Heimlicher Star Tunesiens: Die Küche am Kap Bon

Von Seafood-Menü in Kelibia bis Gewürz-Shopping in Nabeul: Die Halbinsel Kap Bon, im Nordosten des Landes gelegen, bietet eine faszinierende Vielfalt an Gaumenfreuden.

Von James March
Veröffentlicht am 15. Dez. 2022, 13:22 MEZ
Tunesien: Vom Fort von Kelibia schaut man weit übers Meer.

Das Kap Bon in Tunesien hat eine Jahrtausende alte Geschichte. Heute hat man vom Fort von Kelibia einen weiten Blick übers Meer.

Foto von Alamy

Chefkoch Gobji Mohamed entschuldigt sich, als er mich in den Marché Aux Poissons in Kelibia bittet. „Schlechte Bedingungen gestern Abend, deshalb gibt es nicht so viel Fisch wie sonst“, sagt er. „Die Fischer konnten nicht so weit rausfahren.“ Mit dem Wetter hat er recht – der heulende Wind vor den Fensterläden meines Hotelbalkons hatte es eindrucksvoll bezeugt. Nichtsdestotrotz ruht in der weiß gekachelten Markthalle auf langen Eisreihen ein Sammelsurium an glitzerndem Fisch, den Fischer in der Nacht aus den unruhigen Gewässern vor der nordtunesischen Halbinsel Kap Bon gefangen und zum historischen Hafen von Kelibia gebracht haben. Wir schlendern an dicht an dicht gepackten Sardinen, Körben mit orangefarbenen Hummern und kantigen Schwertfischen vorbei. Gobji stochert akribisch in fast jeder Sorte, immer auf der Suche nach dem frischesten und feinsten Stück. Für ihn Routine, seit er vor zehn Jahren – nach Aufenthalten in Marokko und Paris – in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist.

Reise-Tipp Tunesien: Restaurant mit Meerblick

Zwei Stunden später stehen wir an einem zischenden Meeresfrüchtegrill vor El Mansourah, Gobjis Restaurant direkt am Meer. Die bleiernen Wolken des Morgens sind einem blassblauen Himmel gewichen. Das Restaurant liegt auf einer zerklüfteten, felsigen Landzunge, die von goldenen Stränden gesäumt ist. An einem nahe gelegenen Berghang thront das Fort von Kelibia, eine steinerne Zitadelle aus dem 16. Jahrhundert. Der Wind erinnert noch immer an den Sturm der Nacht, vom Grill wehen Rauch und süße Meeresaromen herüber.

Bald werden wir die Früchte von Gobjis Arbeit serviert bekommen: würzige Rotbarbe, zarte Kalamari, knusprige Langusten und saftigen Schwertfisch, angerichtet auf einem Bett aus Ditalini-Nudeln. Ich kann verstehen, warum Gobji wieder an diesen Ort zurückgekehrt ist, an den sich überraschend wenige Touristen wagen. „Dieser Strand war der erste, an dem ich je geschwommen bin“, sagt er und blickt über seine Schulter auf die Dünen des Plage de la Mansourah. „Mein Vater hat mich immer hierher gebracht, und jetzt bringe ich meinen Sohn mit. Es ist ein sehr schöner Ort, vielleicht der beste in Tunesien.“ Ich muss mich vorerst auf das Wort von Gobji verlassen, doch er ist sicher nicht der Einzige, der so denkt. 

3000 Jahre Geschichte und Harissa

Diese üppige Ecke Tunesiens war in den letzten 3000 Jahren heiß begehrt, sie wurde gnadenlos erobert und rückerobert, von marodierenden römischen Armeen, raubgierigen französischen Kolonialherren und dem Osmanischen Reich. Das antike Karthago war ein geschäftiger mediterraner Außenposten der Phönizier, doch die römische Brutalität im Dritten Punischen Krieg 146 v. Chr. sorgte dafür, dass fast nichts vom karthagischen Leben übrig blieb. Nur an der Nordspitze von Kap Bon gibt es noch letzte Überreste dieser antiken Zivilisation.

Die Märkte der Ortschaften am Kap Bon sind voll von farbenfrohen und leckeren Gewürzen.

Foto von Henry Dick on Unsplash

20 Autominuten nördlich von Kelibia liegt die punische Küstenstadt Kerkouan. Ihre Nekropole ist heute Unesco-Weltkulturerbe und Museum, die Überreste der Steinstraßen und Säulen sind das einzige erhaltene Beispiel einer phönizischen Stadt. Auch aus kulinarischer Sicht bietet Kap Bon Herausragendes. Tunesien ist der größte Exporteur von Harissa, der berühmten roten Paste aus gerösteten Baklouti-Chilischoten, oft vermischt mit Knoblauch, Kümmel, Salz, Zitronensaft und Koriander. Ob als Vorspeise mit in Olivenöl getränktem Tabouna-Brot serviert oder als feurige Beilage zu klassischen Couscous-Gerichten – Harissa ist so wichtig für die Identität von Kap Bon, dass Tunesien im Jahr 2020 einen Antrag auf Aufnahme des Gewürzes in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes stellte.

Kap Bon: Die Gewürzstände von Nabeul

Die Lust auf Harissa führt mich nach Nabeul, eine Stadt an der Südküste von Kap Bon. Im chaotischen lokalen Souk treffe ich Rafik Tlatli, einen Koch mit dunkler Schirmmütze und weißer Kochjacke, die Ärmel mit leuchtend roten Paprikaschoten verziert. Wir weichen umherstreunenden Katzen und Mopeds aus, und als wir eintreten, bin ich völlig fasziniert von den endlosen Kisten mit glänzenden Oliven und bunten Pyramiden aus Paprika, Kreuzkümmel, schwarzem Sesam und zahllosen anderen Gewürzen, die an den geschäftigen Ständen angeboten werden. Chilischoten und Knoblauchzehen hängen von der roten Ziegeldecke.

Tlatli dreht sich mir zu und sagt grinsend: „Was sagst du? An apple a day keeps the doctor away? Nun, ein Knoblauch am Tag hält jeden fern!“ Diese Art von Scherzen ist ein Grund dafür, warum Rafik in Tunesien ein Star ist. Er moderiert Radiosendungen genauso wie Kochwettbewerbe im Fernsehen. Doch am wohlsten fühlt er sich immer noch in seinem eleganten Restaurant Slovenia im Herzen von Nabeul – wo er nach unserer Markttour demonstriert, wie man Ojja Merguez zubereitet, ein tunesisches Frühstücksgericht, das der israelischen Shakshuka ähnelt.

Vor seiner glühend heißen Bratpfanne, in der das Olivenöl bereits sprudelt, und einer Reihe von kleinen weißen Schüsseln mit frischen Zutaten ist Rafik in seinem Element. Er gibt gewürfelte Tomaten, grüne Paprika, geschnittene Knoblauchzehen, Tomatenpüree und schließlich würzige Merguez-Würstchen in die Pfanne. Dann rührt er eine großzügige Dosis rotes Harissa unter, bevor er zwei Eier aufschlägt und die Ojja zu einem blubbernden, aromatischen Crescendo bringt. „Et voila!“ Ein paar Minuten später steht die brutzelnde Ojja auf dem Tisch, zusammen mit Tabouna-Brot. Die reichhaltige, zarte Merguez schmilzt im Mund, während das Feuer des Harissa auf meiner Zunge tanzt. Dieses Gericht steht symbolisch für die ganze Küche von Kap Bon – es ist ein Essen mit viel Geschmack und Charakter.

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    Foto von National Geographic

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