Straße unter Strom

In der Nähe von Köln wird ein Solarradweg getestet, der Energie erzeugt, Geräusche schluckt und Glatteis schmilzt.

Von Lisa Srikiow
Veröffentlicht am 29. März 2019, 10:31 MEZ
Solmove Solarradweg
Die Visualisierung eines Solarradwegs. Damit bei einem Defekt niemand verletzt wird, entstehen an der Oberfläche maximal 30 Volt Spannung – ungefährlich für Mensch und Tier.
Foto von Solmove

Gut zwei mal 90 Meter misst ein Stück Neuland, das man in Erftstadt, einer 50 000-Einwohner-Stadt, nahe Köln, betreten kann. An einem Acker zwischen Wohngebiet und Bolzplatz wurde hier im November 2018 der erste Solarradweg Deutschlands eingeweiht. Schon von weitem ist das Profil der Glaskacheln und das abstrakte Muster der Solarzellen zu erkennen. „Optisch macht es ja nicht so viel her“, sagt ein Anwohner, der seinen Hund ausführt. „Aber die Idee ist gut.“ Einanderer Passant kann sich sogar vorstellen, die Module in seinem Hof zu verlegen.

Der Winter hat Spuren auf dem Solarweg hinterlassen. In einige Kacheln ist Wasser eingedrungen, an manchen Stellen hat sich Dreck abgelagert. Donald Müller-Judex inspiziert jeden Meter. Der 56 Jahre alte Ingenieur hat den Belag entwickelt. Für ihn ist die Teststrecke in Erftstadt das optimale Labor. „Jeder einzelne Kratzer hilft uns, das Projekt zu verbessern“, sagt er.

Erneuerbare Energien haben Müller-Judex schon immer umgetrieben. „Ich war der Erste in der Siedlung, der eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach hatte“, erzählt er. Einige Zeit später suchte er im Allgäu einen Platz für eine weitere Anlage – erfolglos. „Ich fragte mich: Wie wollen wir jemals die Energiewende schaffen, wenn jetzt schon jedes Dach belegt ist? Dann schaute ich auf die Straße vor mir und hatte plötzlich diese Idee: Warum nicht die Solarzellen auf die Straße bringen?“

“Perfekt für die Solarfliesen von Solmove sind kleine Anwohnerstraßen: nah beim Nutzer, wenig Verkehr und viel Licht.”

von Donald Müller-Judex

Drei Jahre später gründete Müller-Judex das Unternehmen Solmove. Der Solarradweg basiert auf bewährter Fotovoltaiktechnik – er muss aber zusätzlich dieselben Anforderungen wie eine Straße erfüllen: rutschfest sein, schweren Lasten standhalten und genug Haftung für Reifen bieten. Zusammen mit zwei Fraunhofer-Instituten, der RWTH Aachen, der Universität Bayreuth und dem Forschungszentrum Jülich sowie einer Glasfabrik entwickelte er seine Solarfliesen. „Das Licht fällt flach ein, weshalb die Glaskacheln ein hohes Profil haben. So schaffen wir möglichst viel Fläche um es aufzufangen, sagt Müller-Judex. Die Fliesen sind mit Korund überzogen, einem Mineral so hart wie ein Diamant. Die Module können leuchten, Geräusche absorbieren, durch Abwärme Glatteis verhindern.

Im Unterschied zu ähnlichen Projekten in Frankreich und den Niederlanden muss man nicht einmal den Boden abfräsen, um die Kacheln zu verlegen. Die Solarfliesen von Müller-Judex werden einfach auf die Straße geklebt. Pro Jahr soll das 200 Quadratmeter große Modulfeld in Erftstadt 16 000 Kilowattstunden Strom erzeugen – genug, um vier Einfamilienhäuser zu versorgen. Über die Investition für die Teststrecke hüllt sich der Ingenieur in Schweigen. Geht die Produktion einmal in Serie, soll ein Quadratmeter 250 Euro kosten. In Erftstadt sieht man die Teststrecke als Leuchtturmprojekt. „Wir wollen zeigen, dass jede Kommune sauberen Strom produzieren kann, ohne das Landschaftsbild zu stören“, sagt Margret Leder, die Sprecherin der Stadt.

BELIEBT

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    Der Gründer des Unternehmens Solmove, Donald Müller-Judex.
    Der Gründer des Unternehmens Solmove, Donald Müller-Judex.
    Foto von Solmove

    Erste Stolpersteine sind überwunden: Wegen der schlechten Witterung und eines verspäteten Antrags konnte der Solarradweg erst drei Monate nach der Eröffnung ans Stromnetz angeschlossen werden.

    Während die Teststrecke in Erftstadt weiter auf Praxistauglichkeit geprüft wird, stehen die nächsten Projekte schon fest: Im Ruhrgebiet und in Köln sind Parkplätze geplant, es gibt Anfragen aus China und den USA. Für Autobahnen und Schnellstraßen sind die Solarfliesen eher nicht ausgelegt. „Die perfekten Orte sind kleine Anwohnerstraßen: nah beim Nutzer, wenig Verkehr und viel Licht“, sagt Müller-Judex. „Davon gibt es in Deutschland 50-mal mehr an Fläche als an Autobahnen – ein riesiges Potenzial.“

    Dieser Artikel stammt aus Heft 4/2019 des National Geographic-Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!

    Anmerkung der Redaktion: Bei Redaktionsschluss des Heftes war der Solarradweg in Erftstadt noch geöffnet und funktionstüchtig. Mittlerweile wurde die Teststrecke vorübergehend gesperrt, da Feuchtigkeit in die Kacheln eingedrungen ist und einen Kurzschluss verursacht hat. Donald Müller-Judex zeigt sich jedoch entspannt, solche Pannen seien bei einer Teststrecke eben zu erwarten. Er sei zuversichtlich, die Fehlerquelle bald zu finden und den Solarradweg wieder in Betrieb nehmen zu können.

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