John Franklin

Er ist kein ehrgeiziger Draufgänger, eher ein umsichtiger Kapitän. Aber seine Fahrt ins Eismeer wird zum Mythos. Der Engländer sucht die Nordwestpassage, um Amerika zu umsegeln. Doch seine Expedition kehrt nie zurück.

Von National Geographic

John Franklin ist kein ehrgeiziger Draufgänger, eher ein umsichtiger Kapitän. Aber seine Fahrt ins Eismeer wird zum Mythos. Der Engländer sucht die Nordwestpassage, um Amerika zu umsegeln. Doch seine Expedition kehrt nie zurück.

John Franklin soll Theologe werden, finden die Eltern. Doch John Franklin zieht es zur See. Schon mit knapp 15 Jahren tritt er in die englische Marine ein. 1801 bereitet Matthew Flinders eine Expedition nach Australien vor. Er nimmt John, seinen Neffen, mit ans andere Ende der Welt. Erst drei Jahre später kehrt der junge Seemann nach England zurück.

Als 19-Jähriger zeichnet John Franklin sich 1805 bei der Schlacht von Trafalgar durch Tapferkeit aus. Die Admiralität befördert ihn zum Leutnant. Es ist die Zeit der napoleonischen Kriege, auch in Amerika kämpft England gegen Frankreich. 1815 wird Franklin beim Angriff auf New Orleans schwer verwundet. Nach dem Sieg über Napoleon und der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress ist England nun die unbestrittene Weltmacht. Die Kriegsflotte wird abgebaut, man kann sich mehr den Forschungsreisen widmen. Unter David Buchan nimmt Franklin 1818 an seiner ersten Polarexpedition teil. Der Auftrag der britischen Admiralität lautet, mit den Schiffen „Dorothea“ und „Trent“ den Nordpol zu erreichen.

Aber es geht um mehr als den Pol. Man hofft auf eine nördliche Passage in den Pazifik, vielleicht sogar auf ein eisfreies Polarmeer. Franklin ist der Kommandant der „Trent“. Die Expedition segelt nach Spitzbergen. Jenseits von 75 Grad nördlicher Breite schneit es. Die Takelage vereist, die Besatzung schlägt mit Stöcken auf die Taue, um sie beweglich zu halten. Bei minus 81 Grad verkeilen sich die Eisschollen ineinander. Buchan gibt den Befehl zur Umkehr. Eis kann ein unbezwingbarer Gegner sein. Franklin hat sich als guter Kapitän ausgezeichnet – und erhält gleich seinen nächsten Auftrag.

1819 soll er östlich der Mündung des Coppermine River die Nordküste Kanadas erkunden. Er zieht vom Großen Sklavensee nach Norden. An der Küste vermisst er 550 Seemeilen unbekanntes Land. Der Rückweg wird für einen Teil seiner Leute zum Todesmarsch. Neun der ursprünglich 20 Männer sterben. Franklin ist drei Jahre unterwegs gewesen. In England wird er berühmt als „der Mann, der seine Stiefel aß“.

Im Jahr 1825 startet John Franklin zur nächsten Überlandexpedition in den Norden Kanadas. Diesmal soll er von der Mündung des Coppermine River die Küste nach Westen hin kartieren. Franklin fährt den Fluss Mackenzie River hinauf, wochenlang durch weite Wälder. An Stromschnellen müssen die Boote herumgetragen werden. An der Mündung des Flusses teilt sich im nächsten Jahr die Gruppe. John Richardson erforscht nach Osten hin die Küste bis zum Coppermine River.

Franklin zieht nach Westen weiter, gelangt bis Herschel Island bei 140 Grad westlicher Länge. Bei ungefähr 150 Grad, am Point Beechey im heutigen Alaska, muss er umkehren. Der Winter naht – es ist Mitte August. Die beiden Gruppen treffen sich wieder, überwintern gemeinsam in einem Blockhaus. Im September 1827 sind sie zurück in England. Sie haben 2000 Seemeilen neues Küstengebiet kartiert – ein großer Erfolg. Franklin wird zum Kapitän befördert und geadelt. Er heiratet Jane Griffin, die selber weit gereist ist. 1830 erhält Sir Franklin das Kommando über eine Fregatte des englischen Mittelmeergeschwaders. Von 1836 bis 1843 ist er Gouverneur in Van-Diemens-Land (später Tasmanien). Ab 1844 bemüht sich Franklin erneut um das Kommando einer geplanten Arktisexpedition. Zunächst gibt es von offizieller Seite Einwände wegen seines Alters. Der Kapitän zählt immerhin schon 58 Jahre. Doch schließlich soll er eines der letzten großen geographischen Rätsel klären. Wo verläuft die Nordwestpassage – und ist sie schiffbar?

Der Mythos einer nördlichen Route um Amerika beschäftigt die Menschen seit Jahrhunderten. Schon 1497 bis 1498 versuchte der Italiener Giovanni Caboto im hohen Norden nach Westen zu gelangen. Wahrscheinlich kam er bis Neufundland. In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts unternahmen die Portugiesen drei Versuche, eine Passage im Nordpolarmeer zu finden. Im 17. Jahrhundert startete Henry Hudson drei vergebliche Expeditionen. Robert Bylot und William Baffin erreichten 1615/16 im Baffinmeer 78 Grad nördlicher Breite. Es dauerte 200 Jahre, bis das wieder jemand schaffte. 1619 überwinterte der Däne Jens Munk in der Hudsonbai. Von den 65 Teilnehmern seiner Expedition überlebten nur zwei. Zumindest von dieser Bucht aus schien eine Querung des Kontinents nach Westen also nicht möglich.

