Das Wetter – immer extremer?

Sintflutartige Starkregen, tödliche Hitzewellen, Tornados, die in Schwärmen auftreten – das Wetter hat sich weltweit gewandelt. Sind diese Ereignisse die Begleiter des Klimawandels? Was können wir tun, um uns zu schützen?

Von Peter Miller
Foto von Barcroft Media, Landov, Sean R. Harvey

Für Nashville, Tennessee, sind am Wochenende 50 bis 100 Liter Regen pro Quadratmeter vorhergesagt. Die Menschen sind also auf ungemütliches Wetter vorbereitet. Aber als am Samstag, 1. Mai 2010, bereits bis Mittag mehr als 150 Liter gefallen sind, wird die Lage bedrohlich. Und es schüttet weiter wie aus Kübeln.

Im Notfallzentrum der Stadt sieht Bürgermeister Karl Dean gerade erste Berichte von Überschwemmungen durch, da fällt sein Blick auf einen Fernsehschirm. Live wird übertragen, wie das Wasser von einem Zufluss des Cumberland River die Autobahn im Südosten der Stadt überflutet und an Autos und Lkw hochsteigt. Dann treibt auf dem Seitenstreifen eine Schule vorbei: die Lighthouse Christian School, ein zwölf Meter langes mobiles Gebäude. «Ein Haus rammt Autos», meldet der Nachrichtensprecher. Dean ist zwar schon seit Stunden in der Notfallzentrale, aber erst dieser Anblick macht ihm klar, was da draußen wirklich los ist. Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte machen sich mit Booten auf den Weg. Sie holen Familien von Hausdächern und Arbeiter aus überschwemmten Lagerhäusern.

Bis Samstagabend ist der Cumberland um vier Meter angestiegen, die Experten warnen, der Pegel könne sogar sieben Meter erreichen. Aber der Regen hört auch am Sonntag nicht auf. Erst am Montag erreicht der Fluss seinen Höchststand – noch einmal drei Meter über der vorhergesagten Scheitelhöhe, vier Meter über der Hochwassermarke. Die Überschwemmungen verursachen in der Innenstadt von Nashville Schäden in Höhe von zwei Milliarden Dollar. Elf Menschen kommen an diesem Wochenende in der überfluteten Stadt ums Leben.

Als am Montagmorgen die Sonne herauskommt, sind in manchen Teilen von Nashville mehr als 340 Liter Regen auf jeden Quadratmeter Boden gefallen. Den Rekord bis dahin hatte im Jahr 1979 der Hurrikan „Frederic“ aufgestellt – mit 167,5 Litern.

Brad Paisley, ein landesweit bekannter Country-Sänger und Gitarrist, hat in Lagerhäusern am Fluss sein gesamtes Tour-Equipment verloren: «Alle Verstärker, alle Gitarren, die große Videoanlage – alles hinüber.» Das Erlebnis hat ihn schockiert: «Ich dachte immer, Wetter ist Wetter, damit kann man umgehen. Aber seit dieser Überschwemmung halte ich alles für möglich. Niemals zuvor habe ich mich dem Wetter gegenüber so machtlos gefühlt.» Paisley ist damit weltweit in guter Gesellschaft.

Das Wetter hat sich verändert. Extreme wie das Hochwasser von Nashville – von Experten als Jahrtausendereignis eingestuft – kommen heute häufiger vor als früher. In Deutschland ist die Elbeflut von 2002 unvergessen: In Zinnwald im Erzgebirge hatte es binnen 24 Stunden 312 Liter geregnet, mehr als je zuvor gemessen worden war. Im Juli 2008 wurden Teile der Dortmunder Innenstadt verwüstet, als in nur vier Stunden mehr als 200 Liter Wasser pro Quadratmeter niederkamen. Einen Monat vor der Flut von Nashville entleerten sintflutartige Regengüsse in 24 Stunden 280 Liter Niederschlag über Rio de Janeiro; die vom Wasser ausgelösten Erdrutsche begruben Hunderte von Menschen unter sich. Drei Monate nach Nashville verursachten Rekordniederschläge in Pakistan Überschwemmungen, von denen mehr als 20 Millionen Menschen betroffen waren. Und erst Anfang Juli dieses Jahres verloren im Süden Russlands 170 Menschen bei extremen Niederschlägen von örtlich mehr als 230 Litern innerhalb eines Tages ihr Leben.

