Auf den Schwingen des Albatros

Ein Albatros ist die großartigste lebende Flugmaschine der Welt. Mit bis zu dreieinhalb Meter Spannweite verfügt dieser Vogel über die längsten in der Natur vorkommenden Flügel. Sein Körper bildet einen gespannten Bogen, der, nur vom Wind getrieben, durch

Von Carl Safina
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Ein Albatros ist die großartigste lebende Flugmaschine der Welt. Mit bis zu dreieinhalb Meter Spannweite verfügt dieser Vogel über die längsten in der Natur vorkommenden Flügel. Sein Körper bildet einen gespannten Bogen, der, nur vom Wind getrieben, durch den Himmel schnellt. Albatroseltern fliegen mitunter bis zu 15 000 Kilometer weit, um ihrem Küken eine einzige Mahlzeit zu liefern. Sie können mehrere Hundert Kilometer gleiten, ohne einmal mit den Flügeln zu schlagen. Ein Albatros überquert Ozeane und umrundet den Erdball. Und bis zum Alter von 50 Jahren hat er mindestens sechs Millionen Kilometer zurückgelegt.

Das Paradies der Albatrosse ist Neuseeland. Über dem Meer segeln Weißkappen-, Salvin-, Buller-, Königs- und Wanderalbatrosse, dazu Riesensturmvögel und gesellige Kapsturmvögel, die mit ihrer Zeichnung wie fliegende Dominosteine aussehen. Auf der Campbell-Insel nisten der Südliche Königsalbatros und seine Artgenossen, wie der Campbell-Albatros (der ausschließlich hier vorkommt), Graukopf und Rußalbatrosse, ein paar Antipodenalbatrosse und der Schwarzbrauenalbatros. Fahrzeuge gibt es hier nicht. Zur Kolonie sind es 45 Minuten Fußweg über einen steilen Hügelkamm. Und bald nahen sie schon, wie kleine Jets im Tiefflug: die ersten Königsalbatrosse. Erst jetzt empfindet man ihre wahre Größe. Kein Vogel hat längere Flügel als dieser Albatros - über dreieinhalb Meter spannen sich seine Flügel. Trotz der isolierten Lage der Campbell-Insel kamen durch Seehundjäger im 19. Jahrhundert Ratten hierher. Und um 1900 auch Farmer. Was sie auch mitbrachten: Gräser, Schafe, Vieh, Feuer, Hunde - alles war schädlich für die Albatrosse. Albatroseier wurden als "wohlschmeckend und größer als Gänseeier" gepriesen. Als die Siedler um 1930 dann wieder verschwanden, waren nur noch etwa 650 Königsalbatrospaare übrig. Ratten vernichteten praktisch den Rest. Doch seit die Nager durch das Naturschutzministerium im Jahr 2001 ausgerottet wurden, kehren allmählich kleinere Seevögel, Schnepfen und Insekten von vorgelagerten Inseln zurück. Die Anzahl der Königsalbatrosse stieg bis Mitte der neunziger Jahre auf etwa 13 000 Brutpaare. Doch irgendetwas hält den Bestand bei dieser Größe.

Über den Nordklippen der Campbell-Insel gleiten Tausende Vögel durch die Sonnenstrahlen zwischen dem tief hängenden Himmel und dem zinnfarbenen Meer. In Nestern, die auf Schlammpodesten errichtet sind, thronen Hunderte, gerade einen Monat alte Küken aufrecht wie Schneemänner. Immer wieder treffen Eltern zur Fütterung ein. Erwachsene Albatrosse verwandeln Nahrung in ein hochdichtes Öl mit einem Kaloriengehalt, der jenem von Dieseltreibstoff entspricht. Wenn ein Vogel ankommt, steckt er seinen Schnabel in den des Kükens und spritzt einen Ölstrahl, als würde er einen Tank füllen. Er verbringt etwa 15 Minuten an Land damit, seinem Jungen eine Mahlzeit zu geben, die ein Drittel von dessen Körpergewicht ausmacht. Dann startet der Albatros erneut zu einer Reise von mehreren Wochen und Tausenden Kilometern. Zwischen den Fütterungen wandelt das Küken das Öl in Knochen, Fleisch und Federn um und wächst so stark, dass die Eltern es später nicht am Aussehen, sondern nur an Stimme oder Geruch erkennen.

Die Monate nach dem Flüggewerden sind hart. Die Jungvögel müssen genug Nahrung finden, um zu überleben. Meist ernähren sie sich von Tintenfisch. Oft scharen sie sich aber auch um Fangschiffe und warten auf Futter in Form von Abfällen, Eingeweiden - und Köderhaken. 1988 brachte der australische Umweltbiologe Nigel Brothers erstmals Fangschiffe mit der beobachteten allgemeinen Abnahme der Albatrosbestände in Verbindung.

Ihm wurde klar: Die Vögel folgen den Schiffen, die bis zu 80 Kilometer lange, mit Tausenden Köderhaken bestückte Langleinen ausbringen. Wenn sie beim Versuch, den Köder zu ergattern, vor dem Absinken der Leine anbeißen, ertrinken sie. Außerdem drängen sie sich auch hinter den Schiffen mit Schleppnetzen, deren scharfe Seile ihre langen Flügel abtrennen können. Und genauso war es geschehen. Die Vögel kamen schneller um, als sie brüten konnten. Brothers und Eric Gilman vom Blue Ocean Institute arbeiten deshalb gemeinsam mit den Fischern an Lösungen für dieses Problem. Man kann zum Beispiel die Leinen schwerer machen. Und sie von der Längsseite des Schiffs statt vom Heck ausbringen. So sinken die Köder unter den Schiffsrumpf und damit außer Reichweite der Vögel. Außerdem kann man die Köder dunkelblau färben und die Leinen nachts ausbringen.

Die Effekte dieser Initiative sind enorm: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre ist die Zahl aller von der hawaiianischen Flotte getöteten Seevögel um 97 Prozent gesunken. "Doch was in Hawaii geschieht, reicht nicht", sagt Brothers. Er will weltweite Vorschriften für Langleinen. Das Beschweren der Leinen würde das Problem wahrscheinlich zu 80 Prozent lösen. Die Erfolge weisen den Weg. Auch Organisationen wie Southern Seabird Solutions, und BirdLife International bemühen sich, gemeinsam mit den Fischern für den Schutz der Albatrosse einzutreten. Aber Fischer sind nicht die Einzigen, die etwas tun können. Verbraucherentscheidungen bestimmen auch, welcher Fisch gefangen wird und welche Fangmethoden zur Anwendung kommen. Es hilft, wählerisch zu sein. Fangen wir damit an.

Der Autor Carl Safina hat Bücher wie "Ein Albatros namens Amelia" und "Song for the Blue Ocean" verfasst. Der Tierfotograf und Naturschützer Frans Lanting hat zuletzt den Bildband "Leben: Eine Reise durch die Zeit" veröffentlicht.

(NG, Heft 4 / 2008, Seite(n) 134)

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