Ungeheuer der Tiefsee? Die Wahrheit über Riesenkraken

Sie leben im mysteriösen Dunkel der Tiefsee: Riesenkalmare. In der Mythologie werden sie "der Kraken" genannt. Die echten Tiere ziehen jedoch keine Schiffe in die Tiefe, sondern zeigen sich so selten, dass die Forschung noch im Dunklen tappt.

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 3. Mai 2024, 09:10 MESZ
Ungeheurer der Tiefsee: Die Wahrheit über den Riesenkraken

Der Krake zog das Boot in die Tiefe, die Besatzung starb. Diese Schauergeschichten erzählte man sich schon vor langer Zeit. Der Riesenkalmar hält sich jedoch eher zurück, man sieht ihn selten. 

Foto von primopiano-Stock-Adobe.com

Seefahrer und Mystiker fasziniert seit Jahrhunderten die Vorstellung, dass in den unerforschten Tiefen der Meere riesige Monster hausen. Die reale Existenz der geheimnisvollen Riesenkalmare heizt die Fantasie weiter an. Sicher ist, dass die Erzählungen der sogenannten „Riesenkrake“ zwar auf einem real existierenden Meereslebewesens basieren, jedoch wurden ihm übernatürliche Eigenschaften aus mythologischen Überlieferungen hinzugefügt.

Wie gefährlich ist der Riesenkrake wirklich?

Viele Tiefseeungeheuer der nautische Erzählungen nahmen sich den Riesenkalmar zum Vorbild. Doch im Gegensatz zu den blutrünstigen Monstern, die Seefahrer in die Tiefe des Meeres ziehen, ist der reale Riesenkalmar eher scheu und traut sich nicht oft an die Oberfläche. Der Wissenschaftler Dr. Daniel Oesterwind vom Thünen-Institut für Ostseefischerei erforscht die Meeresbewohner und kennt sie deshalb gut. Der Name Krake sei oft irreführend im Zusammenhang mit Riesenkalmaren, da er keinen wissenschaftlichen Begriff darstelle, sondern „ursprünglich aus der nordischen Mythologie stammt und von dem Bischof Erik Pontoppidan geprägt wurde, der im 18. Jahrhundert damit große Meeresungeheuer beschrieb“, klärt der Wissenschaftler auf. Heutzutage werde das Wort im Deutschen oft als Synonym für Oktopoden verwendet.

Rund um den Riesenkalmar ranken sich Geschichten, die von monströsen Angriffen auf Schiffe erzählen. „Während diese seefahrenden Mythen und Legenden meist übertrieben sind, gibt es einen Kern der Wahrheit, der auf die Existenz dieser beeindruckenden Meeresbewohner verweist“, betont der Experte.

„Riesenkalmare erreichen eine Gesamtlänge von bis zu 18 Metern. Allerdings ist die Größe aufgrund verschiedener Faktoren, wie der Dehnbarkeit ihrer Muskeln, schwer zu bemessen“, erklärt Dr. Oesterwind. In der Wissenschaft orientiere man sich eher an der Mantellänge, die weniger variabel sei. Üblicherweise hätten Riesenkalmare eine Gesamtgröße zwischen sechs und dreizehn Metern, acht Arme und zwei lange Saugnapf-Tentakeln. Damit brächten sie ein Gewicht von bis zu 200 Kilogramm und mehr auf die Waage. 

Allerdings müsse man den Riesenkalmar vom Kolosskalmar unterscheiden, der noch größer und schwerer werden kann und Haken statt Saugnäpfe an den Tentakeln besitzt. 

Architeuthis dux ist ein kämpfender Kosmopolit

Dieser Riesenkalmar wurde am 14. Januar 1933 tot an den Strand von Scarborough, England gespült.

Foto von via Wikimedia Commons

Mit ihren acht Armen und zwei lange Tentakeln residieren die Riesenkalmare in der Dämmerungszone der Ozeane, zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe. "Architeuthis dux, so ihr wissenschaftlicher Name, bewohnt kosmopolitisch praktisch alle Meere unserer Erde", fügt Dr. Oesterwind hinzu.

Trotz ihrer enormen Größe sind Riesenkalmare nicht unverwundbar. Sie zählen zwar zu den Spitzenräubern ihres Lebensraums und ernähren sich von Fischen und anderen Tintenfischen, jedoch sind sie selbst Beute für Haie und Wale. Regelmäßig finden Wissenschaftler*innen Teile von Kalmaren in den Mägen von Walen. Auch wenn manche Wale Kampfspuren davontragen, die dem Riesenkalmaren zuzuordnen sind, sind sie den Walen trotzdem unterlegen.

