Bei den Königen der Savanne

Zu Fuß durch Afrikas Wildnis? Klingt verrückt, ist aber die beste Art, die Tierwelt wirklich zu erleben.

Von George W. Stone
Veröffentlicht am 7. Dez. 2018, 10:20 MEZ
Leopard
Leoparden sind scheu, mit Glück sieht man sie aber in Sambias bedeutendstem Schutzgebiet, dem Südluangwa-Nationalpark.
Foto von Colour Box

Sambia ist kein Land für Faulpelze. Ein Grauer Lärmvogel erinnert mich lautstark daran. Der freche Kerl mit der Punkfrisur sitzt auf einem Ast über meinem Zelt im Südluangwa-Nationalpark und kreischt pausenlos: Ku-wah – Ku-wah – Ku-wah! Genervt gebe ich meinen Mittagsschlaf auf.

Mein Camp liegt am Luangwa-Fluss, der sich gemächlich 800 Kilometer weit durch den Osten von Sambia schlängelt. Unterwegs bildet er kleine Seen und Seitenarme, in denen sich Krokodile tummeln, und Auen mit einer großen Fülle an Tierarten, darunter Gnus, Zebras, Büffel und Giraffen. Unter Safari-Abenteurern gilt die gut 9000 Quadratkilometer große Savanne im Südluangwa-Nationalpark als Geheimtipp.

Ich will die Wildnis allerdings nicht nur vom Land Rover aus erleben, sondern auch zu Fuß. Wildhüter und Naturschützer haben solche Safaris schon vor einem halben Jahrhundert eingeführt, um den verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt zu fördern. Jetzt erleben diese Touren eine Renaissance.

Aus dieser Perspektive wirkt die Natur Afrikas noch größer – das merke ich am Nachmittag, als ich mit dem Naturführer Kelvin Zulu unterwegs bin. Wir stehen am Zusammenfluss von Luangwa und Kapamba. Gräser, die ich von Weitem für Palmwedel gehalten habe, entpuppen sich als Dornenwand. Sie reicht mir bis zu den Schultern. Wir bestaunen einen Termitenhügel und entdecken im Sand den kohlkopfgroßen Abdruck einer Löwenpranke.

Zulu erklärt mir die Unterschiede zwischen verschiedenen Pfotenabdrücken: die der Hyänen sind gespreizt und fleischig, die Afrikanischer Wildhunde fast quadratisch und glatt. Pavianspuren erinnern an kleine Menschenhände. Er zieht ein Wachsröhrchen aus dem Stamm eines Mopanebaums. Es bildet den Eingang zu einem Stock winziger stachelloser Bienen. „Hier gibt es Honig, ohne gepikst zu werden“, erklärt er lächelnd. „Allerdings nicht sehr viel.“ Der 33-Jährige ist in dem Dorf Mfuwe am Eingang zum Park aufgewachsen. Als Kind trat ihn einmal ein Elefant beinahe zu Tode, als er am Fluss Wasser holte. Trotzdem begeisterte er sich schon damals für wilde Tiere. In der Schule leitete er den Naturschutzclub und setzte sich für Elefanten ein, selbst wenn sie Felder zertrampelten und leer fraßen.

Auf dem Rückweg sehen wir einen Leoparden, der in einem Baum seine Beute verspeist: einen Pavian. Wir wagen uns näher heran und machen Fotos. Unsere Anwesenheit stört das stolze Tier nicht. Es ist so entspannt, dass es nach seinem Mahl vor unseren Augen einschläft.

Bald geht die Sonne unter. Das Land atmet auf. Ein Büffel hustet, Kröten rufen, irgendwo trompetet ein Elefant. Wir folgen der Spur eines Honigdachses, dann kehren wir ins Lager zurück.

In der Nacht streift ein Löwe an meinem Zelt vorbei. Erst vernehme ich nur von Weitem sein tiefes, bebendes Klagelied. Dann wird der Ruf lauter, ich höre trockenes Laub unter seinen Pranken rascheln. Der Löwe nähert sich meinem Zelt und knurrt auf der anderen Seite des Fliegenschutzes – nicht mehr als ein Katzensprung von meinem Kopf entfernt. Dann schleicht er am Flussufer davon. Kurz hatte ich Angst, als Mitternachtsimbiss zu enden, dann finde ich wieder in den Schlaf.

Die Morgensonne färbt den Himmel rosa. Zulu ist schon am Lagerfeuer. Ich erzähle ihm von dem Löwen und erfahre dessen Geschichte: Das müsse Cassius gewesen sein, sagt Zulu. Einst beherrschten zwei dominante Männchen gemeinsam das Revier. Die Leute nannten sie Cassius und Brutus und ließen sie in Frieden. Eines Tages verschwand Brutus. Als er Monate später wieder auftauchte, hatte er seine Mähne und viel Gewicht verloren; er schien sich eine Hüfte ausgerenkt zu haben. Das Bündnis mit Cassius war zerstört. Als Einzelgänger jagten die beiden von nun an kleinere Wildtiere und wurden sogar wie Hyänen zu Aasfressern. Seither macht ihnen ein neues Löwenpaar das Revier streitig. Wahrscheinlich haben Cassius’ Rufe vor meinem Zelt Brutus oder den Eindringlingen gegolten. Er ließ sie wissen, dass er nicht kampflos aufgeben werde.

