur noch Namen von loyalen Leuten in die Lederbeutel; „wählbar“ waren nicht mehr 2000 Bürger, sondern gerade mal an die 70. Sich so Gefolgschaft zu erkaufen, beherrschte vor allem Cosimo de’ Medici perfekt. «Er hatte so gut wie allen einflussreichen Familien Geld geliehen oder geschenkt», schreibt der Historiker Reinhardt. «Diese Summen mussten die Empfänger nicht zurückzahlen, sondern abarbeiten: durch politische Gefälligkeiten und andere Akte der Gefolgschaftstreue.» Ein allumfassendes Netzwerk nach dem Motto „Ich gebe, damit du gibst“ – und eine Anmaßung, die unter den Florentiner Familien nur böses Blut schaffen konnte.
Den Stammbaum der Medici finden Sie auf einer Karte am Ende dieses Artikels. Für eine Großansicht einfach auf die Karte klicken oder als PDF hier herunterladen (mit einem Rechtsklick und "Ziel speichern unter").
Jene, die an diesem so subtilen wie servilen System Medici nicht teilhaben konnten, dürsteten nur noch nach Umsturz und Rache.
Sonntag, 26. April 1478. Im Dom von Florenz geben sich die Gläubigen gottesfürchtig, doch unter ihnen sind Männer, die Teuflisches im Schilde führen: die Bankiers Bernardo Bandini Baroncelli und Francesco de’ Pazzi aus feinsten Florentiner Häusern. Immer wieder schielen sie zu Lorenzo de’ Medici und seinem Bruder Giuliano, die ebenfalls die Messe hören. Endlich beide an einem Ort! Immer wieder tasten sie an ihre Mäntel, unter denen Dolche verborgen sind.
Lorenzo und Giuliano waren die vierte Generation des Bankier-Clans, und sie prägen bis heute unser Bild der Medici. Lorenzo, als „der Prächtige“ verehrt, glich zwar äußerlich mehr einem Bauern als einem Edelmann. Höckerige Stirn, wuchtiges Kinn, platte Nase, er konnte nichts riechen und näselte stark.
Aber er war ein Renaissance-Mensch in Reinkultur. Schrieb selber Gedichte, reimte an Karneval anzüglich fürs Volk und hatte die Größe, sich nicht allzu ernst zu nehmen. Vor allem war er jemand, der die Förderung von Kunst und Kultur nicht mehr als gottgefällige Anzahlung auf einen Platz im Himmel verstand wie noch sein Großvater Cosimo. Für Lorenzo war Kunst ein Mittel seiner Politik: Machtdemonstration und Propaganda in höchster Vollendung. Florenz ist voller Fresken, Gemälde, Gebäude, Skulpturen, in denen er sich und seinen Clan – wegweisend für die nächsten Generationen – selbstherrlich verewigen ließ. Dafür liebte das Volk den „Paten von Florenz“.
Im Dom bricht Tumult aus. Aufspringende Männer. Schreie. Blut. Baroncelli, Pazzi und ihre Komplizen stürzen sich auf ein Zeichen hin auf die Medici-Brüder und stechen mit ihren Dolchen zu. 19-mal bohren sich die Klingen in Giulianos Körper. Tödlich verletzt bricht er zusammen. Wo ist Lorenzo? Auch er ist getroffen, kann sich aber losreißen und in die Sakristei retten. Damit scheitert die „Pazzi-Verschwörung“ – eines der legendärsten und dramatischsten Attentate der Geschichte.
Lorenzos Gegenschlag ist ein einziger Blutrausch: fast hundert Menschen werden von Medici-Milizen gestellt und gehenkt, Attentäter wie Hintermänner, Mitläufer wie Missliebige. Tagelang hängen die Leichen zur Abschreckung in den Fenstern des Palazzo della Signoria. Der Name Pazzi wird ausradiert, das Vermögen der Familie konfisziert.
Was Lorenzo nicht wusste und auch Historiker bis vor kurzem nicht geahnt hatten: Der eigentliche Drahtzieher des Attentats war Federico da Montefeltro, der Herzog von Urbino, und ein Freund Lorenzos. Bis dahin galt der Papst, damals Sixtus IV., als die treibende Kraft. «Ich unterstütze es – solange niemand getötet wird», soll er gesagt haben.