Aber nicht nur Starkregen macht Schlagzeilen. Nie gekannte Dürreperioden haben während der letzten zehn Jahre Texas, Australien , Russland und Ostafrika geplagt. Europaweit kamen 2003 in einer Hitzewelle nach neuesten Schätzungen bis zu 70.000 Menschen ums Leben. 2006 folgte in Deutschland der heißeste Juli seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die USA registrierten seit 2000 immer neue Tornado-Rekorde. Mit historischen Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen war das vergangene Jahr eine Zeit nie erlebter böser Überraschungen. «2011 wird in Erinnerung bleiben als ein Jahr der extremen Wetterphänomene, in den USA wie im Rest der Welt», sagt Kathryn Sullivan von der US-Behörde für Wetter- und Meeresforschung (NOAA). Sie stellte im Juli in Washington eine Studie vor, wonach 2011 das turbulenteste Wetterjahr der vergangenen drei Jahrzehnte war. Weltweit sind 2011 die wetterbedingten Schäden auf schätzungsweise 120 Milliarden Euro angestiegen, das sind 25 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Was ist da los? Sind das Anzeichen einer gefährlichen, von Menschen verursachten Veränderung des Weltklimas? Oder erleben wir einfach nur eine Serie schlechten Wetters? Die knappe Antwort: wahrscheinlich beides.

Die wichtigsten Ursachen für die Katastrophen der jüngeren Zeit waren natürliche Klimaphänomene, vor allem El Niño und La Niña, zwei wiederkehrende Strömungsereignisse im Pazifik. Während eines El Niño verlagert sich ein riesiger Warmwasservorrat aus dem mittleren Pazifik in östlicher Richtung bis nach Südamerika. Aus dem warmen Wasser steigen Wärme und Wasserdampf auf; die Folge sind kräftige, hoch reichende Gewitter. Sie beeinflussen das Wetter weit über die Tropen hinaus bis in die gemäßigten Breiten. Ein El Niño verursacht regenreiche Unwetter über der südlichen USA und Peru, hat aber in Australien Dürre und Buschbrände zur Folge.

El Niño wird meistens abgelöst von seiner kühlen Schwester, La Niña. Wenn sie dominiert, verändern sich die Luftströmungen so, dass der Regen Teile Australiens überflutet, während er im Südwesten der USA und in Texas ausbleibt. Selbst in noch weiter entfernten Regionen wie Ostafrika verstärken sich dann die Dürren.

Zwar sind solche Folgen nicht zwangsläufig, weil Atmosphäre und Ozean chaotische Wasserspeicher sind und zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort auch lokale Faktoren das Wetter mitbestimmen. Der tropische Pazifik hat allerdings großen Einfluss, denn er pumpt gewaltige Mengen von Wärme und Wasserdampf in die Atmosphäre. Deshalb schaffen starke El-Niño- oder La-Niña-Ereignisse auch anderswo die Voraussetzungen für Extremwetter. Sie allein können allerdings die Serie der Rekordkatastrophen aus den vergangenen Jah- ren nicht erklären. Etwas Neues ist hinzugekommen: Die Erde wird aufgeheizt, und der Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre steigt.

Jahrzehntelang erhobene Messdaten vieler tausend Wetterstationen, Satelliten, Schiffe, Bojen, Tiefseesonden und Ballons lassen inzwischen keinen seriösen Zweifel mehr daran, dass die von Menschen erzeugten Treibhausgase einen größeren Anteil der von der Sonne eingestrahlten Wärme in der Atmosphäre festhalten. Weltweit ist die Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche seit 1970 um ein halbes Grad angestiegen, deutlich stärker noch rund um die Pole, wo das Eis immer schneller abtaut.