Auf unserer Fahrt zur nächsten Wanderung begegnen wir Ökologen der sambischen Wildbehörde, die den Park überwachen. Sie beobachten, wie die Tiere sich verhalten, wie sie sich an in die sich verändernde Umwelt anpassen, etwa an die Siedlungen rund um den Park. Die Wildnis ist eine wichtige Einkommensquelle für die Menschen hier geworden, sie verdienen durch Besucher wie mich.

Zulu zeigt mir eine Schule. Die Klassenzimmer wurden von Gästen der Bushcamp Company finanziert, einem Unternehmen, das auch die Lodge betreibt, in der ich wohne. Es sorgt unter anderem dafür, dass 2500 Schüler jeden Tag ein Mittagessen bekommen. Gegründet wurde es von dem gebürtigen Sambier Andy Hogg, der beides, den Naturschutz und die Gemeinde, unterstützen will. Er lässt mich sauberes Wasser aus einem der 17 Brunnen heraufziehen, die mithilfe des Unternehmens entstanden sind. Sie ersparen den Einwohnern den gefährlichen Gang zum Fluss, in dem viele Krokodile leben. „Vor ungefähr 15 Jahren gab es hier keine einzige Straße“, berichtet Hogg. „Wir sehen uns als Teil eines größeren Systems, das auch die Menschen ernähren muss. Ohne sie funktioniert Naturschutz nicht.“

Am nächsten Morgen strahlt die Sonne wie ein orangefarbener Feuerball über dem Kapamba. Wir folgen im Auto einem Rudel Afrikanischer Wildhunde, die den Fluss überqueren, und sehen eine Löwin, die ein Zebra zerfleischt. Ihre zwei Jungen warten auf ihren Anteil, schwarz-braun gefleckte Hyänen mit spitzen Reißzähnen lauern im Gras. Weiter weg erkennen wir Geier am Himmel. Zulu steuert den Wagen durch eine ausgetrocknete Lagune, um näher heranzukommen. Auf einmal stürzen sich die Geier zu Boden und picken an einem riesigen Kadaver. Die Luft ist stickig und feucht. Wir betrachten den Fleischberg – was mag das sein?

Plötzlich wird es uns klar: Wir stehen vor einem von Wilderern getöteten Elefanten. Sie haben ihn ausgeschlachtet, Fleisch herausgeschnitten, die Stoßzähne abgesägt, den Rüssel abgehackt. In der Brusthöhle schwirren Insekten. Neben dem Elefantenkadaver glimmt noch die warme Asche eines Lagerfeuers, daneben liegen eine Bürste zur Reinigung von Gewehren und ein dicker Holzpfahl, mit dem üblicherweise das Fleisch transportiert wird.

Zulu schätzt das Alter des toten Tiers auf etwa 40 Jahre. Seine Stoßzähne dürften auf dem Schwarzmarkt anfangs etwa 200 Dollar einbringen, später in der Handelskette deutlich mehr. Am Elefantenfleisch für Menschen der Umgebung verdienen die Wilderer wesentlich mehr. Wilderei kommt hier zwar selten vor, der Elefantenbestand im Südluangwa-Nationalpark nimmt Forschern zufolge sogar wieder zu.

In anderen Landesteilen, besonders an den Grenzen zu Angola und Namibia, schrumpfen die Herden allerdings – ähnlich wie 1993, als die Nashörner in Sambia ausstarben. Diese Entwicklung bedroht Gebiete, die auf Safaritourismus angewiesen sind. Doch das Nebeneinander mit den Tieren birgt auch Risiken. Sie vernichten immer wieder Felder und zerstören Dörfer. Ich denke an eine Unterhaltung mit Zulu, bei der es um den wirtschaftlichen Wert von Elefanten ging. „Durch den Tourismus nutzt ein lebender Elefant den Leuten im Dorf langfristig mehr als Wilderei“, sagte er. „Aber für Menschen, die ihre Familie ernähren müssen, ist es nicht immer so einfach.“ Zurück im Lager bekommen wir überraschenden Besuch. Brutus humpelt am Flussufer entlang. Wir halten Abstand. Die Nacht verbringt der Löwe auf dem Gelände des Camps, fast wie eine Hauskatze. Ich schlafe bald ein – diesmal ganz ohne Angst.

Dieser Artikel wurde gekürzt. Lesen Sie die ganze Geschichte in Ausgabe 4/2018 des National Geographic-Traveler. Jetzt ein Abo abschließen!

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