Licht in das Verbrechen brachte 2004 der italienische Historiker Marcello Simonetta von der Wesleyan-Universität in Connecticut. Ihm gelang es, einen in Geheimschrift verfassten Brief zu dechiffrieren, den Montefeltro an seinen Botschafter in Rom geschickt hatte. Darin wies er ihn an, dem für den Mord gedungenen Baroncelli weiszumachen, der Papst wünsche den Tod der Medici-Brüder, und dem Attentäter sei dank päpstlicher Zertifikate ein Platz im Himmel sicher. Montefeltro zog derweil Truppen bei Florenz zusammen, um die Macht in der Toskana an sich zu reißen. Die Pazzi und ihre Mordkumpane waren also nichts als Werkzeuge in einem weit größeren Plan ...
Um ihre letzten Geheimnisse zu lüften, wurden in Florenz die Gräber der Medici geöffnet. Der Film begleitet die spannende Arbeit der Wissenschaftler.
Der Mord an Giuliano ist wohl die dramatischste Bluttat im Hause Medici. Andere Delikte waren zwar weniger inszeniert, aber nicht minder raffiniert – und hinterhältig.
November 1526. In der Nähe von Mantua kämpft ein hünenhafter Medici, genannt „Giovanni dalle Bande Nere“, im Sold des französischen Königs gegen die Soldaten von Kaiser Karl V. Giovanni stammte aus einer Seitenlinie der Medici und war Condottiere: ein Kriegsherr mit eigener Söldnertruppe, den man fürs Kämpfen buchen konnte.
Männern wie ihm gingen damals die Aufträge nie aus. Frankreich und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, aber auch die Stadtstaaten Florenz, Mailand, Venedig, Ferrara, Siena, Pisa lagen in ständigem Clinch miteinander. Jeder gegen jeden oder auch für jeden – je nach Konkurrenz und Kriegskasse. Anders als drei Jahre zuvor kämpfte der Medici-Condottiere diesmal gegen die Kaiserlichen, als ihn ein Schuss in den rechten Oberschenkel traf.
Die Sache ist ernst, der aus Mantua herbeigerufene Arzt beschließt: Amputation! Starke Männer sollen Giovanni während der Prozedur festhalten, doch der winkt ab und hält dem Chirurgen selbst das Licht. So schildert es der Schriftsteller Pietro Aretino, der der Szene beiwohnt, bis er nicht mehr mitansehen kann, wie sich die Säge durch Giovannis Bein frisst. Doch der scheint unbesiegbar zu sein. „Ich kehre in den Kampf zurück!“, verkündet er, den Stumpf seines Fußes wie eine Trophäe schwenkend.
Den Fuß? Warum wurde sein Fuß amputiert, wenn der Oberschenkel verletzt war?
Jahrhundertelang stieß sich niemand an dieser Geschichte – bis „Miss Marple“ Lippi dem Widerspruch nachging. Hatte Aretino vor lauter Aufregung Unsinn geschrieben?
Lippi wollte Gewissheit. Sie fuhr nach Rom, ins Archiv des Anthropologen Giuseppe Genna, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg diverse Medici-Leichen untersucht hatte, darunter Giovanni dalle Bande Nere. In einem Wust unsortierter Unterlagen wurde sie fündig: Ein Röntgenbild von Giovannis Beinknochen zeigt, dass er tatsächlich oberhalb der Ferse abgesägt worden war. So behandelt, musste sich der verletzte Oberschenkel weiterentzünden. Lippi hat nur eine Erklärung für solchen Pfusch: «Giovanni sollte bewusst ins Jenseits befördert werden.» Und den Schuldigen vermutet sie im engsten Familienkreis: Papst Clemens VII., alias Giulio de’ Medici, der ewige Wendehals auf dem Heiligen Stuhl, hatte damit «einen Widersacher des Kaiserreichs aus dem Weg geräumt».
Giovanni dalle Bande Nere starb in der Nacht zum 30. November 1526, mit 28 Jahren. Doch er hinterließ ein Kind, einen Sohn: jenen Medici, der die Macht des Clans auf den Zenit führen sollte – Cosimo I.