Wärmere Ozeane geben mehr Wasserdampf in die Atmosphäre ab. «Wenn man die Herdplatte einschaltet, verdampft das Wasser im Topf schneller», erklärt Jay Gulledge, Wissenschaftler am Center for Climate and Energy Solutions (C2ES), einer privaten Denkfabrik in Virginia. Um vier Prozent hat die Wasserdampfmenge in der Atmosphäre allein in den vergangenen 25 Jahren zugenommen. Und je mehr Wasserdampf die Luft enthält, desto größer die Gefahr heftiger Niederschläge.

Bis Ende dieses Jahrhunderts könnte die Durchschnittstemperatur auf der Welt unserer Kinder und Enkel um 1,5 bis 4,5 Grad ansteigen, je nachdem, wie viel Öl, Gas und Kohle wir bis dahin noch verbrennen. Dann, so sagen Fachleute, wird sich das Wetter deutlich verändern. In Richtung der Pole wird es wärmer, viele Pflanzen und Tiere werden ihren bevorzugten Klimazonen folgen. Der tropische Regengürtel wird schon heute breiter. Die subtropischen Trockengebiete beiderseits des Äquators rücken nord- und südwärts und erreichen Gebiete wie den Südwesten Nordamerikas, Südaustralien und Südeuropa. Hohe Temperaturen und lange, intensive Dürreperioden werden hier wahrscheinlicher. Schon in diesem Sommer stöhnten die Menschen in Griechenland und Bulgarien über Temperaturen oberhalb der 40-Grad-Marke. Auch in den gemäßigten Breiten, in denen Deutschland liegt, werden sich die Muster von extremen Niederschlägen und heißen Tagen verstärken.

Zu den größten Unbekannten bei der Prognose des künftigen Wetters gehört das Nordpolarmeer. In den vergangenen Jahren hat es 40 Prozent seiner sommerlichen Eisdecke verloren. Die Herbsttemperaturen über dem jetzt offenen Meer sind um zwei bis fünf Grad angestiegen, weil das dunkle Wasser Sonnenlicht absorbiert – das früher dort vorhandene Eis hatte es in den Weltraum reflektiert. Neue Befunde legen nahe, dass sich durch die Erwärmung auch Windströmungen rund um die Pole verlagern. Das könnte erklären, warum es im Winter 2010/11 in Nordamerika so warm und in Europa so kalt war. Hier drangen Luftmassen aus Sibirien ungewöhnlich weit nach Westeuropa vor.

Am wenigsten können die Forscher heute noch darüber sagen, wie sich die Klimaerwärmung auf die Entwicklung einzelner Stürme auswirkt. Theoretisch sollte mehr Wasserdampf in der Atmosphäre auch mehr Wärme – und damit Energie – in Hurrikane, Taifune und ähnliche Wetterphänomene pumpen. Einigen Rechenmodellen zufolge könnte die durchschnittliche Stärke von Hurrikanen und Taifunen bis 2100 bis zu elf Prozent zunehmen. Die gleichen Modelle aber, die uns für die Zukunft stärkere Hurrikane prophezeien, sagen gleichzeitig, ihre Anzahl könnte abnehmen.

Völlig unklar ist das Bild noch bei den Tornados. Eine heißere, feuchtere Atmosphäre müsste eigentlich schwerere Gewitter begünstigen, sie könnte aber auch dazu führen, dass die Voraussetzungen für die Entstehung solcher Wirbelschläuche weniger gut sind. Zwar wird immer häufiger über Tornados berichtet – nicht nur in den USA, auch in Europa. Andererseits gab es noch nie so viele Menschen mit Handykameras, denen kein Wirbelsturm entgeht. Dass die Anzahl der schweren Tornados tatsächlich gestiegen wäre, ist nicht belegt. Und wenn auch das Frühjahr 2011 eine der schlimmsten Tornadophasen in der Geschichte der USA war, mit Monster-Wirbeln unter anderem in Alabama und Missouri: Die Wissenschaftler haben bisher weder die Daten noch die Theorien, mit denen sie einen Zusammenhang zur globalen Erwärmung herstellen könnten.

