Als die Krokodile herrschten

Vor hundert Millionen Jahren machten riesige Panzerechsen sogar auf Dinosaurier Jagd.

Von Mel White
bilder von National Geographic
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Sie nannten es "Donna". Kein anderes Krokodil in Florida wurde so berühmt. Im Sommer 2008 verließ es die Biscayne Bay in Florida. Es schwamm in einem von Jachten gesäumten Kanal durch das vornehme Wohnviertel Coral Gables. Auf dem Campus der Universität von Miami schien es ihm zu gefallen. Dort blieb es, am Ufer des Lake Osceola, und nur ab und zu unterbrach es sein Bad in der Sonne, um eine Schildkröte zu fressen.

Die Studenten tauften das Spitzkrokodil (Crocodylus acutus) nach ihrer Universitätspräsidentin Donna Shalala. Der Name blieb ihm, auch als sich herausstellte, dass es ein Männchen war. Hin und wieder ruhte "Donna" nur wenige Meter vor der Studentenkneipe. Ein paar Terrassentische wurden deshalb umgestellt, aber ansonsten störte es nicht weiter. Doch am Morgen des 1. Oktober fand man es tot auf. Umgebracht. Die Empörung war groß. Zudem hatten die Täter gegen das Gesetz verstoßen: Anders als der hier zu Millionen in den Sümpfen lebende Alligator ist das Spitzkrokodil als gefährdet eingestuft. Einen Monat später nahm die Polizei einen Mann und einen Teenager fest. Sie gaben an, den Schädel des Reptils als Trophäe gewollt zu haben.

Manche sehen in "Donnas" Schicksal, was den 23 Krokodilartigen dieser Erde insgesamt droht. Zur Verwandtschaft dieser Panzerechsen gehören Krokodile, Alligatoren, Kaimane und Gaviale. Über Jahrmillionen haben sie alle Veränderungen überstanden – mehrere Klimawandel, die Umformung der Kontinente, einen Asteroideneinschlag, der große Teile der Lebenswelt aussterben ließ. Doch jetzt sind sie einer neuen tödlichen Gefahr ausgesetzt: uns.

Vor rund 30 Jahren gab es in Florida kaum noch 400 Spitzkrokodile. Die zunehmende Bevölkerung hatte die Echsen aus den meisten Salzwasserbuchten, in denen sie lebten, verdrängt. Wilderer töteten viele wegen der Häute; Museen stopften sie für ihre Sammlung aus; andere wurden in Reptilienshows gezeigt.

Seither wurde der Naturschutz verstärkt, und der Bestand der Krokodile im US-Bundesstaat Florida erholte sich. Heute dürfte es an die 2000 geben. "Diesen Tieren zu helfen ist nicht schwer", sagt Steve Klett, der Manager eines Schutzgebiets. "Es reicht schon, wenn man ihren Lebensraum erhält und dafür sorgt, dass sie nicht mehr gewildert werden. Das große Problem ist die begrenzte Natur: Wo sollen sie hin, wenn alle geeigneten Reviere besetzt sind?" Auch "Donna" hatte vermutlich nichts Besseres gefunden als das Universitätsgelände.

Die heutigen Panzerechsen werden oft als Überlebende des Dinosaurierzeitalters bezeichnet. Seit rund 80 Millionen Jahren haben sie sich kaum verändert. Dennoch sind sie nur noch ein Rest jener großen Tiergruppe, die unseren Planeten einst beherrschte.

Die ersten sogenannten Crurotarsi erschienen vor rund 240 Millionen Jahren auf der Erde – in der Trias-Epoche, etwa zur gleichen Zeit wie die Dinosaurier. Crurotarsi ist für Paläontologen der Oberbegriff für alle Verwandten der Krokodile. Deren verbindendes Merkmal ist eine typische Form der Fußgelenke. In den folgenden 40 Millionen Jahren entwickelte sich eine große Vielfalt von Krokodilartigen: Es gab schlanke, langbeinige Tiere, die ein wenig an Wölfe erinnern, aber auch riesige Räuber. Vertreter der Gattung Effigia liefen wohl zumindest zeitweise aufrecht auf zwei Beinen und ernährten sich vermutlich von Pflanzen. Die Crurotarsi waren so dominant, dass die Dinosaurier sich anfänglich auf wenige ökologische Nischen beschränken mussten, eher klein blieben und nur in geringer Anzahl vorkamen.

Doch am Ende der Trias, vor etwa 200 Millionen Jahren, muss eine Katastrophe, von der wir nichts wissen, die Lebensverhältnisse verändert haben. Die meisten Urkrokodile starben aus. Damals begann die Blütezeit der Dinosaurier an Land. Auch in den Ozeanen hatten sich riesige schwimmende Fleischfresser entwickelt, darunter die Plesiosaurier. Die überlebenden Ahnen der Krokodile bildeten zwar über Jahrmillionen eine neue Formenvielfalt aus, aber zwischen den Sauriern der Kontinente und im Meer blieb ihnen nur noch der Lebensraum am Übergang von Land und Wasser: Flüsse, Sümpfe und Marschen.

Das schränkte ihre Entwicklung in der Evolution ein – war aber vielleicht ihre Rettung. Denn als vor 65 Millionen Jahren ein Asteroid mit einem Durchmesser von vermutlich zehn Kilometern auf die Erde krachte, starben unzählige Tierarten aus, darunter alle Dinosaurier. Auch in den Ozeanen kam es in der folgenden Eiszeit zu einem Massensterben – wohl weil der Meeresspiegel stark sank und die Fleischfresser nicht mehr genug Beute fanden. Warum die Krokodile überlebten, ist nicht ganz klar. Den Bewohnern des Süßwassers erging es damals aber allgemein besser, wie man aus ihren fossilen Überresten ablesen kann. Gut war für die Krokodile sicher auch, dass sie beim Fressen wenig wählerisch waren und sie als Kaltblüter lange ohne Nahrung auskommen konnten.

Abgesehen von den Vögeln, die sich aus einem speziellen Zweig der Dinosaurier entwickelten, ging nur eine andere, bis dahin eher unauffällige Gruppe erfolgreicher aus der Katastrophe hervor: die Säugetiere. Sie eroberten nun alle Lebensräume, während die meisten Formen der Krokodile mit der Zeit ausstarben. Übrig blieben nur die walzenförmigen, kurzbeinigen Arten, die es heute noch gibt.
Noch – denn einigen droht nun der Untergang, weil sie vom Menschen verdrängt werden. Er jagt sie zwar kaum noch wegen ihrer Häute, das Leder für Schuhe und Taschen stammt nun meistens aus der legalen Zucht auf Krokodilfarmen. Deswegen haben sich viele Bestände in freier Wildbahn erholt. Von den 23 bekannten Arten waren vor 20 Jahren zwei Drittel als gefährdet eingestuft, heute sind es noch sieben. Aber auch diese leiden unter dem Verlust ihres jeweiligen Lebensraums.

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