Die Medici sind zu Gast in Mannheim. Die Reiss-Engelhorn-Museen widmen ihnen eine ganze Ausstellung. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.
Als Cosimo 1519 geboren wurde, steckten die Medici in einer Krise und waren zugleich auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Das Tief spielte sich in Florenz ab, das Hoch in Rom. Zweieinhalb Jahre nach Lorenzos Tod im April 1492 waren die Medici, denen es nun an einer starken Persönlichkeit fehlte, aus ihrer Heimatstadt vertrieben worden. Ihr Palazzo wurde geplündert, ihr Vermögen konfisziert. 18 Jahre sollten vergehen, bis sie sich wieder an die Spitze von Florenz manövriert hatten.
In Rom konnten die Dinge derweil nicht besser laufen: 1513 bestieg Lorenzos Sohn Giovanni als Papst Leo X. den Heiligen Stuhl. Zehn Jahre später folgte ihm sein Cousin Giulio als Papst Clemens VII. – der uneheliche Sohn von Giuliano, jenem Medici, der bei der Pazzi-Verschwörung im Dom von Florenz erdolcht worden war. Es scheint eine Ironie des Schicksals zu sein, dass ausgerechnet Giulio, dem die Florentiner den Vater genommen hatten, ihnen ihre alteingesessene Republik zunichtemachen sollte.
Als die Verwandtschaft in Florenz wieder einmal in der Klemme steckte, ließ der Medici-Papst die Stadt 1530 mithilfe kaiserlicher Truppen erobern und Alessandro de’ Medici – seinen mutmaßlichen Sohn – als Herzog einsetzen. Doch auf diesem Machtspiel lag kein Segen: sechs Jahre später wurde Alessandro ermordet – von einem entfernten Vetter namens Lorenzino, der damit seinen Anspruch auf das Erbe der Medici durchsetzen wollte.
Dies war die Stunde von Cosimo: 17-jährig wurde er an die Macht gewählt, 33 Jahre später vom Papst zum Großherzog der Toskana ernannt. Die Medici hatten ihr Ziel erreicht: Sie waren nicht mehr die heimlichen Strippenzieher, sondern die Fürsten von Florenz. Cosimo I. führte die Erblichkeit der Medici-Herrschaft ein, endlich war die Macht des Clans nicht mehr von der politischen Wetterlage abhängig.
Man sollte meinen, dass jetzt endlich Ruhe in diese Geschichte einkehren kann. Das Gegenteil war der Fall. Unter Cosimo I. kamen Pracht und Gewalt – die beiden Gesichter der Medici – noch einmal dramatisch zutage.
Cosimo I. lebte und agierte exakt wie der „Fürst“, den der Florentiner Diplomat und Dichter Niccolò Machiavelli 1513 in seinem provokanten Buch zum Ideal erkoren hatte: barmherzig und grausam zugleich.
Auch die Attitüden seiner Ehefrau, Eleonora da Toledo, passten ins Bild. Sie verbot den anderen Damen am Hof, Perlen zu tragen, weil sie sich als Einzige damit schmücken wollte, und ließ sich, als ein Rückenleiden ihr das Gehen unmöglich machte, von einem Esel die Treppen im Palazzo Pitti hinauftragen.
Böse Gerüchte kamen 1557 auf, als Cosimos Tochter Maria im zarten Alter von 17 Jahren starb – angeblich an Malaria. Hinter vorgehaltener Hand aber hieß es, ihr Vater höchstpersönlich habe sie aus dem Leben geschafft, nachdem er erfahren hatte, dass sie sich einen Liebhaber hielt.
Fünf Jahre später fiel erneut ein schreckli-cher Verdacht auf Cosimo I. Diesmal habe sein Sohn Garzia daran glauben müssen, weil der seinen Bruder Giovanni bei einem Streit tödlich verletzt hatte. Eleonora, die Mutter der beiden, sei daraufhin vor lauter Gram einem Herzinfarkt erlegen. Tatsächlich starben Giovanni, Garzia und Eleonora im Abstand von nur 37 Tagen im Spätherbst 1562. Als offizielle Todesursache wurde wiederum Malaria vermerkt.
