Die Zukunft der Mobilität
Werden wir in Zukunft so unterwegs sein? Wie sehen unsere Städte dann aus? Ein Report über die Mobilität von morgen.
Wollen Sie wissen, wie es sein wird, wenn Sie demnächst Ihr Elektroauto fahren? Oder ein Auto, das „autonom“ fährt? Und warum «in zehn Jahren das Smartphone das wichtigste Verkehrsmittel sein wird»?
Sicher, wenn eintreffen soll, was Martin Huber, der Leiter des Verkehrsamts in Hamburg, über das Smartphone voraussagt, haben die Entwickler sogenannter Mobilitäts-Apps noch gut zu tun. Solche Apps sollen bald in jeder Stadt wahlweise die schnellste, sauberste oder günstigste Verbindung zwischen zwei Orten angeben. Mit den geringsten Wartezeiten beim Umsteigen zwischen Bus und Bahn. Mit Leihmöglichkeiten von Auto oder Fahrrad, Gehzeiten zu Fuß oder Kosten fürs Taxi, das auch gleich geordert werden kann. Es gibt solche Programme bereits, aber halten sie, was sie versprechen?
Ich stehe am Hauptbahnhof in Stuttgart und lade die kostenlose App „Moovel“ auf mein Smartphone. Sie soll mir die Verbindungen zum Daimler-Forschungszentrum in Sindelfingen zeigen. Welche Kombination von U- und S-Bahn samt kurzer Gehstrecken mich am schnellsten ans Ziel bringt, zeigt sie sofort. Doch wenn ich einen Leihwagen buchen wollte, müsste „Moovel“ passen. Und das in einem Zentrum des Carsharing: Car2go betreibt in Stuttgart die größte Flotte von Elektro-Smarts in Deutschland. Seltsam: „Moovel“ wie auch Car2go sind doch beide Angebote des Hauses Daimler.
Ein paar Tage später in Berlin bietet mir die gleiche App dann nur noch die hauseigenen Leihwagen an – direkt vor einer U-Bahn-Station. Ein Rad zu leihen, was hier an fast jeder Ecke möglich ist, das kennt „Moovel“ gar nicht.
Da sind die apps „mainguide“ in Frankfurt und „switchh“ in Hamburg weiter. Sie vernetzen alle Angebote von Bus und Bahn, von (Leih-)Auto, Fahrrad und Fußweg. In Hamburg sind die Fahrpläne der Elbfähren integriert, das Angebot, die auffälligen roten Stadträder in die Streckenplanung aufzunehmen, ist aber eher etwas für besonders Mutige: Es gibt kaum Radwege, die diesen Namen verdienen. Aber die zehn Jahre, von denen Huber spricht, reichen womöglich, um hanseatische Gedankenspiele – Schnellstraßen für Radler, geeignet für Elektroräder und Tempo 30 – Wirklichkeit werden zu lassen. Und natürlich, um die mobilen Verkehrsmanager wirklich alltagstauglich zu machen.
«Vollständige Information müssen sie bieten, zuverlässig und einfach zu bedienen sein», sagt Klaus Beckmann, der Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik (DifU) in Berlin. Hier macht man sich Gedanken darüber, was die Städte tun können, um die Mobilität von morgen zu organisieren. Abzusehen ist schon heute: In den Ballungszentren wird sich bald ein neuer Mix von Verkehrssystemen durchsetzen. Steigende Spritpreise, Verknappung und Verteuerung der Parkplätze, Straßenmaut sowie eine Verschärfung der Abgaswerte machen es zunehmend unattraktiv, mit dem eigenen Auto in die Stadt zu fahren. «Arbeitgeber mit Weitsicht fangen bereits an, mehr Stellplätze und auch Lademöglichkeiten für E-Bikes anzubieten», sagt Beckmann. « Künftig werden die Menschen ihre Fortbewegungsmittel flexibel kombinieren.» Er zählt die Schlagworte auf:
• micromodal – es werden mehr Zweiräder, vor allem E-Bikes und Elektroroller genutzt;
• intermodal – die Menschen wechseln täglich mehrmals das Verkehrsmittel, nutzen Bus und Bahn, Leihauto und Mietrad;
• multimodal – man wählt sein Verkehrsmittel situationsbedingt: Wer heute Bahn und Rad kombiniert, bucht morgen einen Leihwagen, weil er abends ins Theater will.
Beckmann weiß auch, woran es noch hapert: «Suchen, buchen und abbuchen darf nie mehr als ein paar Klicks in Anspruch nehmen.»
