Die Königreiche der Dadaniten und Lihyaniten

Vor mehr als zwei Jahrtausenden war die grüne Oase von AlUla der Nährboden für hochentwickelte und innovative Kulturen.

Die Gräber von Dadan in der Ferne.

Foto von Matthieu Paley
Von Royal Commission for AlUla
Veröffentlicht am 26. Sept. 2022, 18:09 MESZ

Die Wüsten Arabiens waren immer schon bevölkerte Gebiete, reich an menschlicher und natürlicher Vielfalt. Seit jeher haben Menschen dort gelebt, sie durchquert und dort Wasserquellen zum Überleben gefunden.

So auch im AlUla-Tal, einer grünen Oase mit Zitrusfrüchten und Palmen inmitten von Sandsteinfelsen im Nordwesten Arabiens. Hier erlebten antike Zivilisationen circa seit der Eisenzeit (erstes Jahrtausend v. Chr.) ihre Blütezeit. Archäologen haben auf dem benachbarten Basaltplateau von Harrat al-Uwayrid Werkzeuge wie Handäxte aus lokalem Gestein entdeckt, was Azhari Mustafa Sadig, Archäologieprofessor an der saudi-arabischen King Saud Universität, zu der Vermutung veranlasst, „dass das Plateau bereits in der Altsteinzeit, also vor mehr als 200.000 Jahren, von Jägern und Sammlern bewohnt wurde.“

Das Nomadentum der Jäger und Sammler ging in die Landwirtschaft über, als die Menschen die natürlichen Ressourcen des AlUla-Tals zur Besiedlung nutzten. Sie begannen, die Wasserströme innerhalb der Oase für die Landwirtschaft zu erschließen, während sie nach wie vor Schafe, Ziegen und andere Nutztiere hielten. Dem Archäologen Abdulrahman Alsuhaibani zufolge entstand in der Oase vor 2.600 Jahren Dadan, eine „mächtige Hauptstadt“ mit einer von Landwirtschaft und Fernhandel geprägten Wirtschaft.

Dadan wurde von einer Dynastie von Königen mit einem starken Rückhalt im AlUla-Tal regiert und etablierte sich schnell als große Macht in der Region. Wie Alsuhaibani berichtet, war die zentralisierte Regierungsstruktur der Stadt stark und stabil genug, um genügend Ressourcen für die Verteidigung einzusetzen. Inschriften belegen die Anwesenheit von „Wächtern“, die an den Grenzen von Dadan stationiert waren.

Die Völkerwanderungen entlang der Handelsrouten brachten neue Waren in den Norden, darunter aromatische Substanzen wie Weihrauch– ein Harz, das aus dem Saft eines in Südarabien und am Horn von Afrika beheimateten Baumes gewonnen wird. Der Handel mit Weihrauch trug wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg von Dadan bei. Bauern im fernen Südarabien ernteten große Mengen des Harzes, um es nach Norden zu den Märkten rund um das Mittelmeer und anderen Regionen zu transportieren. Die Händler brachten den Weihrauch auf teilweise monatelangen Reisen bis zum Umschlagplatz Dadan. Die damit erzielten Gewinne – und die von den Dadaniten erhobenen Mautgebühren – bildeten über mehrere Jahrhunderte die Grundlage für den Wohlstand der Region.

Der Handel förderte neue Ideen, neue Ausdrucksformen in der Kunst und neue Arten der Schrift. Dadan entwickelte sein eigenes Schriftsystem, das auf den in benachbarten Oasen wie Tayma und Dumah verwendeten Schriften und den Alphabeten Südarabiens basierte. Bis heute sind tausende von Inschriften erhalten geblieben, einige davon formale Widmungen, andere gewöhnliche Graffiti. Die lokale Sprache, das Dadanitische, war außerordentlich langlebig und wurde mindestens 500 Jahre lang rund um das AlUla-Tal gesprochen.

Der Historiker Michael Macdonald hat die subtilen Unterschiede zwischen den dadanitischen Inschriften analysiert und festgestellt, dass die Formen der Buchstaben in einer Weise variieren, die für eine ursprünglich nur zum Einmeißeln in Stein gedachte Schrift ungewöhnlich ist. Die Entwicklung der Buchstabenformen „deutet darauf hin, dass die Schrift zum Schreiben mit Tinte auf Materialien wie Papyrus oder Tonscherben verwendet wurde“, erläutert er. Archäologen sind weiterhin auf der Suche nach entsprechenden Beispielen.

Es ist natürlich anzunehmen, dass Dadans Einfluss nach und nach schwand. So ist eine Zeit des Konflikts mit Nabonidus bekannt, dem König des weit entfernten Babylon, der angeblich im sechsten Jahrhundert v. Chr. in Dadans Heimatregion einmarschierte, seinen König tötete und das Land besetzte.

Nach Nabonidus, vor etwa 2.500 Jahren (der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt), ging die Kontrolle über Dadan an die Könige des Stammes Lihyan über, die diese Region mehrere Jahrhunderte lang, vermutlich bis ins erste Jahrhundert v. Chr., regierten. Die erhaltenen materiellen Beweise deuten jedoch darauf hin, dass die lihyanitische Herrschaft die dadanitische Kultur möglicherweise nicht stark beeinträchtigt hat.