Im 18. Jahrhundert suchte James Cook im Beringmeer nach einem möglichen Weg in den Osten – ebenfalls umsonst. John Ross scheiterte 1818. Ein Jahr später startete Edward Parry eine Seeexpedition, die beim Viscount Melville Sound immerhin 113 Grad westliche Länge erreichte – aber das Geheimnis der Nordwestpassage war immer noch nicht gelüftet.

Unzählige Männer haben auf der Suche ihr Leben gelassen. Nun will John Franklin schaffen, was keiner vor ihm geschafft hat. Er bekommt die eistauglichsten Schiffe seiner Zeit. Die „Erebus“ und die „Terror“ – aus Holz, aber mit eisenverstärktem Bug – waren mit James C. Ross schon erfolgreich in der Antarktis. Jetzt werden die Barken noch einmal generalüberholt. Es wird eine Dampfmaschine eingebaut, die die Crew unabhängig vom Wind macht. Die damit betriebene Schiffsschraube kann bei Eis in einen Schacht im Bootskörper hochgehievt werden. Rohre werden im Schiff verlegt, durch die sich dampferhitztes Wasser leiten lässt, so dass einige Räume beheizbar sind. Die Expedition ist auf dem neuesten technischen und wissenschaftlichen Stand.

Es ist das 19. Jahrhundert, das viktorianische England ist stolz auf seine Fortschritte. Geomagnetische Messungen und meteorologische Beobachtungen sollen durchgeführt werden. Auch ein Naturkundler ist an Bord. Jedes Schiff hat eine Bibliothek mit mehr als 1000 Büchern – und eine Drehorgel, die 50 Melodien spielen kann. Vorräte für drei Jahre sind geladen, darunter gut 62 Tonnen Mehl, 4200 Liter Zitronensaft gegen Skorbut und als neueste Errungenschaft 8000 Konservendosen mit eingekochtem Fleisch.

Das ganze Land glaubt an das gute Gelingen, als die „Erebus“ und die „Terror“, begleitet von dem kleineren Vorratsschiff „Baretto Junior“, am 19. Mai 1845 in See stechen. Die erfahrene Besatzung – 134 Mann – ist hoch motiviert. Ausschließlich Freiwillige nehmen an der Reise teil. Sie segeln zunächst zur Disko-Insel vor Grönlands Westküste. Hier werden die Vorräte auf die beiden großen Schiffe verteilt, und die „Baretto Junior“ kehrt nach Hause zurück. Der dritte Offizier James Fitzjames gibt deren Kapitän sein Tagebuch mit: «Wir sind sehr glücklich und sehr stolz auf Sir John Franklin. Er gewinnt noch, je näher wir ihn kennen lernen.» Von der Disko-Insel geht es weiter nach Norden. Danach werden die beiden Schiffe nur noch zweimal von Walfängern gesichtet – dann nie wieder.

Das genaue Schicksal der Expedition bleibt ungeklärt. Nur ein einziges Schriftstück wird gefunden, mit dessen Hilfe sich der katastrophale Verlauf der Reise rekonstruieren lässt – bis zu dem Tag, an dem die Mannschaft das Schiff verließ. Franklin war zu diesem Zeitpunkt schon zehn Monate tot.

Die Reise verläuft zunächst gut. Durch den Lancaster Sound und den Wellington Channel stößt Franklin ohne Probleme bis 77 Grad nördlicher Breite vor. Dann aber wird er von den wachsenden Eismassen gestoppt. Er dreht nach Süden um, umrundet Cornwallis Island und überwintert auf Beechy Island. Hier sterben drei seiner Leute. Danach fährt Franklin vermutlich 75 Seemeilen nach Südwest in den Peel Sound, von dort aus weitere vier Breitengrade nach Süden. Im Herbst 1846, 20 Seemeilen nördlich von Cape Felix, geraten die Schiffe ins Packeis. Wahrscheinlich hacken die Männer sie wieder frei, sägen das Eis auf, kämpfen gegen die Naturgewalt – und frieren dennoch ein. Dabei haben sie noch Glück, dass die Schiffe nicht zerbersten.

Sie überwintern ein zweites Mal. Aber auch im Sommer 1847 tauen die Eismassen nicht auf. Franklin stirbt im Juni. Sie überwintern ein drittes Mal. Was das heißt, ist kaum zu beschreiben: Dunkelheit, klirrende Kälte, kein Zeitgefühl, Todesangst. Die Eisdrift schiebt die Schiffe etwa 30 Seemeilen nach Südsüdwest. Sie sind nur noch zwölf Seemeilen von der Nordwestküste von King Williams Land entfernt. Am 22. April 1848 verlassen sie die Schiffe.

Heute weiß man, dass King Williams Land eine Insel ist. Hätte Franklin versucht, östlich an ihr vorbeizusegeln, wäre er aus dem Eis freigekommen. Denn auf dieser Seite taut es im Sommer regelmäßig auf. Heute weiß man auch, dass dort die Nordwestpassage verläuft. Hinterher ist man immer schlauer. So aber nahm die größte Tragödie, die sich je auf einer Polarfahrt ereignet hat, ihren Lauf.
Vielleicht hatten die Männer aber auch eine Bleivergiftung und waren deshalb zu schwach, um zu überleben. Die Vorratskonserven wurden damals mit diesem Metall zusammengelötet. In den Leichen auf Beechy Island fand sich eine stark erhöhte Bleikonzentration.

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