Ruhesitz auf dem Bauernhof: Hier wohnen Senioren mit Farmern, Pflegern und Tieren

Die Nachfrage nach Wohnraum für Seniorinnen und Senioren in landwirtschaftlichen Betrieben boomt. Dass davon beide Seiten profitieren, zeigt ein Pflegebauernhof im Westerwald.

Von Sina Horsthemke
Veröffentlicht am 3. Jan. 2024, 11:56 MEZ
Mann auf einem Bauernhof

Die Nachfrage nach Wohnraum für Seniorinnen und Senioren in landwirtschaftlichen Betrieben boomt. Dass davon beide Seiten profitieren, zeigt ein Pflegebauernhof im Westerwald.

Foto von Ilona Burschl

Die Verwandlung zur Bauernhof-WG begann 1999, als Opa Pusch starb, die Oma allein war und sich der Rest der Familie fragte, wie es mit dem landwirtschaftlichen Betrieb weitergehen sollte. Den Hof aufgeben, der seit 1771 im Familienbesitz war? Das kam für die Erben nicht infrage. Ebenso wenig wie die Großmutter ins Altenheim zu stecken. „Selbst als die Oma später pflegebedürftig wurde, wollten wir unbedingt eine Lösung finden“, erzählt Guido Pusch, der den Hof heute führt. Weil die Familie von Landwirtschaft allein nicht leben konnte, sah die Lösung so aus: Die Puschs renovierten das Wohnhaus, bauten Scheune und Stallungen um, organisierten für die Oma einen Pflegedienst und ließen weitere ältere Menschen einziehen – Platz gab es schließlich genug.

​Hohe Nachfrage: Neue Wohnangebote für Senioren

Heute leben 22 Seniorinnen und Senioren in drei Wohngemeinschaften auf dem Pflegebauernhof in Marienrachdorf, Rheinland-Pfalz. Rund 300 Interessierte erkundigen sich pro Monat nach einem Pflegeplatz. Betreuen Landwirte neben ihrer eigentlichen Tätigkeit Senioren, nennt sich das „Green Care“. In Österreich und den Niederlanden sei das Konzept bereits weit verbreitet, sagt Maria Nielsen, die für die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein Bauernhöfe berät, die soziale Angebote schaffen wollen. „Die Nachfrage ist in Deutschland noch viel höher als das Angebot, aber ich kenne mehrere Betriebe, die Wohnangebote planen oder demnächst eröffnen.“

Die meisten befänden sich in Schleswig-Holstein und Bayern. Vom allgemeinen Pflegekräftemangel könne laut Nielsen auf Höfen mit Seniorenwohnungen keine Rede sein: „Senioren-WGs auf dem Land sind beliebte Arbeitsplätze.“ Als Zukunft der Landwirtschaft oder gar Alternative dazu sieht sie „Green Care“ aber nicht: „Landwirtschaft ist Landwirtschaft, und die wollen wir erhalten, nicht ersetzen. Es handelt sich bei den Angeboten um einen neuen, innovativen und ernst zu nehmenden Betriebszweig für Landwirte.“ Ziehen Pflegebedürftige auf Bauernhöfe, profitieren alle. Einerseits sichern sich die Landwirte einen Zusatzverdienst – die Pflegekassen kommen für einen Teil der Kosten auf. Andererseits verbringen die Senioren ihren Lebensabend in einer naturnahen Umgebung mit Familienanschluss.

​Tiere füttern und sozial zusammen sein

Wenn sie wollen und können, packen sie mit an: „Sind Pflege und Frühstück morgens erledigt“, berichtet Guido Pusch, „geht es in den Stall.“ Wer noch gut zu Fuß ist, bringt die Alpakas und Gänse auf die Weide. Andere helfen beim Füttern der Kühe, kleben in der Imkerei Etiketten auf Honiggläser, sammeln und sortieren im Hühnerstall Eier, angeln im Fischteich oder pflegen Maschinen. Bei vielen wecken die Tätigkeiten Kindheitserinnerungen. Wer nicht mehr helfen kann, ist trotzdem nicht einsam, sondern kann die Katzen kraulen und die Mitbewohner nachmittags zum Kuchenessen treffen. Auf seinem Hof sei immer etwas los, sagt Pusch: „Mal kommt der Tierarzt, mal der Metzger, mal kommen Ferkel oder Kälber auf die Welt.“

Die Frau des Landwirts kümmert sich als Betreuungskraft um Menschen und Tiere, die Tochter beendet bald die Ausbildung zur Pflegefachkraft. Als ehemalige Krankenschwester packt sogar Puschs Mutter mit an. Für ihr Projekt bekam die Familie 2023 den Deutschen Pflegeinnovationspreis. Weil sich so viele für das Konzept interessieren, hält Guido Pusch Vorträge und berät andere Landwirte, die eine Bauernhof-WG gründen wollen. Die größte Auszeichnung jedoch bekam er von seinem Vater, der an Krebs erkrankte und bis zu seinem Tod auf dem Hof gepflegt wurde: „Etwas Besseres hätten wir aus dem Betrieb nicht machen können“, soll er in seinen letzten Tagen gesagt haben.

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Foto von National Geographic

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