Wissenschaftler empfiehlt Klima-Klagen gegen Unternehmen und Regierungen

Der bekannte Klimawissenschaftler James Hansen hat eine Botschaft für die Führer der Welt, die sich zur UN-Klimakonferenz in Bonn versammeln.

Von Stephen Leahy
Veröffentlicht am 13. Nov. 2017, 14:39 MEZ

Nationen sollten die größten Öl-, Kohle-, Gas- und Zementunternehmen auf die Schäden verklagen, die der Klimawandel verursacht – so lautet der Rat des bekannten Wissenschaftlers James Hansen.

Hansen ist ein ehemaliger NASA-Wissenschaftler, der den US-Kongress schon 1988 vor den Gefahren des Klimawandels gewarnt hat. Er sagt, dass eine globale Erwärmung von zwei oder auch nur anderthalb Grad Celsius gefährlich sei und einen Meeresspiegelanstieg von drei Metern innerhalb von 50 Jahren bedeuten könnten. Dadurch würden großen Küstenstädte wie New York überschwemmt. Er glaubt, dass die großen Auswirkungen des Klimawandels schneller von statten gehen, als es selbst die neusten Wissenschaftsberichte verkünden. Das schließt auch den Climate Science Special Report  ein, der am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde (Lesenswert: Wissenschaftlicher Klimabericht widerlegt Positionen der Trump-Regierung.

Hansen zufolge gäbe es aktuell einen dringenden Bedarf an großen Geldmengen, um die CO2-Emissionen dramatisch zu reduzieren, das derzeitige CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und Ländern zu ermöglichen, die Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen. Dieses Geld sollte von den Unternehmen kommen, die am meisten von der Nutzung fossiler Brennstoffe profitiert haben, erklärte Hansen am Dienstag in Bonn auf der UN-Klimakonferenz.

Auf der COP 23, wie die Konferenz abgekürzt wird, treffen sich Vertreter aus 197 Ländern, um die Details des Übereinkommens von Paris auszuarbeiten, inklusive eines Prozesses zur Emissionsreduzierung. Laut eines Umweltprogramms der UN machen die derzeit unter dem Pariser Abkommen versprochenen Reduktionen nur ein Drittel dessen aus, was nötig wäre, um die Erwärmung auf weniger als 2 °C zu beschränken.

„Ich habe versucht, eine Möglichkeit zu erhalten, mit den Verhandlungsführern zu sprechen, aber hatte keinen Erfolg. Ich werde meinen Vortrag auf einer Pressekonferenz geben“, erzählte Hansen National Geographic vor der Zusammenkunft.

ANGRIFF AUF DIE CARBON MAJORS?

Die Unternehmen, die man verklagen könnte, werden als Carbon Majors bezeichnet, sagt Hansen. Das sind die 100 Unternehmen, die seit 1988 mehr als 70 Prozent der weltweiten Treibhausgase verursacht haben. ExxonMobil, Shell, BP und Chevron zählen zu den größten CO2-Verursachern im Investorenbesitz auf dieser Liste.

„Das Rechtssystem stellt die einzige Möglichkeit dar, an die Geldmittel zu kommen, die benötigt werden, um mit dem Klimawandel fertig zu werden“, sagt Hansen. „Die Gesetzgebung wird da nicht funktionieren, weil dort Lobbyisten herrschen.“

Solche Gerichtsverfahren wären vergleichbar mit dem erfolgreichen Prozess gegen die Tabakindustrie, der mit einem finanziellen Ausgleich von Milliarden von Dollar endete.

PRÄZEDENZFÄLLE

Tatsächlich gab es solche Klima-Prozesse bereits. Letztes Jahr verklagte die Menschenrechtskommission der Philippinen, ein Staatsorgan des Landes, 47 Carbon Majors aufgrund ihrer Rolle beim Klimawandel wegen Menschenrechtsverletzungen. Drei kalifornischen Küstengemeinden verklagten im Juli 31 Öl-, Gas- und Kohleunternehmen. Letzten Monat forderten vier Stadtgemeinden an der kanadischen Westküste Chevron, Exxon, Shell und weitere Unternehmen auf, ihren Anteil an den Kosten zu zahlen, die den Gemeinden aufgrund des Klimawandels entstehen. Es gibt mittlerweile sogar eine Bewegung namens Climate Law in our Hands, die solchen Gemeinden hilft, rechtlich gegen die Carbon Majors vorzugehen.

URSACHE UND WIRKUNG

Auch Regierungen werden verklagt. Eine niederländische Gruppe von Bürgern gewann 2015 den weltweit ersten Klimaprozess gegen eine Regierung. Das Gericht stimmte zu, dass die niederländische Regierung nicht genug unternahm, um ihre Bürger zu schützen. Es beschloss, dass das Ziel, die Emissionen des Landes bis 2020 um 17 Prozent im Vergleich zu den Werten von 1990 zu senken, auf 25 Prozent erweitert werden soll. Zum Vergleich: Die jährlichen Emissionen der USA aus dem Jahr 2015 (aus dem die jüngsten verfügbaren Daten stammen) sind vier Prozent höher als 1990.