Bei anderen Extremen ist das jedoch eindeutig. Je wärmer die Atmosphäre, desto größer das Potenzial für Hitzewellen. Im Jahr 2010 wurden in 19 Staaten der Erde neue nationale Temperaturrekorde gemessen. Und natürlich steigt mit dem Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre die Regenmenge. «Ein Unwetter bringt heute mehr Niederschlag als vor 30 oder 40 Jahren», sagt Gerald Meehl, ein Wissenschaftler am staatlichen Zentrum für Atmosphärenforschung in Boulder, Colorado. Für ihn besteht kaum ein Zweifel, dass die Wahrscheinlichkeit extremer Wetterereignisse durch die globale Erwärmung größer geworden ist. «Sie können das mit einem hormongedopten Baseballspieler vergleichen», erklärt Meehl.

«Wenn er mit seinem Schläger den Ball gut trifft, kann man unmöglich sagen, ob ihm das in diesem speziellen Fall wegen der Hormone gelungen ist. Das Dopingmittel steigert allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass er den Ball öfter gut trifft.» Genauso, sagt Meehl, sei es mit dem Wetter: «Treibhausgase sind die Hormone des Klimasystems. Wenn man mehr Kohlendioxid einschleust, wird alles ein bisschen wärmer und die Wahrscheinlichkeit für Extremereignisse nimmt zu. Was früher selten vorkam, ist irgendwann weniger selten.»

In jüngster Zeit hat niemand häufiger „gedoptes“ Wetter erlebt als die Texaner. Zum Beispiel die Bewohner von Robert Lee, einer kleinen Ortschaft im Westen von Texas. 2011 mussten sie dabei zusehen, wie ihre Wasserversorgung versiegte. Wie viele weitere Speicherseen in der Region verlor auch ihr lokales Reservoir mehr als 99 Prozent seines Inhalts.

Im Januar begann die Gemeinde deshalb mit dem Bau einer 19 Kilometer langen Pipeline nach Bronte, einem Ort, der sein Wasser auch über Brunnen bezieht. «Wir hoffen, dass wir rechtzeitig fertig werden, ehe nichts mehr aus unseren Hähnen fließt», sagte im Mai der Bürgermeister John Jacobs, «aber es wird knapp.»

Von Oktober 2010 bis September 2011 fiel in Texas weniger Regen als in jeder anderen Zwölfmonatsperiode seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1895. Vielerorts sank der Wasserspiegel unter die Reichweite der Pumpen. Die Trockenheit lässt Weiden verdorren und zwingt manche Viehzuchtbetriebe, ihre Herden nach Norden zu transportieren, in grünere Landstriche. Allerdings sind es heute keine Cowboys, die auf Pferden die Rinder übers Land treiben. Arbeiter der „Four Sixes Ranch“ etwa verluden mehr als 4000 Angus-Rinder auf zweistöckige Lastwagen und fuhren sie zu gepachteten Weideflächen in Nebraska und im Norden von Montana.

«Es ist mehr als 100 Jahre her, dass die „Four Sixes Ranch“ zuletzt so etwas tun musste», erklärt der Betriebsleiter Joe Leathers. Damals verlegte die Ranch ihre Herden nach Oklahoma. Aber dieses Mal war die Dürre schlimmer. Im Juli vorigen Jahres ging der Ranch sogar das Wasser in den Tanks aus – kostbares Trinkwasser, mit dem man vertrocknete Tümpel auf den Weiden aufgefüllt hatte, damit die Rinder zu saufen hatten. «So etwas hat hier noch niemand jemals erlebt», sagt Leathers.

«Es war die ausgeprägteste einjährige Trockenheit aller Zeiten», bestätigt der amtliche Klimaexperte John Nielsen-Gammon. Hinzu kam, dass die Texaner 2011 unter dem heißesten Sommer ihrer Geschichte zu leiden hatten. In Dallas kletterte das Quecksilber an 71 Tagen auf mehr als 37 Grad Celsius.

Die Hauptursache, sagt Nielsen-Gammon, war La Niña. Die Abkühlung des Pazifiks bewirkte, dass die regenbringenden Gewitterstürme sich über den USA weit nach Norden verlagerten. Im Süden blieben die Niederschläge aus – in einem Band von Arizona im Westen über Texas bis hinüber nach North Carolina an der Ostküste. Aber ohne die globale Erwärmung hätte La Niña nicht so dramatische Folgen gehabt.