Wohl wahr, dass die Seuche im damals vielerorts sumpfigen Mittelitalien immer wieder und besonders stark grassierte. Die meisten Medici machten im Laufe ihres Lebens die Krankheit durch. Aber ob so viele an ihr gestorben sind, wie die Chroniken behaupten, bleibt fraglich. Zumindest in einem Fall ist mittlerweile bewiesen, dass der Todesbefund Malaria nur ein Vorwand war.
Auch Francesco I., der seinen Vater Cosimo als Großherzog beerbt hatte, sei der Krankheit erlegen, ließ am 19. Oktober 1587 tief erschüttert sein Bruder Ferdinando verkünden. Zwölf Stunden später habe die Seuche zudem Francescos Frau Bianca Cappello dahingerafft.
Recht glauben mochten die Leute Ferdinandos Worten nicht. Er habe seinen Bruder und seine Schwägerin vergiftet oder vergiften lassen, hieß es schon bald. Aus dem Weg geräumt, um selber an die Macht zu kommen.
Aber es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass die Medici vor allem die Ihren zu fürchten hatten. Um den Gerüchten den Boden zu entziehen, ordnete Ferdinando eine Obduktion der Leichen an. Die Ärzte stellten ordergemäß fest, was er sich wünschte: Malaria.
418 Jahre später, im Mai 2005. Donatella Lippi ist auf dem Weg nach Buonistallo, einem Ort gut 20 Kilometer außerhalb von Florenz. In der dortigen Kirche von Santa Maria sollen in den dafür üblichen Krügen die Eingeweide von Francesco und Bianca Cappello unmittelbar nach der Obduktion bestattet worden sein, während ihre Leichen erst Wochen später nach Florenz gelangten. So steht es in einem Dokument aus dem 16. Jahrhundert, das Lippi im Diözesanarchiv von Pistoia gefunden hat.
Diesmal meint es einfach ein schlichter Zufall gut mit der rastlosen Detektivin. Als sie die Kirche von Santa Maria betritt, findet sie einen Teil des Fußbodens geöffnet vor. Die Krypta wird gerade saniert, und Lippi schaut in ein schmales, tiefes, verfülltes Loch. «Zehn Tage später – und alles wäre wieder zu gewesen», sagt sie heute. Mit bloßen Händen beginnt sie zu graben, reibt das Füllmaterial aus der Baugrube zwischen ihren Handflächen klein. So spürt sie am besten, was Erde und was Stein ist. Was Keramik und was Stoff. Sie stößt auf zwei Kreuze, wühlt weiter, und – hält inne. Etwas Trockenes, Festes und zugleich Bröseliges liegt in ihrer Hand: ein pfirsichkerngroßes Stück Gewebe! Sie findet noch sechs weitere.
Lippi lässt die Proben von DNA-Spezialisten aus Florenz und Verona untersuchen und mit dem Erbgut von Francesco I. vergleichen. Sein Grab in San Lorenzo war kurz zuvor geöffnet, seine Knochen untersucht worden. Und tatsächlich: Fünf Gewebestücke stammen von ihm, zwei von einer weiblichen Person. Lippi ist sich sicher, dass es sich dabei um Bianca Cappello handelt. Ein DNA-Abgleich mit ihren Knochen ist allerdings unmöglich – niemand weiß genau, wo Bianca Cappello bestattet ist. Ferdinando hatte der verhassten Schwägerin kein offizielles Grab gegönnt.
Der letzte Triumph aber bleibt ihm nicht: In den gefundenen Geweberesten wurde tatsächlich Arsen nachgewiesen. Nicht viel, aber genug für einen Mord. Ferdinando ist überführt!
Zu wissen, auf welch infame Weise Ferdinando an die Macht kam, verursacht Gänsehaut. Dennoch erwies er sich als ein viel besserer Herrscher als sein Bruder. Francesco war ein regelrechter Tyrann gewesen, jähzornig, brutal, eigenbrötlerisch. Wie besessen betrieb er Alchemie, um das Regieren kümmerte er sich kaum. Ungerührt duldete er, dass sein Bruder Don Pietro am 11. Juli 1576 die ihm angetraute Frau mit einer Hundeleine erdrosselte. Als fünf Tage später seine Schwester Isabella auf seltsame Weise starb, hatte er für das Gerücht, auch ihr Ehemann habe sie erwürgt, nur ein Achselzucken übrig. Francesco liebte niemanden außer sich selbst und seine Mätresse Bianca Cappello, eine Venezianerin, die er sofort heiratete, nachdem seine Ehefrau Johanna nach der achten Geburt im Kindbett gestorben war.
