Botschaften in den Bergen: Die Geschichte von Jabal Ikmah
Hoch aufragende Sandsteinklippen steigen aus dem AlUla-Tal empor.
Rund um das AlUla-Tal erheben sich senkrechte Sandsteinklippen. Viele davon zeigen heute Darstellungen von menschlichen Figuren oder Tieren, die als Petroglyphen bekannt sind. Diese Bezeichnung ist abgeleitet von den griechischen Wörtern petra, was „Fels“ bedeutet, und glypho, „einmeißeln“. Antike Künstler verwendeten Steine oder Werkzeuge, um Bilder auf die Oberfläche von Klippen und freistehenden Felsen zu kratzen – oder in einigen Fällen meißelten sie Figuren oder Textzeilen in Reliefs, die aus der Felsoberfläche herausragten.
Die AlUla-Region ist die Heimat von Tausenden dieser Petroglyphen in unterschiedlichen Formen, die viele Jahrhunderte überdauert haben. Gemeißelte Steinböcke, Kamele, Pferde, Strauße und viele andere Tierarten wandern über die Felswände, manchmal verfolgt von stilisierten menschlichen Jägern mit Speeren und anderen Waffen. Andere Bilder zeigen große Urnen und enthalten komplexe dekorative Muster. Wozu dienten diese Petroglyphen? Mit Sicherheit können wir das nicht sagen, aber der menschliche Drang, die natürliche Welt in der Kunst darzustellen und die großen Ereignisse des Lebens festzuhalten, findet sich in jeder Kultur und jeder Gesellschaft.
Im Norden des AlUla-Tals erhebt sich ein Berg, der auf Arabisch als Jabal Ikmah bekannt ist. Dort findet sich eine besonders reichhaltige Sammlung von Bildern und Texten, die Jahrhunderte der Sonne, des Windes und des Regens ohne bemerkenswerte Schäden überstanden haben – so reichhaltig, dass Ikmah als Bibliothek unter freiem Himmel bekannt geworden ist, auch wenn es ursprünglich wohl eher der Anbetung als dem Studium diente. Hunderte von Inschriften könnten bis zu 2.500 Jahre alt sein. Viele von ihnen bieten faszinierende Einblicke in das Leben und die Kultur während der Blütezeit des lihyanitischen Königreichs in dieser Region im Nordwesten Arabiens, etwa vom fünften bis zum ersten Jahrhundert v. Chr.
Alte Petroglyphen und Worte überziehen die Felsen von Jabal Ikmah.
Die lihyanitische Hauptstadt Dadan in der Nähe von Jabal Ikmah war eine wichtige Stadt und Zwischenstation auf den Routen der Kamelkarawanen, die Fernhandel über Land betrieben. Luxusgüter wie Weihrauch aus Südarabien gelangten nach Dadan, um nach Ägypten, an die Küsten des Mittelmeers und darüber hinaus transportiert zu werden. Hinter den Inschriften verbergen sich zahlreiche komplexe Botschaften, aber es wird vermutet, dass einige der Kaufleute und Händler in Dadan, die diese Transporte kontrollierten, ihre Opfergaben an den lihyanitischen Gott Dhu Ghaybat aufgezeichnet haben – manchmal zusammen mit Gebeten um Belohnung und Gunst. Viele dieser Texte, die in den Berg und auf umgestürzte Felsbrocken in einer tiefen Schlucht graviert wurden, sind heute noch deutlich zu erkennen. Sie sind in einer lokalen Schrift namens Dadanitisch* geschrieben, die auf die Darstellung von Vokalen innerhalb der Wörter verzichtet.
Ein außergewöhnlich gut erhaltenes Beispiel für Relief-Inschriften.
Eine vereinfachte Transkription liest sich zum Beispiel so: „Wshh, der Sohn von Wdd aus dem Geschlecht von Dmr, führte die zll-Zeremonie für Dhu Ghaybat durch und so möge er ihn begünstigen und ihm und seinen Nachkommen helfen.“ Das in diesen Inschriften mehrfach erwähnte zll scheint ein Ritual zur Huldigung der Gottheit gewesen zu sein. Wir können nur vermuten, wer die genannten Personen gewesen sein könnten. Eine andere Inschrift lautet: „Ssn, Priesterin von Dhu Ghaybat, organisierte die zll-Zeremonie zum Wohle ihrer Palmen in Dmn.“ Und weiter: „Mhrh, der Sohn von Gdn aus dem Geschlecht von Wtmt, führte die zll-Zeremonie für Dhu Ghaybat durch.“ Und: „Thbb, die Tochter von Abddktb, hat die zll-Zeremonie für Dhu Ghaybat durchgeführt, für das, was sie in Bdr hat, auf das er sie begünstige.“
Diese Inschriften haben Jahrtausende der Witterung widerstanden und sind in einem hervorragenden Zustand.
Und so weiter. Ein Name nach dem anderen von vielleicht ernsthaften, nervösen oder großspurigen Anbetern und Bittstellern, die uns winzige Einblicke in ihr Leben gewähren, während sie Glück für sich, ihre Ernte und ihren Besitz suchen.
Ikmah umfasst auch einige Texte in anderen Sprachen – Chamudisch, Minaisch, Nabatäisch und sogar frühes Arabisch – aber die meisten, die in Dadanitisch eingemeißelt sind, sind ganz unterschiedlicher Art. Einige sind Widmungen, während andere als einfache Graffiti zu verstehen sind: „Blns der Reiter“ oder einfach nur ein in einen Felsen geritzter persönlicher Name: „Nfn Nfn“, „Whblh“, „Sr Tochter von Zd“.
Andere sind formeller – vielleicht das Werk professioneller Schreiber – und manchmal werden die Namen von Königen oder Herrschern genannt: „Hny, Priester von Dhu Ghaybat, führte die zll-Zeremonie für Dhu Ghaybat im Jahr 20 von Tlmy durch.“
Wer war dieser König Tlmy? Wann regierte er, und über welches Gebiet herrschte er genau? Diese und viele andere Fragen rund um das Leben und die Geschichte des Volkes von Dadan werden von den Wissenschaftlern weiterhin untersucht.
Eine aktuelle Untersuchung beschäftigt sich mit den Ortsnamen, die in den gemeißelten Inschriften erwähnt werden. Einige Archäologen haben Bdr als südlich des heutigen AlUla gelegen identifiziert, während andere dies bestreiten. Dmn lag möglicherweise im Norden, in der Gegend des heutigen Grenzgebiets zwischen Saudi-Arabien und Jordanien. Da beide Orte in der Freiluftbibliothek von Ikmah eine wichtige Rolle spielen, könnte der Einfluss des lihyanitischen Königreichs viele hundert Kilometer weit gereicht haben, falls es gelingt, diese Standorte zu bestätigen.
Die Inschriften von Jabal Ikmah bieten Einblicke in die Geschichte dieses Teils von Arabien, die unser Verständnis des wirtschaftlichen, politischen, sozialen und religiösen Lebens der Menschen im AlUla-Tal vor mehr als zweitausend Jahren deutlich erweitern.
*Die dadanitische Schrift, in der die meisten Inschriften in Jabal Ikmah verfasst wurden, verzichtet auf die Darstellung von Vokalen innerhalb von Wörtern. Außerdem enthält sie viele Laute, für die es im Deutschen keine schriftliche Entsprechung gibt. Das in diesem Artikel verwendete Transkriptionssystem wurde so vereinfacht, dass es auch für nicht fachkundige Leser verständlich ist.