Im damaligen Königreich Lihyan hatten sowohl Männer als auch Frauen ein Recht auf eigenen Besitz. Die Landwirtschaft war weiterhin von entscheidender Bedeutung für die Gesellschaft und wurde durch innovative Entwicklungen bei der Kontrolle der Wasserressourcen noch weiter ausgebaut. Wasser wurde eindeutig für häusliche und landwirtschaftliche Zwecke verwendet, spielte aber offenbar auch eine Rolle bei Ritualen. Ein riesiges zylindrisches und aus einem einzigen Stein gehauenes Wasserbecken, das sich im Herzen von Dadan neben einem Gebäude befindet, wurde wahrscheinlich für religiöse oder andere zeremonielle Zwecke verwendet. Außer einem eigenen Schriftsystem hatte Dadan auch seine eigenen Götter und Formen der Verehrung, mit Heiligtümern in den Bergen nahe der Stadt und auf dem Gipfel des Berges Umm Daraj auf der anderen Seite des Tals.

BELIEBT

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    Büste eines Ex-Votos. Umm Darajs-Heiligtum, AlUla, 5. – 1. Jahrhundert v. Chr.

    Foto von Matthieu Paley

    Die Menschen des alten Dadan verehrten die oberste Gottheit Dhu Ghabat. Die Bedeutung des Namens ist umstritten: Einige interpretieren ihn als „Herr des Hains“, andere als „Herr des Waldes“ und wieder andere als „Gott der Abwesenheit“. Das Bergheiligtum Umm Daraj ist Dhu Ghabat gewidmet. Hier brachten Gläubige, darunter Lihyaniten, reisende Händler und die in Dadan ansässige Handelskolonie der Minäer aus Südarabien Opfergaben in Form von Weihrauch und kleinen Figuren aus Sandstein, die Menschen darstellen. Es wurden architektonische Elemente mit dekorativen Motiven einer Schlange entdeckt, die vielleicht eine „beschützende Funktion“ hatten, so der Historiker Husayn Abu al-Hassan. Laut Michael Macdonald deuten die Inschriften auch darauf hin, dass „die Verehrung von Dhu Ghabat die Darbringung der ‚ersten Früchte‘ an die Gottheit beinhaltet haben könnte.“ Zu den anderen Göttern, die zu dieser Zeit in Dadan verehrt wurden, gehört Ha-Kutbay, die Göttin der Schrift.

    Kunst war für die alten Völker von Dadan, sowohl Dadaniten als auch Lihyaniten, offensichtlich von großer Bedeutung, und die künstlerische Leistung bei der Gestaltung von Statuen ist erstaunlich. „Wo und wie haben die Einwohner die Regeln der Bildhauerei gelernt: anatomische Proportionen, Volumen, Perspektive?“, fragt sich der Archäologe Said al-Said. Seiner Ansicht nach gab es zwar kulturelle Interaktionen mit benachbarten Kulturen in Ägypten, der Levante, Mesopotamien und Südarabien, aber es ist wahrscheinlich, dass diese dadanitische Fertigkeit eine kulturelle Entwicklung zeigt, die nur in diesem Teil Arabiens zu finden ist.

    Felsbilder, die möglicherweise aus der Dadaniten- oder Lihyanitenzeit stammen, zeigen Jagdszenen, Kamele, Strauße und abstrakte Darstellungen von Menschen. An einigen Stätten haben Archäologen Statuen entdeckt, darunter anthropomorphe Abbilder, die entweder als dadanitische Götter oder als Abbilder lebender Personen interpretiert werden, und als Zeichen der Huldigung und Verehrung der Götter gemeißelt wurden.

    Detail eines gemeißelten Löwen über einem Grabmal in Dadan.

    Foto von Matthieu Paley

    Die Menschen von Dadan verfügten nicht nur über bemerkenswerte Fähigkeiten in Politik, Handel, Wissenschaft und Kunst, sondern legten auch besonderen Wert darauf, wie sie ihre Toten bestatteten. Während der lihyanitischen Periode wurden Gräber in die Felsen gehauen, die für eine oder mehrere Personen bestimmt waren. Auch heute sind noch die in Sandsteinfelsen eingelassenen Löwengräber zu sehen. Es handelt sich dabei um nebeneinander liegende, gemeißelte Gräber, jeweils von Löwenreliefs flankiert, die möglicherweise den Verstorbenen göttlichen Schutz bieten sollten.

    „Die Königreiche Dadan und Lihyan spielten im ersten Jahrtausend v. Chr. eine wichtige Rolle“, sagt Alsuhaibani und unterstreicht damit die Bedeutung eines Ortes und einer Periode der Geschichte, die lange Zeit vernachlässigt wurde. Die Ausgrabungen und Untersuchungen der Kulturen des Volkes von Dadan werden heute im gesamten AlUla-Tal fortgesetzt und fördern neue Erkenntnisse über ihre Kunstfertigkeit und ihren Erfindergeist zutage. Und mit jeder neuen Entdeckung wird klar, dass die Wüste, die einst als unfruchtbar oder leer galt, in Wahrheit schon immer Leben beherbergt hat. Die Oase Dadan ist neben anderen Oasen und Wirkungsstätten in dieser Region ein Beispiel für menschliche Errungenschaften und Dramatik wie kaum ein anderer Ort auf unserem Planeten.

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