Hansen ist an einem Prozess gegen die Regierung der USA beteiligt, der auf die Klagen von 21 Kindern und Jugendlichen unter 21 Jahren zurückgeht, darunter auch Hansens Enkelin. Die Anklage behauptet, dass das Versagen der Regierung bei der Drosselung der CO2-Emissionen das konstitutionelle Recht der jüngsten Generation auf Leben, Freiheit und Eigentum verletzt. Die Verhandlung wird am 5. Februar 2018 stattfinden. Eine andere Gruppe von Jugendlichen verklagte gerade den Gouverneur von Alaska, Bill Walker, da „der Staat ihre konstitutionellen Rechte verletzt, weil er die Gewinnung fossiler Brennstoffe über die Sicherheit ihrer Leben stellt“.

Könnte auch Puerto Rico die Carbon Majors für die Milliardenschäden durch den Hurrikan Maria verklagen? Rechtsexperten zufolge sei das eine schwierige Frage. „Man muss eine ausreichend direkte Beziehung zwischen einer Handlung oder Unterlassung des Angeklagten und einem signifikanten Effekt herstellen“, sagt Jorge Vinuales, ein Professor für Recht und Umweltgesetzgebung an der Universität von Cambridge.

Für einige solcher Fälle würden über das Menschenrechtskomitee der UN bereits Vorbereitungen getroffen. Vinuales kann dazu noch keine weiteren Details nennen, da sie noch nicht öffentlich sind. Für tiefliegende, kleine Inselstaaten, deren Existenz durch den steigenden Meeresspiegel bedroht ist, wäre es wohl aber besser, vor dem Internationalen Gerichtshof oder dem Internationalen Seegerichtshof gegen große Verschmutzer vorzugehen, sagt Vinuales. „Ich bin recht zuversichtlich, dass eine solche Klage auf eine Art und Weise formuliert werden könnte, dass sie Erfolg hat“, sagt er.

Eine Gruppe von Bürgern könnte auch versuchen, Carbon Majors auf einen länderübergreifenden Schadensersatz zu verklagen. Dieser Ansatz könnte allerdings schwieriger sein, da die Klimadelegation der USA sichergestellt hat, dass ein Paragraph in das Pariser Klimaabkommen aufgenommen wird, der das Risiko eines Schadensersatzes verringert.

LÖSUNGEN FÜR DIE ZUKUNFT?

Es ist schon länger bekannt, dass große Geldsummen nötig sind, um ärmeren Ländern dabei zu helfen, mit den Auswirkungen des Klimawandels fertig zu werden, und um die saubere Energiegewinnung auszubauen. 2009 stimmten die USA und andere Industrieländer darin überein, die finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer bis 2020 auf 100 Milliarden Dollar aufzustocken. 2016 belief sich diese Unterstützung lediglich auf 2,78 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Ein kürzlich erschienener Bericht schätzt, dass extreme Wetterereignisse – die durch den Klimawandel noch heftiger ausfallen – und die gesundheitlichen Folgen der Nutzung fossiler Brennstoffe die US-Wirtschaft mindestens 240 Milliarden Dollar pro Jahr kosten – und zwar seit zehn Jahren.

Die Weltorganisation für Meteorologie hat verkündet, dass 2017 mit großer Wahrscheinlichkeit eines der drei wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen werden wird, und wahrscheinlich das wärmste Jahr ohne El Niño.

Zu Beginn der COP 23 in Bonn in dieser Woche fingen Malaysia und Vietnam gerade erst damit an, den Schaden zu bewerten, den der Taifun Damrey am vergangenen Wochenende angerichtet hat. Mindestens 60 Menschen starben bei dem Sturm. Die globale Erwärmung beläuft sich bereits auf 1 °C, und laut Hansen wird es noch zu deutlich schlimmeren Extremwetterereignissen kommen, wenn die Emissionen nicht reduziert werden. Um tiefliegende Inselstaaten und die weltweiten Küstenlinien zu schützen, muss die globale Erwärmung auf weniger als 1 °C beschränkt werden. Das bedeutet, dass mindestens 100 Gigatonnen CO2 durch Aufforstung und Veränderungen im Landmanagement aus der Atmosphäre gezogen werden müssen. Das allein wird mindestens eine Billion Dollar kosten.

Gerichtsverfahren gegen Regierungen und Carbon Majors könnten erzwingen, wofür Hansen und viele Klimaaktivisten schon lange plädieren: eine CO2-Steuer oder ein Tarifsystem für fossile Brennstoffe, das deren Kosten hebt und finanzielle Mittel generiert. „Solange wir erlauben, dass fossile Brennstoffe weiter billige Energie liefern und nicht für die Kosten aufkommen müssen, die sie der Gesellschaft verursachen, werden wir unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen nie überwinden“, sagt er.

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