Sie war der Grund dafür, dass eine starke Hitzewelle nochmals verstärkt wurde. Den Mechanismus erklärt Nielsen-Gammon so: «Normalerweise wird ein großer Teil der einfallenden Sonnenenergie wieder noch oben abgegeben, wenn das Wasser aus dem Boden oder den Pflanzen verdunstet. Doch wenn kein Wasser zum Verdunsten mehr da ist, bleibt die Wärme im Boden und heizt anschließend die Luft auf. Bei den geringen Niederschlägen hätten wir voriges Jahr in Texas wahrscheinlich auch ohne den Klimawandel Rekordtemperaturen gehabt. Aber durch die globale Erwärmung ist wohl noch einmal ein Grad hinzugekommen.»

Dieses zusätzliche Grad erhöhte die Verdunstung und ließ das Land noch mehr austrocknen. «Während einer Dürre», sagt Nielsen-Gammon, «hat schon ein kleiner Anstieg große Auswirkungen.» Auf die Wälder wirkte das wie ein Schuss Benzin in offenes Feuer: Texas erlebte 2011 die schlimmste Waldbrandsaison seit Menschengedenken. Zusammen legten die Brände ein Gebiet größer als Schleswig-Holstein in Schutt und Asche – mehr als doppelt so viel wie im bis dahin schlimmsten Jahr.

Eines der teuersten Feuer brach im September 2011 südöstlich von Austin aus. Die dortigen Weihrauchkiefern waren trocken wie Zunder. Starker Wind fegte die Flammen über Wohnviertel am Stadtrand hinweg; 1685 Häuser brannten nieder. Die Feuerschneise war so scharf begrenzt, dass Besitzer verschonter Gebäude nur ungläubig den Kopf schüttelten.

So erging es Paige und Ray Shelton. Als sie hinausfuhren, um nach ihrem Anwesen an der Grenze des Staatsforstes zu sehen, war die Sägemühle, die Ray betrieb, nur noch ein Haufen Asche, und auch Paiges Keramikwerkstatt war bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Ihr Bungalow stand aber noch. Dann ging Ray Shelton hinüber zum Hühnerstall. Rundherum waren die Bäume schwarz. Shelton befürchtete das Schlimmste, aber «als ich näher kam, streckte der Hahn seinen Kopf heraus und krähte. Ich konnte es einfach nicht glauben». Die Flammen hatten sich dem Stall bis auf wenige Zentimeter genähert, aber aus irgendeinem Grund hatten die Wände aus dem Holz des Virginischen Wacholders kein Feuer gefangen, und die Vögel – fünf Hennen und 18 Tauben – hatten Hitze und Rauch überlebt, ein kleines Wunder inmitten der großen Zerstörung.

Ähnlich verheerend wüteten Waldbrände im selben Sommer auf der anderen Seite der Welt, in Russland. Im Juni teilte das Zivilschutzministerium mit, mehr als 6000 Quadratkilometer Wald und Moor stünden in Flammen – nahezu dreimal so viel wie zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr. Seit Winterende seien «11060 Brandherde entstanden» – nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Novosti eine Folge der extremen Dürre im Sommer und Frühherbst 2010. Die Wald- und Torfbrände trafen 199 Ortschaften, 62 Menschen kamen ums Leben, 3200 Häuser wurden durch Brände zerstört. Der Gesamtschaden belief sich bis zum Ende des Sommers auf mehr als 12 Milliarden Rubel (300 Millionen Euro). Im Oktober kam es dann zu einer zweiten Waldbrandwelle, der weitere 30 Quadratkilometer Wald zum Opfer fielen.

Die steigenden Schäden durch Naturkatastrophen lassen sich allerdings nur zum Teil auf das Wetter zurückführen. Eine andere Ursache ist, dass immer mehr Menschen in katastrophenträchtigen Regionen leben. In Texas, Arizona und Kalifornien werden Wohnsiedlungen in Waldgebieten gebaut, an den Küsten von Florida, North Carolina und Maryland sind immer mehr Strandvillen und Hotels den Hurrikanen ausgesetzt. An den Rändern großer Städte in boomenden Ländern wie Brasilien und Indien sind neue Wohnbezirke von Erdrutschen nach Starkregen bedroht, und auch in den schnell wachsenden Riesenstädten der Entwicklungsländer in Asien und Afrika siedeln Millionen Menschen, ständig gefährdet durch Hitzewellen und Überschwemmungen.

