Begrüßung unter Wasser: Neuseelands feucht-fröhliches Willkommen

Unsere Korrespondentin wird an den ungewöhnlichsten Orten herzlich empfangen.

Von Heather Greenwood Davis
Veröffentlicht am 15. Feb. 2019, 17:24 MEZ
Neuseeland, Whakatāne
Neuseeland, Whakatāne
Foto von Erika Larsen

Die Spitze des langen Māori-Speers deutet auf Christoph Niemanns Adamsapfel. Sie verharrt nur wenige Zentimeter von ihrem Ziel entfernt. Der Mann, der den Speer hält, steht direkt vor Niemann, seine Augen suchen im Blick seines Gegenübers nach Anzeichen von Angst. Niemann blinzelt nicht. Einige Sekunden lang rührt sich keiner der beiden Männer von der Stelle. Ich höre nur ihren Atem und mein wild pochendes Herz.

Dieser Empfang war etwas anders, als ich es erwartet hatte. Niemann, ein Künstler aus Berlin und wie ich ein National Geographic Travel Explorer, ging mit mir auf das Tor des Mataatua Wharenui zu. Es ist ein traditionelles Versammlungshaus der Māori in Whakatāne auf der Nordinsel.

Wir wollten uns die kunstvollen Schnitzereien in den Balken des wharenuis ansehen, doch man klopft nicht einfach an die Tür, wenn man ein marae der Māori besuchen will. Bevor man den heiligen Versammlungsort betreten darf, wird man genau unter die Lupe genommen und erst dann hereingebeten. Die Herausforderung, die Niemann erhielt, war Teil der Etikette. Wir erfuhren, dass es die Ahnen schon so gemacht hatten und es so bis heute fortgeführt wird. Die Argumentation sieht ähnlich aus.

„Im wharenui werden machtvolle Worte gesprochen“, erklärte uns der Māori-Älteste Te Taru White, als wir ihn ein paar Tage zuvor in Rotorua besucht hatten. „Andere Menschen daran teilhaben zu lassen, ist ein wesentlicher Aspekt von manaakitanga. Man nimmt die Besucher mit ins Herz der Menschen.“

Manaakitanga ist ein Ausdruck der Māori, der für die entgegenkommende Art der Menschen in ganz Neuseeland steht. Seine Wurzeln gehen auf den Glauben zurück, dass das Verhalten gegenüber anderen Leuten direkt auf das eigene mana bzw. die eigene Redlichkeit zurückfällt. Es heißt, dass man durch das Ehren von Gästen auch alles andere ehrt, das Wasser, die Wälder und das Land. In einer Kultur, die die Natur so hoch achtet, ist unehrenhaftes Verhalten daher keine Option.

Auch wenn das Konzept ursprünglich von den Māori stammt, hat es sich mittlerweile überall durchgesetzt. Besucher können das in Neuseeland an jeder Ecke erleben. Trifft man hier Einheimische, bieten sie einem gerne etwas, eine Tasse Tee, eine Übernachtungsmöglichkeit oder auch ihr letztes Hemd – und sie meinen es auch so.

„Glauben Sie mir, die Kraft des manaakitanga ist hier überall“, meint White in Bezug auf die Interaktionen, die Besucher mit den Neuseeländern erwarten können. „Ich verbinde Sie mit dem Land. Ich verbinde Sie mit meinem Ich, meinem Volk, meiner Kultur, meinem Heim.“

In Mataatua Wharenui sind die Formalitäten nun bald geklärt. Nach einem Lied, einem haka-Tanz und Gebeten werden wir zu einem hongi – der traditionellen Begrüßung, bei der die Nasen aneinandergerieben werden – eingeladen. Der Moment ist gleichermaßen intim wie innig.

In Nordamerika sprechen wir oft davon, einen persönlichen Sicherheitsabstand festzulegen und zu wahren. In Neuseeland werde ich dazu ermuntert, meine Stirn und Nase gegen die von völlig Fremden zu drücken und wortwörtlich einen Atemzug mit ihnen zu teilen. Schulkinder boten uns schüchtern ihre Nasen zum Gruß an, nachdem sie uns mit Liedern und haka-Vorführungen empfangen hatten. Auch White hatte in Rotorua den hongi mit uns geteilt.

