"Spielecken reichen nicht"

Der Biologe Pierre Ibisch über effektiven Naturschutz, die Kunst des Verzichts und einen ganzheitlichen Ökosystemeinsatz.

Von Ines Bellinger
Veröffentlicht am 2. Apr. 2019, 12:23 MESZ
Das Grüne Band Thüringen ist der jüngste Zugang in der Schutzgebietskategorie Nationales Naturmonument. Dort finden auch ...
Das Grüne Band Thüringen ist der jüngste Zugang in der Schutzgebietskategorie Nationales Naturmonument. Dort finden auch Feuersalamander, die menschenleere Laubwälder mögen, einen Rückzugsort.
Foto von Nataliya Hora, Colour Box

Herr Ibisch, National Monuments wie in den USA gibt es seit Kurzem auch in Deutschland, hier heißen sie Nationale Naturmonumente. Wofür brauchen wir diese weitere Schutzgebietskategorie?

Nationale Naturmonumente können helfen zu reflektieren, wie unsere Kultur mit der Natur interagiert und von ihr abhängt, wie vielleicht auch wesentliche Momente unserer Geschichte mit natürlichen Stätten zu tun haben. Das Grüne Band Thüringen, das auf der ehemaligen innerdeutschen Grenze verläuft, ist ein herausragendes Beispiel dafür. Über die Naturschutzfunktion müsste man vielleicht noch mal im Detail reden.

Fast 40 Prozent der Fläche Deutschlands stehen unter Schutz. Gleichzeitig gilt etwa ein Drittel aller heimischen Tier- und Pflanzenarten als bedroht. Wie passt das zusammen?

Was die Quantität im Naturschutz betrifft, stehen wir ganz gut da, aber die Qualität ist ein Problem. Wir haben vor allem sehr viele kleine Schutzgebiete, die ohne jedes Management sind. Großflächige Schutzgebiete, vor allem Naturparks, wirken kaum auf die Art der Landnutzung und sind deshalb oft nicht effektiv.

Sie sagen, im Naturschutz gehe es nicht darum, besonders hübsche oder seltene Arten zu erhalten, sondern um funktionstüchtige Ökosysteme. Was bedeutet das?

Im bundesdeutschen Naturschutzgesetz sind beide Ziele verankert: der Erhalt der biologischen Vielfalt und die Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts. Das bedeutet, dass wir nicht über isolierte Maßnahmen wie ein Insektenschutzprogramm nachdenken sollten, sondern über einen ganzheitlichen Ansatz. Ökosysteme verrichten Arbeit, indem sie Energie aufnehmen, wandeln, speichern, durch die Interaktionen ihrer Arten funktionstüchtiger werden und Schäden reparieren. Im Grunde bringen sich Ökosysteme selbst bei, immer effzienter mit Stoffen, mit Energie, mit Wasser zu haushalten und in der Folge auch Resistenz und Resilienz auszubilden.

Was heißt das für uns Menschen?

Davon können wir lernen. Und wir müssen unsere Ökosysteme stärken. Es reicht nicht, Spielecken zu haben, wo man mal zwei, drei Arten erhält. Die ökologische Qualität muss sich in der gesamten Landschaft verbessern. Doch es gibt zu viele Hemmnisse.

Welche?

Ökosysteme stimmen in der Regel nicht mit den administrativen Grenzen von Schutzgebieten oder von Bundesländern überein. Erschwerend kommt hinzu, dass es im Naturschutz einen Flickenteppich von Zuständigkeiten gibt. Die einen kümmern sich um den Wald, die anderen ums Wasser, wieder andere um die Agrarlandschaft.

Gibt es Länder, die das besser machen?

Es ist ein wenig ernüchternd. Selbst Länder, in denen der Ökosystemansatz mitentwickelt wurde, wie Kanada, setzen ihn nicht um. Ganzheitliche Ansätze in Umweltgesetzen gibt es am ehesten in Ländern, die sich in der Umweltpolitik gerade erst aufstellen, in Peru zum Beispiel.

Die Dringlichkeit, natürliche Lebenssysteme zu erhalten, wird uns immer deutlicher vor Augen geführt. Wie erklären Sie sich, dass wir unser Wirtschaften dennoch so wenig daran ausrichten?

