Einfach radlos

Eine Garderobe für Fahrräder als Service auf Messen und Festivals: Ein Grund weniger, mit dem Auto zu kommen.

Von Ines Bellinger
Veröffentlicht am 24. Aug. 2018, 11:04 MESZ
Fahrradgarderobe
FahrradGarderobe beim FC St. Pauli.

Ein Sommersonntag auf der Elbinsel Hamburg-Wilhelmsburg. Die meisten Radfahrer auf dem Deich haben keinen Blick für das glitzernde Paillettendach der Elbphilharmonie und die Spitze der Michaeliskirche, die über dem Hafen emporragt. Ihr Ziel ist der Flohzinnmarkt an den Wilhelmsburger Zinnwerken, ein Flohmarkt mit Musik, die wie das Essen handgemacht ist von Bewohnern des quirligen Viertels. Viele gehen hier auf Schnäppchensuche, weil sie die kreative Atmosphäre mögen und die Preise weit unter dem Niveau von Hamburg liegen. Und weil sie, sofern sie mit dem Fahrrad gekommen sind, ihren Drahtesel in der Zwischenzeit in guten Händen wissen.

„Fahrradgarderobe“ – das Hinweisschild ist nicht zu übersehen. Direkt 
neben dem Eingang zum Markt haben
 Michael Kellenbenz und seine Helfer
 ein Karree aus Metallquerstangen
 aufgebaut. Erfahrene „Flohzinner“ 
parken dort wie selbstverständlich ein, Neulingen erklärt Kellenbenz das Prozedere: Das Fahrrad von innen rückwärts unter der Stange durchschieben, dann den Sattel einhängen, mit dem eigenen Fahrradschloss sichern, fertig. Während die Besucher über den Markt schlendern, passen Kellenbenz und seine Mitstreiter auf, dass nichts gestohlen oder beschädigt wird. Die Kosten für diesen Service auf Märkten, Messen, Festivals und Sportevents übernehmen die Veranstalter. Das Angebot erhöht bei Gästen den Anreiz, mit dem Fahrrad statt mit dem Auto anzureisen, für die Veranstalter ist es gut fürs Image. Und das erkennen immer mehr.

FahrradGarderobe Gründer Michael Kellenbenz und Helen Schepers
Foto von Harriet Dohmeyer

Der ehemalige Krankenpfleger Kellenbenz hat die „Fahrradgarderobe“ vor fünf Jahren mit der Umweltwissenschaftlerin Helen Schepers gegründet. Sie entwickelten die Idee mit den Machern des Wilhelmsburger Musikfestivals MS Dockville, die über chaotische Wildparker und gestohlene Räder klagten. „Radfahrer sind faul, die wollen direkt vor der Tür parken“, sagt Schepers. „Die Kernfrage ist also immer: Von wo kommen die Radfahrer?“ Manchmal ist die Antwort einfach, weil es nur einen Eingang gibt, oder weil die Garderobe einen festen Platz hat, so wie bei Heimspielen des FC St. Pauli am Millerntor-Stadion. Manchmal ist es ein Lernprozess, wie beim Stadtteilfest Altonale, wo die Besucher aus allen Richtungen kommen. Beim Summer’s Tale Festival in Luhmühlen wird die Garage mit 500 Stellplätzen jedes Jahr am Einlasszelt aufgebaut, direkt neben den sündhaft teuren VIP- Parkplätzen für Autos. Ein unmissverständliches Signal des Veranstalters.

BELIEBT

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    “Als nachhaltiger Unternehmer beharrt man nicht auf seiner Idee. Man ist froh, wenn sie sich verbreitet und noch mehr in der Welt bewirkt.”

    Während Schepers beim Umweltministerium Niedersachsen angestellt ist und für die Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz arbeitet, kann Kellenbenz von seiner Idee mittlerweile leben. Im Winter betreut er außerdem die Fahrradmesse Rad + Reise, und er berät Veranstalter in Mobilitätsfragen. Beim Rolling-Stones-Konzert im vergangenen Jahr war er als Supervisor für die 9 000 Fahrradparkplätze im Hamburger Stadtpark gebucht.

    Mittlerweile gibt es einige Nachahmer. Doch Konkurrenzdenken ist Schepers und Kellenbenz fremd. Die Gründer der Fahrradgarderobe haben den Bikesittern aus Stuttgart mit Rat und Tat zur Seite gestanden und sich mit Velostyle in Kiel über eine erfolgreiche Garderobenpremiere bei der Kieler Woche gefreut. „Als nachhaltiger Unternehmer beharrt man nicht auf seiner Idee. Man ist froh, wenn sie sich verbreitet und noch mehr in der Welt bewirkt“, sagt Schepers. Kostenloses Parken für Radler ist nur eine kleine Stellschraube. Die 350 Besucher des Flohzinnmarktes, die an diesem Tag die Fahrradgarderobe nutzten, haben jedenfalls noch einen Grund mehr, mit dem Rad anzureisen. Zumal die Garderobieren manchmal sogar beim Reifenflicken helfen.

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