Die Mikro-Kumpel

In diesem Biofilter reinigen Pflanzen Luft und Wasser von Schadstoffen – in dem sie diese einfach abbauen.

Von Marlene Göring
Veröffentlicht am 2. Okt. 2018, 06:00 MESZ
Im Symbiofilter wachsen Algen und Wasserlinsen gemeinsam.
Im Symbiofilter wachsen Algen und Wasserlinsen gemeinsam.
Foto von Emmanuel Suh

Es ist ein Moment, um sich einfach lebendig zu fühlen. Kanadagänse schnappen nach Grashalmen, Schmetterlinge, Käfer und Wespen schwärmen umher. Die Luft scheint selbst lebendig geworden. Es summt, es surrt, es kraucht überall.

Helgo Feige ist in seinem Element. Der Biologe steht inmitten von Niedersachsens Landesgartenschau in Bad Iburg vor  einer eigentümlichen Apparatur aus Plexiglaskästen, Röhren und Düsen. In allem ein grüner Schimmer, der zeigt: Diese Maschine lebt! Sie ist ein komplexes Biokraftwerk, das Feige sich ausgedacht hat. Es kann Luft und Wasser von Schadstoffen befreien.

“Die Pflanzen sind wie Arbeiter in einem Bergwerk, nur dass sie kein Erz oder Kohle abbauen, sondern CO2, Phosphat, Feinstaub.”

Helgo Feige greift in einen der Plexiglaskästen und fischt eine Handvoll knallgrüner Masse heraus. Sie siehtschleimig aus, aber irgendwie auch angenehm frisch: Wasserlinsen undFadenalgen. „Das sind meine Mikro-Kumpel“, sagt Feige. Die Pflanzen sind wie Arbeiter in einem Bergwerk, nur dass sie kein Erz oder Kohle abbauen, sondern CO2, Stickstoffdioxid, Phosphat und Feinstaub – Dinge, die der Mensch in seiner Umwelt nicht besonders schätzt. Trotzdem produziert er viel zu viel davon: in Industrie und Landwirtschaft, im Straßenverkehr. Die Stoffe sind für den Klimawandel mitverantwortlich und für die Übersäuerung der Böden. Feige macht sich bei seiner Erfindung die Kraft der Natur zunutze: Was für den Menschen schädlich ist, brauchen die Wasserorganismen für ihren Stoffwechsel.

Das Wasser, das in die Plexiglaskaskade geleitet wird, versorgt die Pflanzen darin mit Nährstoffen – und wird dadurch gereinigt. Daneben wird in einem Plexiglaszylinder unten Luft eingesogen, die nach oben strömt und dabei auf feinste Sprühfontänen trifft. Darin befinden sich mikroskopisch kleine Algen, die aus den Kästen nebenan gepumpt werden. Auch sie nehmen Partikel auf – die Luft kommt sauber wieder heraus.

BELIEBT

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    Helgo Feige vor seinem Symbiofilter. "Die meisten Menschen finden Algen glitschig und eklig – dabei sind es natürliche Helfer", sagt der Biologe.
    Foto von Aileen Rogge

    Symbiofilter heißt die Anlage, weil Algen und Wasserlinsen darin gemeinsam wachsen. „Sie sind wie Menschen: Sie brauchen eine Schulter zum Anlehnen“, sagt Feige, der hauptberuflich auf Aquaristik spezialisiert ist. Er hat unter anderem Partner an der Universität Osnabrück gefunden, wo Algenkulturen für den Biofilter gezüchtet werden. Meistens nutzt Feige die Arten, die sich bereits in der Umgebung angesiedelt haben, aus der ein Stoff gefiltert werden soll – sie haben sozusagen schon mit der Arbeit begonnen: „Auch wenn wir ihn nicht sehen: Über allem liegt ein Biofilm“, erklärt Feige. „Es ist irre, was Pflanzen alles können!“ 50 Prozent CO2 zog der Biofilter in einem der ersten Tests aus der Abluft eines Dieselmotors heraus.

    Es gibt mehr als genug Anwendungen für ihn: Am Klärwerk im nahen Bramsche frischt er die Luft auf; seitdem klagen die Anwohner nicht mehr über Gestank. Feige ist im Gespräch mit der Stadt Augsburg, die gern Autoabgase in der Luft loswürde, und mit einem Welszüchter aus Österreich. Der muss bisher Wasser als teuren Sondermüll entsorgen, weil sich darin durch den Kot der Fische Nitrat und Phosphat anreichern. Der Symbiofilter könnte das verhindern. Und: Die Wasserlinsen – auf Latein mit dem anmutigen Namen Lemna, im Volksmund schlicht Entengrütze – können geerntet werden. Sie verdoppeln ihre Biomasse in nur zehn bis 24 Stunden, sind Biodünger und Proteinlieferant. Nur haben bis jetzt erst wenige den Nutzen der Pflanze erkannt.

    Der Symbiofilter war schon für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert, und sein Potenzial ist lange nicht ausgeschöpft. Dafür brauche es mehr Partner – und Mut, so Feige. Oft fühle er sich wie „David gegen Goliath“: „Wenn sich einer mal trauen würde, nicht nur die Forschung zu bestaunen – sondern auch zu machen!“, sagt er. „Dann könnten wir viele unserer heutigen Probleme lösen.“

    Diesen Artikel finden Sie auch in Heft 10/2018 des National Geographic-Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!

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