Die Einsicht, dass wir eine funktionierende Natur brauchen, ist da, und sie wächst – selbst bei Ökonomen. Die große Frage ist, wie es gelingen kann, Wachstum zu bremsen oder auch zu schrumpfen, und dabei glücklich zu bleiben. Schrumpfen ist schmerzhaft, darüber muss man ehrlich reden, weil man verzichten müsste auf Dinge, die einem lieb und teuer sind: Mobilität nach Belieben, Reisen, Konsum. Das macht dieses Konzept so wenig attraktiv.

Immer mehr Menschen scheinen das zu verstehen. Junge Leute gehen für Klimaschutz auf die Straße. In Bayern beteiligten sich viel mehr Menschen als erwartet an einem Volksbegehren zum Schutz der Bienen.

In der Demokratie kann es nur darüber funktionieren, dass Mehrheiten erreicht werden, die ihre Sorge um die Natur deutlicher machen. Dieses neue Denken, vor allem in den Köpfen der jungen Menschen, stimmt mich hoffnungsvoll. Unsere Studierenden sagen mir immer wieder, dass sie ihr Lebensziel anders definieren möchten, dass sie sich einschränken wollen, um die natürlichen Ressourcen zu erhalten.

Mehr als die Hälfte des Bundesgebietes wird landwirtschaftlich genutzt. Was müsste geschehen, wenn man da radikal rangehen würde im Sinne der Natur?

Wir brauchen eine kleinteiligere Agrarlandschaft mit einer größeren Vielfalt von Anbauprodukten, mit hinreichend Platz zwischen den Feldern, mit Raum für Ökosysteme, die für sich alleine arbeiten dürfen. Es fehlen Hecken zwischen Äckern, Gehölzinseln, Grünstreifen an Gewässern. Nicht bewirtschaftetes Land verbessert Wasserqualität, reduziert Windgeschwindigkeiten, kühlt – nichts brauchen wir mehr als das in der Landwirtschaft.

Es ist schwer vorstellbar, dass man dieses Rad zurückdrehen kann.


Angesichts des Klimawandels wird es langfristig dazu keine Alternative geben. Vielleicht helfen noch ein, zwei lange Hitzeperioden, diese Einsicht zu befördern. Im vergangenen Sommer waren es die ausgeräumten Agrarsteppen, die am schnellsten ausgetrocknet sind. Auch wachsende Landansprüche zur Produktion von Energie werden Folgen haben.

Inwiefern?

Denken Sie an die vielen Maisfelder für Biogasanlagen. Anstatt Ökosystemen mehr Raum und Ruhe zu geben, damit sie ihre Leistungsfähigkeit wiederherstellen können, bürden wir ihnen weitere Ansprüche auf, um die so wichtige Energiewende zu bestreiten. Das hat in den vergangenen zehn Jahren dazu beigetragen, dass die Probleme bei der Landnutzung beschleunigt wurden. Es ist natürlich nicht sehr willkommen, dieses Thema jetzt zu diskutieren. Gerade freuen wir uns, dass wir aus der Kohle ausgestiegen sind. Da kommt der Naturschutz und fordert den nächsten Ausstieg.

Prof. Dr. Pierre L. Ibisch lehrt Naturschutz an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Der Biologe sitzt im Vorstand der Deutschen Umweltstiftung und ist Mitautor einer Studie über straßenlose Räume.
Foto von Centre for Econics and Ecosystem Management

Die Bundesregierung arbeitet an einem Aktionsplan Schutzgebiete. Was sind die vorrangigsten Themen?


Ich würde mir wünschen, dass Biosphärenreservate erweitert werden, dass wir mutige, neue Schritte unternehmen. Die Unesco hat Biosphärenreservate nicht als Schutzgebiete im eigentlichen Sinne gedacht, sondern als Experimentierräume, wo systematischer als anderswo nach neuen Wegen zu einer nachhaltigen Entwicklung gesucht wird. Und das ist das, was wir wirklich brauchen. Es gibt Länder wie die Malediven, die erwägen, als gesamter Staat ein Biosphärenreservat zu werden. Das wäre grandios: Großlandschaften in Deutschland oder ganze Bundesländer zu solchen Biosphärenregionen zu erklären als Modellraum, in dem wir alles gründlich anders machen, nämlich mit einem ganzheitlichen Ökosystemansatz.

Dieses Interview stammt aus Heft 4/2019 den National Geographic-Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!

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