Ungewöhnliche Flüchtlinge: Tierschutzstation in Jordanien

Wildtiere, die Kriege, Verwundungen und Schmuggel überlebten, finden in einem Tierschutzzentrum in Jordanien Zuflucht.

Von Muhammed Muheisen
Veröffentlicht am 12. Sept. 2023, 18:10 MESZ
Kragenbär

Sukkar (Kragenbär): Der 13 Jahre alte Bär ist einer der wenigen Überlebenden, die aus einem Zoo nahe Aleppo befreit werden konnten. Dutzende der dort eingeschlossenen Tiere wurden Opfer des Bürgerkriegs in Syrien. 

Foto von Muhammed Muheisen

Pablito war der erste Löwe, den ich je aus der Nähe gesehen hatte. Das etwa vier Monate alte Löwenjunge lief in seinem Gehege im New Hope Centre, einer Schutzstation für Wildtiere, auf mich zu. Unvermittelt hielt er inne und fixierte mich. Sein Blick wirkte verletzlich, als wollte er mir in einer Sprache ohne Worte, die wir beide verstanden, etwas mitteilen. Plötzlich fühlte ich mich verpflichtet, seine Geschichte zu erzählen.

Irgendwann erfuhr ich vom New Hope Centre in Jordaniens Hauptstadt Amman. Es bot anderen wehrlosen Geschöpfen eine zweite Chance: traumatisierten und verwahrlosten Tieren, die aus heruntergewirtschafteten Zoos befreit, aus Kriegsgebieten gerettet oder von Wildtierschmugglern beschlagnahmt worden waren. New Hope diente als Quarantäne- und Reha-Station für diese Tiere, die später in das rund 50 Kilometer entfernte Al Ma’wa for Nature and Wildlife umgesiedelt werden sollten, ein 111 Hektar großes Tierschutzzentrum in den Bergen von Jerash im Nordwesten Jordaniens. In Al Ma’wa lebte eine gelähmte Spornschildkröte, die 2016 aus dem oft als „schlimmster Zoo der Welt“ bezeichneten Zoo in Gaza befreit worden war. Auch Löwen und Kragenbären aus Magic World, einem Zoo und Freizeitpark am Rand von Aleppo in Syrien, hatten in Al Ma’wa (Deutsch: „die Zuflucht“) ein neues Zuhause gefunden.

Von der Rettung zur Freiheit: Tierschutz im Schutzzentrum Al Ma'wa

Im Jahr 2018 begann ich, die Einrichtung regelmäßig zu besuchen. Zuvor hatte mein Fokus auf Menschen gelegen, die inmitten von Chaos gefangen waren, auf Zerstörung und menschlichem Leid. Jetzt stand ich den zurückgelassenen Tieren gegenüber. Sie waren Opfer von Konflikten, die nicht das Geringste mit ihnen zu tun hatten. Hätte man sie nicht gerettet, wären sie vermutlich von Bomben getötet worden, ins Kreuzfeuer geraten oder einfach verhungert.

Bei einem meiner Aufenthalte in New Hope bereiteten Tierpfleger und -ärzte drei aus Zoos in Jordanien und Gaza befreite Streifenhyänen auf die Auswilderung vor. Jede Hyäne wurde zunächst mithilfe eines Betäubungspfeils ruhiggestellt und dann gründlich untersucht. Als die Tiere transportfähig waren, wurden sie mit dem Lieferwagen in eine entlegene Region im südlichen Zentraljordanien gebracht und freigelassen. Diese Hyänen hatten Glück. Die meisten Tiere, die aus heruntergekommenen Zoos oder aus Kriegsgebieten gerettet werden, haben keine Heimat, in die sie zurückkehren können. Diesen staatenlosen Tieren gewährt das Schutzzentrum Al Ma’wa dauerhaft Asyl.

Der junge Löwe Pablito sollte eines von ihnen werden. Der kleine Zookäfig habe Pablito traumatisiert, erzählte mir sein Pfleger. Weil er wiederholt versucht hatte, die Käfigtür aufzudrücken, trug er eine große Narbe auf der Nase. Nach nur einem Monat im New Hope Centre begann Pablito, sich zu erholen. In seinem 150 Quadratmeter großen Gehege spielte er mit Ästen oder einem vom Deckengitter herabhängenden Jutesack. Er kletterte in ein Spielhaus für Kinder hinein und wieder heraus und brüllte.

Später begegnete ich Scooter. Die Spornschildkröte war infolge schlechter Behandlung gelähmt gewesen. Acht Monate intensiver Hydrotherapie und vitaminreicher Ernährung hatten Scooters Muskeln nun so weit gestärkt, dass er seine Extremitäten wieder bewegen konnte. Mit einem Skateboard als Untersatz paddelte er gemächlich umher.

Pablito (Löwe): Pablito, der hier als junger Löwe zu sehen ist, trägt eine markante Narbe auf seiner Nase.

Foto von Muhammed Muheisen

Das Projekt von Prinzessin Alia: Die Gründung des New Hope Centre

Prinzessin Alia Al-Hussein, älteste Tochter des verstorbenen Königs Hussein von Jordanien, erzählt, dass sie seit 2009 über die Einrichtung eines Tierschutzzentrums nachgedacht habe. Damals war ein Wanderzirkus durch Jordanien gezogen, dessen Tiere sich größtenteils in schlechter Verfassung befanden. Ein Löwenjunges, dem man die Krallen entfernt hatte, litt unter starken Schmerzen. Irgendwann entdeckte Prinzessin Alia, dass die angeblich vom ägyptischen Landwirtschaftsministerium ausgestellte Betriebserlaubnis des Zirkus gefälscht war.

Zu jener Zeit hätten sich viele Landsleute keine Gedanken über das Tierwohl gemacht, sagt Prinzessin Alia. Sie erkannte, wie sehr es eine Einrichtung wie das New Hope Centre brauchte. Ihre gemeinnützige Princess Alia Foundation ging daraufhin eine Partnerschaft mit der Tierschutzorganisation Vier Pfoten aus Wien ein, die sich weltweit für Not leidende Tiere unter direktem menschlichen Einfluss einsetzt. Im Januar 2010 nahm das New Hope Centre seinen ersten Patienten auf: die vier Jahre alte Streifenhyäne Dobbie, gerettet aus einem nahe gelegenen Zoo. Das Schutzzentrum Al Ma’wa wurde 2011 eröffnet.

„Wir geben uns Mühe, den Besuchern zu vermitteln, dass die Bedingungen für Wildtiere in Zoos nicht angemessen sind“, sagt Marek Trela, Tierarzt und Leiter von Al Ma’wa. „Im Idealfall würde man all diese Tiere in die freie Wildbahn entlassen. Wenn sie in Gefangenschaft geboren wurden, ist das allerdings nicht immer möglich.“ Man könne diesen Tieren aber bessere Lebensbedingungen bieten, ergänzt Trela.

BELIEBT

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    Foto von National Geographic

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