Recycling-Innovation: Aus Windrädern werden nachhaltige Terrassendielen

Wohin mit Windrädern, die ausgemustert werden? Ein findiger Unternehmer fertigt daraus Terrassendielen, die ihrerseits wieder zehnmal recycelt werden können.

Von Iris Röll
Veröffentlicht am 11. März 2024, 15:58 MEZ
Windrad bei München

Wohin mit Windrädern, die ausgemustert werden? Ein findiger Unternehmer fertigt daraus Terrassendielen, die ihrerseits wieder zehnmal recycelt werden können.

Foto von Thomas Wojcik / Flickr.com

Wenn Holger Sasse mit seinen Schäferhunden auf den Feldern rund um Aschersleben spazieren geht, hat er die Zukunft der deutschen Energieversorgung vor Augen: einerseits Windräder, manchmal bis zum Horizont; andererseits Flügel alter Windkraftanlagen, die auf den Feldern zurückgelassen wurden. Nach etwa 20 Jahren werden Windräder in der Regel abgebaut. Ein Großteil des Materials kann heute recycelt werden – nur eben nicht die Rotorblätter. Um die 30 Meter lang ist so ein Flügel der jetzt ausgemusterten Generation, rund zehn Tonnen schwer und voller Kunstharze. „Immer wieder dachte ich mir: Die Dinger muss man doch sinnvoll weiterverwerten können“, sagt Ingenieur Sasse.

​Flügel für Holzelemente

Und „sinnvoll“ heißt für den Pionier der Kreislaufwirtschaft eben nicht: im Zementwerk verfeuern oder als Sandersatz beimischen, wie hierzulande meist praktiziert. Oder wie in den USA im Boden vergraben. Die Idee war für Sasse naheliegend: Kleingeschreddert und mit Holzspänen vermischt, sollten aus den alten Windradflügeln wetterfeste Terrassendielen werden. Denn der heute 65-Jährige hat schon 2005 ein Unternehmen für Holzwerkstoffe in Aschersleben in Sachsen-Anhalt gegründet. Er entwickelte ein patentiertes Verfahren, um Holzabfälle mit Polymeren zu vermischen und die heiße Masse schließlich bei rund 170 Grad durch eine Form zu pressen – ungefähr so wie in der Küche bei einem Spritzbeutel. Heraus kommen Holzelemente, die äußerst widerstandsfähig sind und damit Tropenhölzer ersetzen können: Terrassendielen, Balken, Fassaden- oder Zaunelemente.

Bislang bekam Sasse seine Kunststoffe aus der Industrie, wo sie schon ihr erstes Materialleben hinter sich hatten. Warum also nicht auch die alten Windradflügel verarbeiten? Der gelernte Bauingenieur tüftelte, bis er Terrassendielen mit 30 Prozent Windradanteil schaffte. Er richtete ein Labor ein, wo eine Probe der Flügel vorab analysiert wird. „Wir sind cradle-to-cradle-zertifiziert: Unsere Produkte sind komplett recycelbar, und wir verwenden keinerlei gesundheitsgefährdende Stoffe“, erklärt Sasse. Carbonfasern, die oft in Windrädern verbaut werden, fallen deshalb weg; Glasfasern können dagegen sehr gut in Terrassendielen wiedergeboren werden. Sasse baute eine eigene Fabrik für Glasfaserrecycling auf, wo er heute bis zu 43000 Tonnen Windradflügel jährlich verarbeiten könnte.

​Flügelabfall für die Kreislaufwirtschaft

„Leider sind es bislang nur rund 1000 Tonnen pro Jahr, was etwa 35 Windrädern entspricht“, sagt Sasse. „Die Windkraftunternehmer lassen die Rotorblätter lieber verfeuern, was sie nur halb so viel kostet wie das Recycling bei uns. Oder sie lassen sie mitunter gleich auf dem Acker herumliegen.“ Dabei rechnet das Umweltbundesamt bis 2030 mit jährlich 20000 Tonnen Flügelabfall und danach mit bis zu 50000 Tonnen. Was sich ändern müsste? „Wir bräuchten einen Bonus für Unternehmen, die umwelt- und klimagerecht handeln“, fordert Sasse. „Damit recyceltes Material mindestens genauso preiswert ist wie Neuware – sonst funktioniert Kreislaufwirtschaft nicht.“ 

Seine Firma bietet seit zwei Jahren die Terrassendielen auch zur Miete auf 20 Jahre an. „So wissen wir, wo unsere Dielen liegen, und können sie nach der Nutzung wieder als Rohstoff verwerten. Das funktioniert ungefähr zehnmal“, erklärt der Unternehmer. Sasse arbeitet inzwischen schon an weiteren Verwendungsmöglichkeiten für abgewrackte Rotorblätter: Untergestelle für Fotovoltaikanlagen gibt es schon als Prototypen. Demnächst soll das Material für Bahnschwellen getestet werden. „Dafür werden in Deutschland jedes Jahr 130000 Tonnen Eichenholz verbaut“, rechnet Sasse vor, „die wir dringender zur CO2-Speicherung brauchen.“

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Foto von National Geographic

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