Eines der auffälligsten Merkmale des Riesenkalmars sind seine riesigen Augen, die bis zu 27 Zentimeter Durchmesser erreichen können. „Man nahm an, dass Riesenkalmare in der Dunkelheit der Tiefsee als Lauerjäger leben würden, doch heutige Beobachtungen zeigen, dass sie sehr wohl aktive Jäger sind“, klärt der Wissenschaftler auf. 

Viele Aspekte im Leben der Riesenkalmare seien noch mit Fragezeichen behaftet: „Ihr Alter, ihre Wanderrouten und ihr Paarungsverhalten geben der Wissenschaft bis heute Rätsel auf“. Damit bleiben die Riesenkalmare weiterhin eines der großen Mysterien der Tiefsee.

Der Mythos mit dem Funken Wahrheit

Dass ein Funken Wahrheit hinter den Schauergeschichten steckt, belegt die Existenz des Riesenkalmars. Die mythischen Seemonster, wie etwa der Krake der nordischen Sagen, sind vermutlich von realen Beobachtungen maritimer Kreaturen inspiriert, welche durch das Prisma der Furcht und Imagination grotesk vergrößert wurden. Seeleute, die Monate, wenn nicht Jahre, auf hoher See verbrachten, erzählten einander Geschichten über monströse Kreaturen. So wurde die Legende der Riesenkrake, auch bekannt als „der Kraken“, geboren.

In der skandinavischen Mythologie wird der Kraken als gigantisches, Schrecken erregendes Ungeheuer dargestellt, das Schiffe umklammert, in die Tiefen reißt und ganze Mannschaften verschlingt. Erik Pontoppidan, ein norwegischer Bischof des 18. Jahrhunderts, verlieh diesen Erzählungen Glaubwürdigkeit, indem er den Kraken in seinem Werk zur Naturgeschichte Norwegens als riesigen Tintenfisch darstellte. Ähnliche Darstellungen finden sich auch in anderen Kulturen, was darauf hindeuten könnte, dass Seefahrer aus unterschiedlichen Teilen der Welt auf ähnliche marine Phänomene gestoßen waren.

Solche mythologischen Darstellungen wurden durch natürliche Ereignisse befeuert, wie zum Beispiel den Anblick von Riesenkalmaren, die an Strände gespült wurden. Vor allem in Zeiten, als die Grenzen des Wissens über die natürliche Welt noch unklar waren, füllte die menschliche Fantasie die Lücken mit spektakulären und erschreckenden Geschichten.

Die Bezeichnung der Riesenkalmare als Kraken hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, das mythische Element bleibt jedoch fest mit ihnen verbunden, was den Tieren eine besondere Stellung im Reich der Legenden sichert. Sie wurden zu einem Symbol für die unaussprechlichen Geheimnisse des Ozeans, dessen Tiefen die Menschen im Zeitalter moderner Wissenschaft weiterhin zu ergründen versuchen.

BELIEBT

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    Unterwasserbilder von Riesenkalmaren gibt es wenige, da sie sich den Menschen fast nie zeigen. 

    Foto von Uking-Stock-Adobe.com

    Der Kraken als Teil der Popkultur

    Während die Wissenschaft noch Fragen hat, wurde der Kraken längst zu einer wiederkehrenden Figur in der Popkultur. Er tritt in zahlreichen Geschichten und Filmen auf und nährt die menschliche Faszination zum Unbekannten und Schrecklichen.

    Im Kino ist der Krake wohl am bekanntesten durch seine Auftritte in der Filmreihe „Fluch der Karibik“, in dem er als furchterregendes Seeungeheuer das Schiff von Captain Jack Sparrow, die Black Pearl, in die Tiefe reißt. In der „Harry-Potter“-Reihe bevölkert ein friedlicher Riesenkrake den See von Hogwarts und in „Percy Jackson – Diebe im Olymp“ wird die mythische Chimäre mit Elementen eines Kraken dargestellt.

    In der Literatur lebt das Motiv des Kraken unter anderem in „20.000 Meilen unter dem Meer“ von Jules Verne fort. Das Ungeheuer, das sich in diesem Klassiker an der Nautilus, dem U-Boot des Kapitäns Nemo, zu schaffen macht, wurde nach Vorlage des Buchs mehrmals verfilmt.

    Letztendlich erreicht der Krake durch seine Präsenz in Geschichten eine fast unsterbliche Stellung in der Kulturgeschichte – als Sinnbild des Unbekannten und als stetige Erinnerung an die Sagen und Geschichten, die über die Weltmeere im Umlauf sind. Währenddessen die Wissenschaft versucht, Mythen und Seemannsgarn durch Fakten zu ersetzen.

    Cover National Geographic 5/25

    Foto von National Geographic

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