Gefordert sind vor allem Kommunen. Neue Vorgaben zur Begrenzung von Lärm, Abgasen und Feinstaub werden Autos mit Verbrennungsmotor unaufhaltsam verdrängen. Zur Verbesserung der Luftqualität haben Städte und Gemeinden in der EU bereits 300 Umweltzonen eingerichtet (oder bereiten sie vor), in Deutschland gibt es in elf von 16 Bundesländern Zufahrtsbeschränkungen für Autos ohne grüne Plakette. Die EU-Kommission fordert europaweit CO2freie Mobilität: 2050 sollen Autos mit Verbrennungsmotor überhaupt nicht mehr in die Innenstädte hineinfahren dürfen.
Stellplätze am Stadtrand für Benziner sind heute keine Seltenheit mehr. Von dort bringen abgasfreie Brennstoffzellen oder Elektrobusse Pendler in die City. E-Busse werden sich bald über Induktionsstationen an den Haltestellen mit Strom versorgen – oder demnächst auf eigenen Induktionsspuren fahren.
Da viele Menschen zwar vom Landleben träumen, aber zum Wohnen doch in die Städte drängen – Experten sprechen von „ReUrbanisierung“ –, werden die Bahnen im Minutentakt verkehren, fahrerlos und ferngesteuert. Dass das funktioniert, zeigt Nürnberg: 2008 wurde hier die erste fahrerlose Linie in Betrieb genommen. Das System, entwickelt von Siemens, wird mittlerweile auch in Barcelona, Budapest, Sao Paulo und Paris eingesetzt. In Zeiten weltumspannender Satellitennavigation könnten prinzipiell auch Güterzüge und Fernverkehr auf Zugführer verzichten: «Eigentlich alles, was auf Schienen fährt», gibt Beckmann mir zum Abschied mit auf den Weg. Gut für Städte wie Wolfsburg und Göttingen: Letzthin kam es mehrmals vor, dass ein ICE-Zugführer dort zu halten vergaß. Ferngesteuert wäre das wohl nicht passiert.
Nun ja, an Berlin ist bisher noch kein Zug ungeplant vorbeigerauscht, und für meinen Rückweg vom DifU zum Bahnhof könnte ich vor dem Institut aus einem halben Dutzend weißblauer Smarts der Car2go-Flotte auswählen.
Vor ein, zwei Jahren war das noch nicht so. Es belegt, was selbst Daimler-Chef Dieter Zetsche vor einiger Zeit eingestand: «In der Stadt braucht man nicht zwingend ein eigenes Auto.»
Mal abgesehen von der schrumpfenden Kaste orthodoxer Fossil-Fetischisten in schwarzen, sprit und raumverschlingenden Pseudo-Geländemobilen, die bei Aldi vorfahren, als hätten sie die Wüste Gobi durchquert: Wer ständig im Stau steht und viertelstundenlang einen Parkplatz sucht, fragt sich immer häufiger: «Wieso soll ich für ein Auto, das ich nur wenige Stunden pro Woche nutze, 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr zahlen? Wenn ich am Straßenrand eines buchen kann. Eines, das ich nach der Benutzung abstellen und vergessen kann.»
Schon bieten in Deutschland 110 Carsharing-Unternehmen in 305 Städten mehr als 7000 Fahrzeuge an, vom Smart bis zum Van. Anders als bei klassischen Mietwagenfirmen flottieren die Fahrzeuge der Carsharer frei im Stadtgebiet, die Nutzung wird minutenweise abgerechnet.
Das steigende Interesse, ein Auto nicht mehr zu besitzen, sondern zu benutzen, haben auch die großen Hersteller erkannt. Mercedes und BMW waren zwar nicht die ersten, setzten sich aber rasch an die Spitze des Trends: Jetzt verkaufen sie nicht nur Autos, sondern eben auch Mobilität. Car2go von Daimler will Ende dieses Jahres, nur vier Jahre nach seiner Gründung 2009, weltweit mehr als 10.000 Smarts auf den Straßen und rund eine halbe Million regelmäßiger Nutzer haben. In Deutschland sind es bislang 3000 Fahrzeuge, davon 1000 Elektro-Smarts. DriveNow von BMW hat es seit 2011 allein in den Großstädten Berlin und München auf mehr als 100.000 Kunden gebracht.
Viele Städte unterstützen das Konzept, denn sie haben erkannt: Wer regelmäßig ein Leihauto nutzt, schafft das eigene ab, und jedes Auto, um das die Carsharing-Flotte wächst, ersetzt zehn Privatwagen auf den Straßen. Beim Carsharing zeichnet sich auch ab, welche Entwicklung den Automarkt künftig am stärksten prägen wird: der Wechsel zur Elektromobilität.
In Stuttgart besteht das gesamte Car2go-Angebot aus sogenannten „Stromern“, DriveNow erweitert seine Flotte kontinuierlich um Elektrofahrzeuge. Der Durchbruch steht aber noch aus, trotz politischer Fürsprecher auf höchster Ebene: 2020, so hat es Bundeskanzlerin Angela Merkel gefordert, sollen mehr als eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen fahren. Derzeit sind es – wohlwollend geschätzt – 8000.
