Geisterlande – Armenien und die Türkei
Veröffentlicht am 10. März 2022, 07:30 MEZ

Der Schnee nimmt dieser Schlucht im Norden Armeniens etwas von ihrer Schroffheit. Die Menschen nennen sie Jardi Dzor, „Gemetzelschlucht“. Türkische Streitkräfte sollen dort im Jahr 1920 etwa 4000 Armenier erschossen haben.
Foto von John StanmeyerDie armenisch-christliche Familie von Nuran Taş (2. v. l.) und die Familie von Nizamettin Çim (2. v. r.), einem kurdischen Muslim, verbindet eine Freundschaft: Nizamettins Großvater hatte Nurans Vorfahren während der Pogrome geschützt. In der von ethnischen Spannungen geprägten Osttürkei gibt es nur wenige solcher Geschichten. Während des Ersten Weltkriegs wurde der Großteil der Armenier dort von den Türken vertrieben oder getötet.
Foto von John StanmeyerIn Etschmiadsin, westlich von Eriwan, besucht diese verschleierte Frau einen ganz besonderen Gottesdienst der Armenisch-Apostolischen Kirche: In einer Kanonisierungszeremonie wurden im vergangenen Jahr alle Opfer des Völkermords an den Armeniern heiliggesprochen. Die Kathedrale des Ortes gilt als religiöses Zentrum Armeniens.
Foto von John StanmeyerAm 24. April 2015, dem 100. Jahrestag des Beginns des Massakers an den Armeniern, schließen sich zahllose Menschen einem Fackelzug durch die armenische Hauptstadt Eriwan an. Während der jährlichen Gedenkfeier für die Opfer entlädt sich immer wieder die bis heute anhaltende Wut. Es kommt vor, dass aufgebrachte Armenier türkische Fahnen verbrennen.
Foto von John StanmeyerNektar Alatuzyan, 102, war ein Jahr alt, als die Hinrichtungen und Deportationen begannen. Ihre Familie rettete sich erst auf einen Berg, dann auf ein französisches Kriegsschiff und schließlich nach Ägypten. 1947 kehrte Alatuzyan mit Mann und Kindern nach Armenien zurück. Es gibt kaum noch Augenzeugen dessen, was Armenier Medz Yeghern nennen – die „große Katastrophe“. Für spätere Generationen sind sie das Gedächtnis ihrer Geschichte.
Foto von John StanmeyerVor der Kulisse des Ararat spielen Kinder auf der türkischen Seite. Der Berg ist für Armenier ein mächtiges Nationalsymbol, doch seit dem Ende des Ersten Weltkriegs gehört er zur Türkei. Auch auf der armenischen Seite scheint der Ararat zum Greifen nah – und doch ist er für die Armenier unerreichbar.
Foto von John StanmeyerDie Bogengänge der baufälligen Kirche von Surp Garabed im osttürkischen Çüngüş belegen, wie hoch die armenische Kultur einst entwickelt war. Viele Kirchen liegen noch immer in Trümmern oder wurden zu Moscheen umfunktioniert. Doch im Kleinen bemühen sich die Menschen heute um Versöhnung. In Diyarbakır, einer kurdischen Stadt in der Osttürkei, wurde eines der größten armenischen Gotteshäuser des Nahen Ostens wieder aufgebaut.
Foto von John StanmeyerArif Oruç (g. r.) und seine armenische Familie sind Muslime. Sie führen in der Nähe von Batman im Südosten der Türkei ein glückliches Leben. Vor einem Jahrhundert konvertierten Tausende Armenier zum Islam, um ihr Leben zu retten. In der Türkei wird die Diskussion über das Massaker an den Armeniern heute offener geführt, Nachkommen „versteckter Armenier“ wie die Oruçs setzen sich erstmals mit ihrer Vergangenheit auseinander.
Foto von John StanmeyerAuf diesen Weiden im Südosten der Türkei ertönten schon die Rufe kurdischer, armenischer, arabischer und türkischer Hirten. Die kulturelle Vielfalt des Osmanisches Reichs ging im Ersten Weltkrieg in den Flammen des Ultranationalismus auf. Heute leben nur noch einige Zehntausend Armenier in der Türkei, etwa drei Millionen sind in Armenien heimisch, geschätzte acht bis zehn Millionen in der weltweiten Diaspora.
Foto von John StanmeyerEin abendliches Picknick unter Aprikosenbäumen in der armenischen Grenzstadt Bagaran. Ein riesiges Kreuz leuchtet trotzig in die Türkei hinüber, die Menschen singen Lieder des Gedenkens und des kulturellen Beharrens. Der bittere Konflikt zwischen Armenien und der Türkei liegt mittlerweile vier Generationen zurück, doch noch immer lähmt er den wirtschaftlichen, diplomatischen und politischen Fortschritt in der Region.
Foto von John Stanmeyer