Mit den Bäumen stirbt auch das Leben

Den Sundarbans im Gangesdelta droht der Untergang. Raubbau und Klimawandel nagen am grössten Mangrovenwald der Welt.

Von Peter Schwartzstein
bilder von Arko Datto
Veröffentlicht am 28. Juni 2019, 00:49 MESZ
Sundabarans
Die Gezeitenfluten schneiden regelmäßig Teile der Insel Sagar ab. Sie liegt in einem Mündungsarm des Ganges.
Foto von Arko Datto

Als Leichenteile eines verstorbenen Freundes vor ihrer Eingangstür auftauchten, wusste Bulu Haldar, dass ihr Haus so gut wie verloren war.

Seit Wochen rechneten die Bewohner damit, dass der Damm, der East Dhangmari im Distrikt Khulna im Südwesten Bangladeschs geschützt hatte, im Fluss Pusur versinken würde. Erst hatte ein Unwetter die Betonschicht des Damms aufgerissen. Dann gab der Fluss dem porösen Erdwall den Rest. Die Bewohner hatten zwar Sandsäcke gestapelt, dennoch drang der Fluss in den Friedhof vor, spülte Skelette hoch und verseuchte die Trink­wasservorräte. Die Einzimmerhütte von Bulu Haldar füllte sich hüfttief mit schlam­migem, braunem Wasser. „Wir waren machtlos wie Kinder.“, sagt sie.

Haldar, eine Frau von etwa 50 Jahren, hatte die Katastrophe kommen sehen. Die Sundarbans – ein riesiger Mangrovenwald, der einst das Dorf umschloss – hatten sich zurückgezogen. Die Bäume sahen immer schmächtiger aus. Haldar bemerkte, wie das Wasser offensichtlich Stärke aus der Schwäche des Waldes bezog. „Die Bäume haben uns verteidigt, aber wir haben sie sehr schlecht behandelt“, sagt sie.

In Bangladesch und dem benachbarten indischen Bundesstaat Westbengalen gibt es Tausende von Dörfern wie East Dhangmari, Orte, die ihren natürlichen Abwehrwall verlieren. Die Landschaft ist eben, die Flüsse schwellen durch das Schmelzwasser des Himalaja an. Aus dem Golf von Bengalen ziehen Wirbelstürme heran, die Menschenleben fordern und Überflutungen verursachen.

Im Jahr 1998 setzte eine monströse Überschwemmung etwa 70 Prozent Bangladeshs unter Wasser. Dabei hatten die Bewohner in den Küstenregionen immer gedacht, sie könnten sich auf die Sundarbans verlassen, den größten zusammenhängenden Mangrovenwald der Welt.

Der dichte Sumpfwald erstreckt sich an der Grenze zwischen Indien und Bangladesch über rund 10 000 Quadratkilometer. Bislang waren Sturmfluten an ihm abgeprallt prallten wie an einer grünen Wand. Sie widersetzte sich auch schlimmsten Wirbelstürmen.

Für die Dorfbewohner war der Wald außerdem eine Quelle für Honig, und seine Gewässer liefern Fische. „Die Sundarbans sind unsere Mutter“, sagt Joydev Sardar, Sekretär des Fischereiverbandes in Harinagar in Bangladesch. „Sie schützt uns, ernährt uns und gibt uns Arbeit.“

Aber durch illegale Abholzung, vorwiegend zur Beschaffung von Baumaterial für die schnell wachsende Bevölkerung der Region, wurden die Ränder des Waldes stark ausgedünnt. Dazu kommt der steigende Salzgehalt des Wassers:  Stromaufwärts in Indien gelegene Staudämme vermindern den Süßwasserzufluss in die Sundarbans erheblich. Auf der anderen Seite schwemmt der vom Klimawandel verursachte Anstieg des Meeresspiegels immer mehr Salzwasser in die Mangroven. Das lässt viele hochwertige Baumarten, die Stürme bisher abgewehrt haben, absterben, darunter die Mangroven, die hier sundari genannt werden und denen der Wald seinen Namen verdankt.