Zur „Klimakanzlerin“, die sich gern mal vor schmelzendem Grönlandeis fotografieren lässt, passt die Forderung, immerhin erzeugen mit Benzin und Diesel fahrende Autos, Busse und Lkw in Europa 71 Prozent aller verkehrsbedingten CO2-Emissionen. Der Wechsel zur Elektromobilität soll beitragen, den Klimawandel zu verlangsamen und den Anstieg des Meeresspiegels zu bremsen.
Andererseits praktiziert Merkel orwellsches „Zwiedenk“, wenn sie, wie diesen Sommer geschehen, alle Bemühungen ausbremst, europaweit die Abgasgrenzwerte zu senken. Weil die Autolobby ihr einredet, dies schade den Interessen der deutschen Nobelmarken. Die würden auch gern jedes verkaufte Elektroauto 2,5-fach in die CO2-Bilanz ihrer Flotten einrechnen dürfen. Das senkt rechnerisch – nicht faktisch – ihren Anteil an der Emission von Treibhausgasen. Und gibt ihnen die Gelegenheit, fossil betriebene Autos noch länger abzusetzen. Tatsächlich sind sie jedoch längst dabei, die Ära der E-Autos einzuläuten. Denn zwei Faktoren können sie nicht ignorieren: den Preis des Fahrens und die künftige Kundschaft.
Schon heute kann man elektrisch für nur drei Euro Stromkosten 100 Kilometer weit fahren. Ein mittelgroßer Benziner verbrennt für die gleiche Strecke 12 bis 15 Euro – und mit knapper werdendem Öl bald deutlich mehr. Dann kann niemand mehr die bislang höheren Anschaffungskosten für ein Elektroauto ins Feld führen, zumal die Batteriepreise bald sinken werden.
Der zweite Grund heißt China. Das ist der Milliardenmarkt, in dem alle verkaufen wollen. Wan Gang, der chinesische Forschungsminister, besuchte kürzlich eine Konferenz in Berlin zum Thema Elektroautos: «Ein Mann», wie danach zu lesen war, «der weiß, wie es ist, in Millionenstädten zu leben, in denen die Sonne nicht mehr durch den dicken Smog-Nebel bricht. ‹Das Elektroauto ist ein Muss›, sagte Wan Gang. ‹Es gibt keinen anderen Weg.›» Als ob er die Studie des Braunschweiger Mobilitätsexperten Stefan Rammler kennen würde, der zu dem Schluss kommt: «Die fossil befeuerte Raumüberwindung ist eine historische Episode, die gerade zu Ende geht.»
Video: Interview mit Stephan Rammler
So trägt Chinas Weckruf dazu bei, die Elektromobilität aus der Nische zu holen, in der sich bislang so putzige Kleinwagen tummeln wie Twizy und Zoe (Renault), Leaf (Nissan) oder i-Miev (Mitsubishi innovative Electric Vehicle). Wirklich großes Interesse hat aber erst in diesen Tagen BMW geweckt. Als erster deutscher Premiumhersteller traut sich das Unternehmen mit einem elektrischen Serienmodell auf den Markt. Der i3 wird ab November zu kaufen sein, doch schon sollen sich 100.000 Neugierige für eine Probefahrt angemeldet haben. Obwohl der i3 doppelt so teuer ist wie ein konventioneller Mittelklassewagen – auch wegen seiner einzigartigen Kohlefaserkarosserie.
Wie sich so ein Wagen fährt, konnte ich mitten im Leipziger Berufsverkehr in einem Vorläufermodell testen. Ein paar Minuten lang irritiert es schon: Keine Schaltung, keine Kupplung, und eigentlich brauche ich auch die Bremse nicht. Man kann ein Elektroauto nur mit dem Strompedal fahren. Einmal durchdrücken, und ich lasse an der Ampel jeden Benziner stehen. Ich lupfe den Fuß, und das Auto verlangsamt, die Bremsenergie fließt zurück in die Batterie. Zu hören ist: nichts. Das könnte im Stadtverkehr noch ein Problem werden, denn Fußgänger oder Radfahrer, denen ich mich von hinten nähere, hören ebenfalls nichts. Da sind Geräuschdesigner gefragt, das Auto auf angenehme Weise wahrnehmbar zu machen.