Im Gegensatz zu Francesco galt Ferdinando als gerecht, tolerant und großzügig, obwohl seine körperlichen Leiden ihm die Laune manchmal ganz schön vermiest haben mussten. Ferdinando litt am Morbus Forestier, der seine Wirbelsäule versteifen ließ – und an der Gicht.
Seit je gilt die Gicht als die Familienkrankheit der Medici. Jeder, dem Knochen und Gelenke weh taten (und die taten vielen der Medici weh, von denen übrigens nur wenige alt wurden), bekam von den zeitgenössischen Ärzten Gicht attestiert, die „Krankheit der Könige“. Cosimo „der Alte“ hatte wegen seiner „Gicht“ ständig in Angst gelebt, früh zu sterben. Sein Sohn Piero bekam sogar den Beinamen „der Gichtige“.
Modernen Untersuchungen hält diese Generaldiagnose von damals allerdings nicht stand. Die Knochen der Medici weisen keine purinhaltigen Ablagerungen auf, die typisch wären für die Gicht. Stattdessen sind sie abgenutzt und deformiert – die Folgen von Arthritis. Dies war die Regel, Gicht die Ausnahme. Ferdinando ist bisher der einzige Medici, bei dem tatsächlich Gicht nachgewiesen werden konnte.
Es hätte Ferdinando wohl nicht gefallen zu sehen, was man mittlerweile von ihm weiß. Doch die Art und Weise, wie sein dunkles Geheimnis ergründet wurde, hätte ihn sicher begeistert. Ferdinando faszinierten die Naturwissenschaften, seinen Sohn Cosimo II. ließ er von keinem Geringeren als Galileo Galilei in Mathematik unterrichten. Galilei wurde von den Medici derart großzügig unterstützt, dass er die von ihm entdeckten Jupitermonde „Mediceische Gestirne“ nannte und einen seiner vier Kopernikanischen Briefe an Ferdinandos Ehefrau Christine adressierte.
Vier Generationen nach Ferdinandos Brudermord erlosch der Stern der Medici. Wie ihre Geschwister blieb auch Anna Maria Luisa, die Kurfürstin der Pfalz, kinderlos. Unklar ist noch, woran Anna Maria Luisa am 18. Februar 1743 starb. Lange Zeit war von Syphilis die Rede, neuerdings ist es Brustkrebs.
Seit die Wissenschaftler bei der Exhumierung ihre sterblichen Überreste in Augenschein nehmen konnten, schließen sie Syphilis mit ziemlicher Sicherheit aus. Denn an der Oberseite des Schädels fehlen die typischen Knochenveränderungen, die diese Krankheit hinterlassen hätte. Genaueres könnte die Analyse von Anna Maria Luisas Erbgut ergeben. Wenn denn ihre DNA dafür gut genug erhalten ist.
Doch vorerst wird Anna Maria Luisa in der Medici-Ausstellung von Mannheim zu plastischem Leben erweckt. Ein Marmorrelief zeigt sie in ihrer Jugend, ein Ölgemälde als Kurfürstin von der Pfalz. Das Kleid, das sie auf dem Bild trägt – ein traumhaft blaues mit rotem Umhang –, hat die belgische Papierkünstlerin Isabelle de Borchgrave nachgebildet.
Das Glanzstück aus Anna Maria Luisas Vermächtnis aber ist die Krone, die der Kurfürstin mit ins Grab gegeben war. Was bisher niemand wusste: Es ist der sogenannte Kurhut ihres Gatten Johann Wilhelm II. Anhand der 3-D-Daten, die die Forscher aus Mannheim bei der Exhumierung gewannen, und mithilfe zeitgenössischer Darstellungen hat der Düsseldorfer Juwelier Georg Hornemann die Insigne originalgetreu nachgebaut: aus vergoldetem Kupfer, gesäumt von Hermelin und rotem Samt. Diese Krone zu sehen hätte Anna Maria Luisa wohl zum Strahlen gebracht.
(NG, Heft 3 / 2013, Seite(n) 40 bis 69)