„Der Salzgehalt steigt und steigt“, sagt Mashqus Salehin, Professor am Institut für Wasser- und Überschwemmungsmanagement der Universität Bangladesch. „Immer neue Gebiete versalzen. Sie werden unbewohnbar.“ Im schlimmsten Szenario des Klimawandels steigt dazu der Meeresspiegel allein in diesem Jahrhundert um etwa 1,80 Meter an. Dann werden 2 000 Quadratkilometer der Mangrovengebiete verschwinden.

Salehin und andere Wissenschaftler befürchten katastrophale Folgen: Wenn die verflochtenen Wurzeln der Mangroven das Land nicht stabilisieren, wird es vom Meer abgetragen. Wenig hilfreich sind auch die stromaufwärts gelegenen Staudämme. Sie halten die Sedimente der Flüsse fest. Früher haben diese das Schwemmland ständig erneuert. Die Dimensionen des Landverlusts zeigen sich an den Inseln im indischen Fluss Hugli. Sie liegen am westlichen Rand der Sundarbans-Region. Mindestens drei Inseln – Lohachahara, Suparibhanga und Bedford –, die vor hundert Jahren noch von Mangroven bedeckt waren, sind verschwunden.

In einigen Teilen der Sundarbans rückt das Meer jedes Jahr um etwa 180 Meter vor. „Die Menschen rund um die Sundarbans werden viel verlieren“, sagt Tuhin Ghosh, Dozent an der Jadavpur University in Kolkata. „Und es geschieht schon jetzt.“ Er ist überzeugt: Sogar Städte wie Kolkata und Dhaka, die in einiger Entfernung von den Mangroven liegen, würden irgendwann „Wirbelstürmen und Sturmfluten extremster Form ausgesetzt sein“.

Im Frühjahr 2018 schlug eine Krankheit, die sich bereits in manchen Regionen im Süden von Bangladesh ausgebreitet hatte, auch in den Sundarbans zu. Die Cholera, die bei höheren Temperaturen und im zunehmend salzigen Was­ser gedeiht, zog mit Macht in den Sümpfen ein.

Die Lage ist inzwischen dramatisch: „Fast alle meine Patienten sind wegen Krankheiten hier, die mit dem Wasser zu tun haben und früher nie auch nur annähernd so problematisch waren“, sagt der einheimische Arzt Shivapada Mondol.

Es wird immer schwieriger, in den Sundarbans zu leben. Inzwischen sind 1,5 Millionen Dorfbewohner von der Süd­küste in Bang­ladeschs Hauptstadt Dhaka gezogen. Nach Schätzungen der Weltbank könnten bis 2050 mehr als 13 Millionen Bangladescher – darunter die meisten Bewohner der Sundarbans – wegen der Klimakrise zu Flücht­lingen werden. Ähnlich beunruhigend sind die Vorhersagen in Westbengalen.

Die Behörden auf beiden Seiten der Grenze haben die Abholzung zwar mittlerweile im Griff. Vergehen werden streng bestraft. Neue Wirbelsturm-Schutzräume und mehr als 150000 Freiwillige, die vor größeren Unwettern im Einsatz sind, reduzierten in Bangladesch die Zahl der Todesopfer. Viele Bauern der Sundarbans haben wegen des Salzgehalts im Wasser erfolgreich von Reisanbau auf Garnelenzucht umgesattelt.

Andererseits: In Dhaka gab es kürzlich grünes Licht für den Bau eines großen Kohlekraftwerks am Rand der Sundarbans. Das könnte umweltschädlichen Industrieansiedlungen den Weg ebnen. China will im Brahmaputra- Becken weitere Staudämme errichten. Die Folge könnte sein, dass noch weniger Wasser und Sedimente im Gangesdelta ankommen.

„Schöner Wald“ heißt Sundarbans übersetzt. Doch was kommt, wenn diese Schönheit vergeht? Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Mangroven zu retten. „Die Sundarbans haben dieses Land hervorgebracht“, sagt Bulu Haldar. „Vielleicht werden die Sundarbans es auch wieder zerstören.“

Diese Reportage wurde gekürzt und bearbeitet. Lesen Sie den ganzen Text in Heft 7/2019 des National Geographic-Magazins.

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