Aber statt sich auf die absehbaren Folgen des Klimawandel vorzubereiten, hangeln sich die Verantwortlichen ohne große Voraussicht von Katastrophe zu Katastrophe. «Um es brutal zu formulieren: Wenn es darum geht, uns auf die kommenden Desaster einzustellen, machen wir unsere Sache verdammt schlecht», sagt der Klimaforscher Michael Oppenheimer, Mitverfasser eines kürzlich erschienenen Berichts des Weltklimarates IPCC über Extremwetter.

Die Versicherungsbranche jedenfalls ist alarmiert. Extremwetterereignisse haben 2011 zum Jahr mit den bisher höchsten Schäden aus Naturkatastrophen gemacht. Weltweit summierten sich die Schäden – ohne Erdbeben und Tsunamis – auf mehr als 100 Milliarden Euro, bilanzierte die Münchener Rückversicherung im Januar. «Ob das nun die „neue Normalität“ ist oder nicht, die Versicherungsbranche erkennt bei den Schäden eine außergewöhnliche Gesetzmäßigkeit», sagt Frank Nutter von der Gemeinschaft Amerikanischer Rückversicherer.

In Florida, wo Hurrikane, Waldbrände und Dürre für die Versicherer gewaltige Risiken mit sich bringen, vergeben manche etablierte Assekuranzen überhaupt keine neuen Policen mehr. In die Lücken rücken kleine neue Unternehmen ein, und die Regierung gründete 2002 eigens die „Citizens Property Insurance Corporation“, die mittlerweile zum größten Anbieter für Gebäudeversicherungen in Florida geworden ist.

Ob das neue System aber tatsächlich über ausreichende Mittel verfügt, um ein großes Unwetter finanziell absichern zu können, ist offen. Der Testfall könnte eintreten, wenn wieder ein- mal ein Unwetter wie Hurrikan „Andrew“ tobt: Der hatte 1992 Schäden von umgerechnet 20 Milliarden Dollar verursacht.

Anderswo haben Regierungen erste Schritte unternommen, um sich auf Extremwetter besser vorzubereiten. Nach der Hitze des Sommer 2003 in Europa bauten französische Städte klimatisierte Aufenthaltsräume, und man registrierte ältere Menschen, um sie im Notfall dorthin zu bringen. Als Frankreich 2006 erneut von einer Hitzewelle heimgesucht wurde, lag die Anzahl der Todesfälle dort um zwei Drittel niedriger. In Deutschland richtete der Deutsche Wetterdienst ein Hitzewarnsystem ein, das Kommunen und Krankenhäuser automatisch informiert, wenn sich eine Phase bedrohlich heißer Tage abzeichnet.

Auch in Bangladesch entwickelte die Regierung ein Frühwarnsystem und baute Betonunterstände für evakuierte Familien. Deswegen kommen dort durch Wirbelstürme inzwischen deutlich weniger Menschen ums Leben.

Man könnte die Risiken weiter verringern: mit Nutzpflanzen, die eine Dürre besser über- stehen, mit Gebäuden, die Überschwemmungen und Stürmen standhalten, mit einer Politik, die Menschen davon abhält, an gefährdeten Orten zu bauen – und natürlich, indem wir weniger Treibhausgase erzeugen.

«Wir wissen doch, dass durch die Erwärmung der Erdoberfläche mehr Wasserdampf in die Atmosphäre gelangt», sagt der Klimaforscher Jay Gulledge. Deshalb entwickelt sich die Wahrscheinlichkeit für Extremwetter nur in eine Richtung: aufwärts. «Diese Realität», ergänzt Michael Oppenheimer, «müssen wir akzeptieren.» Und dann alles tun, was möglich ist, um Menschenleben zu retten und Schäden zu vermeiden. «Es wäre falsch, einfach nur abzuwarten, was passiert.»

(NG, Heft 09 / 2012, Seite(n) 38 bis 57)

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