Rangordnung bei Hyänen: Regierende Weibchen als Erfolgsrezept

In der Welt der Tüpfelhyänen regieren die Weibchen. Vielleicht ist das ihr Erfolgsgeheimnis.

Von Christine Dell’Amore
Veröffentlicht am 5. Apr. 2024, 16:17 MESZ
Tüpfelhyänen in der Masai Mara

Kurz nachdem die Sonne über der Masai Mara aufgegangen ist, kommen Tüpfelhyänen an einen Tümpel, um zu saufen. Die Beutegreifer können in einer Vielzahl von Habitaten leben. Für diese Nahaufnahme setzte die Fotografin Jen Guyton einen ferngesteuerten Roboter ein.

Foto von Jen Guyton

Gewitterwolken ballen sich über der Masai-Mara-Savanne in Kenia, während die jungen Tüpfelhyänen bei Spielen im feuchten Gras umeinanderpurzeln. Ihre Mutter liegt ganz in der Nähe. Ab und zu erhebt sie sich, um ein größeres, einjähriges Jungtier daran zu hindern, sich der kleinen Spielgruppe anzuschließen. Als das ältere Tier erneut näher kommt, tut ein beherzteres Junges es seiner ranghohen Mutter gleich: Es richtet sich drohend auf und versucht so gut es geht, einschüchternd auszusehen. Sein Verhalten wirkt drollig, aber beide Tiere sind sich ihrer sozialen Stellung bewusst. Die größere, rangniedere Hyäne stutzt, neigt den Kopf und schleicht davon. Die Fotografin Jen Guyton hat diese Szene mit einer Infrarotkamera aufgenommen, die ihr einen intimen Blick auf das nächtliche Verhalten von Hyänen gewährt.

Sie vermittelt uns einen Eindruck von der faszinierenden Struktur der Hyänengesellschaft, in der alle Mitglieder ihren Platz in der Rangordnung von ihren Müttern erben. Die Weibchen haben das Sagen, und der soziale Status bestimmt alles. Das matrilineare System hat die Tüpfelhyäne zum zahlenmäßig stärksten Großraubtier Afrikas gemacht. Dieser und weitere Einblicke in das Verhalten von Hyänen wären allerdings nicht möglich gewesen ohne die 35-jährige Feldforschung von Kay Holekamp. Die Gründerin des „Mara Hyena Projects“ hat die Tüpfelhyäne als ein Wesen enthüllt, das wegen seiner hoch entwickelten Gesellschaftsstruktur, seiner kognitiven Fähigkeiten und des Vermögens, sich an neue Umgebungen anzupassen, allgemeine Beachtung findet. Seit 1988 erforscht die Biologin von der Michigan State University Hyänen in der Masai Mara – eine der längsten je an Säugetieren durchgeführten Studien. „Eigentlich wollte ich nur zwei Jahre dort bleiben“, erzählt sie, „doch ich wurde süchtig.“

​Neue Erkenntnisse über das Jagdverhalten von Hyänen

Süchtig nach Hyänen? Beim bloßen Erwähnen ihres Namens verziehen die meisten Menschen schon angewidert das Gesicht. US-Präsident Theodore Roosevelt nannte sie eine „einzigartige Mischung aus erbärmlicher Feigheit und äußerster Grausamkeit“. In weiten Teilen Afrikas gelten Hyänen als böse und gefräßig. Man bringt sie mit Hexerei und sexueller Perversion in Verbindung. Von den vier Hyänenarten (Schabracken-, Streifen- und Tüpfelhyäne sowie Erdwolf), die Subsaharaund Nordafrika durchstreifen, besitzt die Tüpfelhyäne den schlechtesten Leumund. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie zu viel Nähe zu uns Menschen sucht. „Die am meisten verunglimpften Tierarten sind oft die anpassungsfähigen Generalisten, die Seite an Seite mit uns Menschen leben“, sagt Christine Wilkinson, National Geographic Explorer und Raubtierökologin von der University of California in Berkeley, die Hyänen im kenianischen Lake-Nakuru-Nationalpark erforscht.

Es ist ein klassischer Safarimoment: Ein Löwe steht über einem frisch getöteten Kadaver, während Hyänen die Szene mit gesenkten Köpfen umkreisen. Der Löwe hat ein Beutetier gerissen, und die Hyänen warten auf eine Gelegenheit, sich über die Reste herzumachen, richtig? Das stimmt nicht ganz. Als der Biologe Hans Kruuk in den Sechzigerjahren mit der Erforschung von Hyänen in Tansania begann, stellte er fest, dass ihr Ruf als feige Aasfresser ein Mythos war. Wenn Tüpfelhyänen und Löwen sich einen Kadaver teilten, waren es laut Kruuks Beobachtungen in mehr als der Hälfte der Fälle Hyänen gewesen, die die Beute erlegt hatten. Forscher in Kenia haben jüngst herausgefunden, dass sich Hyänen in der Masai Mara rund zwei Drittel ihrer Nahrung hauptsächlich erjagen.

​Matriarchinnen der Savanne

Oft arbeiten sie als eingespieltes Team, wenn sie Gnus, Zebras, Kaffernbüffel und andere große Beutetiere zur Strecke bringen. Wie die Tiere diese Hetzjagden choreografieren, ist nach wie vor ein Rätsel. Holekamp und ihre Kollegin Ariana Strandburg-Peshkin von der Universität Konstanz statteten einen gesamten Hyänenclan mit GPS-Halsbändern aus, an denen Mikrofone und Beschleunigungssensoren angebracht waren. Auf diese Weise können sie die Bewegungen der Tiere verfolgen und ihre Lautäußerungen studieren. Eine davon ist das charakteristische Hyänengelächter, mit dem die Tiere offenbar große Erregung signalisieren. „Dank der Halsbänder wissen wir, wo sie sich aufhalten, wer zu wem etwas sagt, welche Gruppenmitglieder darauf reagieren und welche nicht und womit sie sich gerade beschäftigen“, erklärt Holekamp.

Eines ist jedoch seit Langem bekannt: Die mächtigen Weibchen bilden das „Rückgrat der Hyänengesellschaft“, so Holekamp. Ein Teil dieser matrilinearen Dominanz ist physiologischer Natur, denn bereits im Mutterleib erhalten sowohl männliche als auch weibliche Föten ranghoher Weibchen eine Extradosis Geschlechtshormone wie Testosteron, das vermutlich die Aggressivität steigert. Ein weiterer Teil ist anatomisch bedingt: Als einziges Wirbeltier ohne äußere Vaginalöffnung besitzen weibliche Tüpfelhyänen eine verlängerte, zwischen ihren Beinen hängende Klitoris, die stark an einen männlichen Penis erinnert. Bei der Paarung zieht das Weibchen diesen „Pseudopenis“ in den Hinterleib zurück und macht dem Männchen das Eindringen ohne ihre Mithilfe unmöglich. Das Weibchen bestimmt somit, wer der Vater ihrer Nachkommen wird, und bringt den Nachwuchs bemerkenswerterweise auch durch die Klitoris zur Welt.

Cover National Geographic 3/24

Foto von National Geographic

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