Und hier gibt es Delfine.

In einen Tauchanzug mit Kopfhaube gekleidet, Schwimmflossen an den Füßen und den Schnorchel in Position, lasse ich mich vom Schnellboot in das kalte, grünliche Wasser vor der Küste von Kaikoura sinken. Bei meinem Eintauchen entstehen Luftblasen und es ist trüb um mich herum. Während ich darauf warte, dass die Bläschen verschwinden, spüre ich, wie mein Atem sich beruhigt. Ich weiß, dass ich nicht allein im Wasser bin, aber noch kann ich das Gefühl an nichts festmachen.

Kaikōura ist eine Küstenstadt auf der Südinsel Neuseelands. Sie ist für die zahlreichen Wildtiere vor ihren Toren und ihre Pottwal-Population bekannt. Bei dieser Fahrt mit Dolphin Encounter schwimmt Heather mit Delfinen.
Foto von Erika Larsen
Kaikōura ist eine Küstenstadt auf der Südinsel Neuseelands. Sie ist für die zahlreichen Wildtiere vor ihren Toren und ihre Pottwal-Population bekannt. Bei dieser Fahrt mit Dolphin Encounter schwimmt Heather mit Delfinen.
Foto von Erika Larsen

Ich spüre die Bewegung an meiner Seite lange, bevor ich den Schatten sehe. Und dann, bevor mein Verstand verarbeiten kann, was hier gerade passiert, bin ich von Schwarzdelfinen umringt.

Dolphin Encounter ist der große Stolz von Kaikoura. Das Unternehmen wurde im Jahr 1990 gegründet und bringt Besucher hautnah an die verspielten Tiere heran. Die Freiheit der Tiere, nach Belieben ihrer Wege schwimmen zu können, wird dabei jederzeit respektiert.

Die nächste Stunde lang versuche ich, mich an all die Ratschläge zu halten, die ich zuvor an Land von einem Mitarbeiter bekommen habe: „Schwimmen Sie im Kreis, dann werden sie neugierig.“ „Summen Sie im Wasser, dann kommen sie näher.“

Ich fühle mich wie beim Karaoke: Ich summe Katy-Perry-Songs, als würde mein Leben davon abhängen, und schwimme im Kreis, bis mir schwindelig wird.

Es funktioniert. Und meine neuen Delfinfreunde schwimmen minutenlang mit mir – sie drehen sich und springen –, bis sie sich wieder davonmachen und keine Spur von ihnen im Wasser zurückbleibt.

„Waren sie wirklich hier?“, frage ich mich unwillkürlich. „Habe ich mir das nur eingebildet?“

Die Delfine kommen und gehen. Sie schwimmen neben mir, wenn ihnen danach ist. Sie verlassen mich, wenn sie keine Lust mehr haben. Plötzlich sind sie wieder da. Und so, wie ich es in Neuseeland schon unzählige Male getan habe, lasse ich los und gebe mich dem Moment hin. Ich genieße das Zusammensein mit den Tieren ohne Erwartungshaltung.

Ich behalte meine Hände bei mir (Anfassen ist nicht erlaubt) und schwelge in der Magie des Augenblicks, die mich wie ein kleines Kind lachen lässt. Ein Moment erinnert mich jedoch sehr genau daran, wo ich mich gerade befinde.

Ein Delfin schwimmt von vorne auf Augenhöhe direkt auf mich zu. Sein Gesicht kommt mir nahe, aber ich bin nicht Niemann.

Erschrocken zucke ich zurück und schon ist das Tier verschwunden.

Erst, als ich auf dem Rückweg im Boot darüber nachdenke, kommt mir der Gedanke: Sogar wilde Tiere empfangen einen hier auf die typisch neuseeländische Art.

Dieser Inhalt wurde von unserem Partner verfasst. Er spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung von National Geographic oder dem Redaktionsteam wider.

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