160 Kilometer weit soll eine Batterieladung reichen. Die meisten Menschen fahren ohnehin täglich nicht mehr als 30 oder 40 Kilometer. In der Regel wird die von BMW auf Wunsch mitgelieferte Schnellladestation garantieren, dass der Wagen stets einsatzbereit ist. Man kann sie sogar über Fotovoltaikzellen speisen lassen oder einen Vertrag für die Lieferung von CO2-freiem Ökostrom abschließen. Parallel lässt BMW landesweit 4 600 Ladesäulen aufstellen, die binnen 30 Minuten – die Zeit einer Kaffeepause – die Batterie zu 80 Prozent aufladen.
Letzte Bedenken könnte ein neuer Batterietyp zerstreuen. Daran arbeiten Ingenieure der Universität Münster und des Elektronikkonzerns IBM. Lithium-Luft-Akkumulatoren heißen die Zauberspeicher, die künftig die heute üblichen Lithium-Ionen-Batterien ablösen und die elektrische Reichweite verdreifachen könnten.
Schöne neue Welt der Mobilität, zu der ein weiterer Großer seinen Beitrag leisten will, allerdings auf andere Art. Bei Daimler ist man dabei, den Fahrer zum Passagier zu machen. Die Autos der nächsten Generation sollen alles, was heute der Lenker macht, selber tun – reaktionssicherer, schneller und energiesparender.
Dass ich nun vor den Toren des Forschungszentrums in Sindelfingen stehe, habe ich allerdings nicht der Mobilitäts-App „Moovel“ zu verdanken, sondern dem Fahrdienst von Mercedes. Anders hätte ich auch keine Chance, auf das abgeschirmte Gelände zu gelangen.
Im Entwicklungszentrum mit den Fahrsimulatoren soll ich auf das „autonome“ Fahren vorbereitet werden. Das „autonome Auto“ kann dank sechs Kameras Verkehrszeichen und sogar Schilderkombinationen richtig interpretieren, erkennt Tempobegrenzungen und reagiert darauf, ohne dass der Fahrer etwas tun muss. Mithilfe von Radarsensoren überholt es auf der Autobahn und schert wieder ein, wenn die Straße zweispurig ist; bei drei Spuren bleibt es in der Mitte. Im Stau orientiert es sich am nächsten Heck, bremst und beschleunigt, ohne dass ein Fuß ein Pedal berührt. Eine Stereokamera erfasst Bewegungen im Raum und erkennt Gefahren durch Querverkehr oder Fußgänger. Die Botschaft: «Dein Auto kann es besser.»
Zunächst darf ich mich im Fahrsimulator mit dem Gefühl vertraut machen, dem Auto die Kontrolle zu überlassen. Aber wird das auch im wirklichen Verkehr klappen?
Mein Begleiter auf der Autobahn ist Jens Desen, ein Mann, für den die Gegenwart schon Vergangenheit ist. Die Autos um uns sind für ihn bereits Technikgeschichte. Seine Gegenwart ist die nächste und übernächste Autogeneration. In so einem Pioniermodell sitzen wir nun. Die Monitore im Armaturenbrett zeigen blaue, grüne, rosa Symbole für andere Fahrzeuge, für Spurstreifen, für seitliche Hindernisse. Ich kann verfolgen, warum und wie unser Mercedes im autonomen Modus agiert. Warum er etwa den Blinker setzt, um einen Lkw zu überholen, dann aber doch auf der rechten Spur bleibt. Weil sich von hinten ein anderer Wagen mit deutlich höherem Tempo nähert. Erst als er vorbei ist, zieht unser Wagen raus und setzt sich vor den Laster. Alles, ohne dass Desens Hand das Lenkrad oder sein Fuß ein Pedal berührt hätte.
Inzwischen sitzt er selber auf dem Fahrersitz. Es regnet, und er vertraut zwar dem Auto, aber nicht mir. Wahrscheinlich zu Recht. Das merke ich, als wir kurz vor dem Stuttgarter Flughafen mit Tempo 120 in einen Wolkenbruch rauschen. In der aufspritzenden Gischt kann ich für kurze Zeit die Straße nicht mehr erkennen. Ist da einer vor uns? Bremst der? Auch die Kameras haben keine eindeutigen Informationen. Der Fahrassistent ist hilflos – und signalisiert auf dem Monitor sinngemäß: «Ich übergebe, fahr du wieder.» Desen übernimmt gelassen die Kontrolle. «So soll es sein, so ist er programmiert.»
«Und wann», frage ich, «werden Fahrschulen überflüssig? Weil das Auto alleine fährt?»
Das geht Desen nun doch zu schnell: «Das autonome Fahren kommt», sagt er, «aber es wird noch lange alle Systeme nebeneinander geben. Autos, die kommunizieren, und solche, die nicht kommunizieren. Solche ohne externe Informationen und Assistenzsysteme und solche, die vernetzt sind und autonom reagieren können. Die fortschrittlichen Autos werden Rücksicht nehmen müssen auf die alten.» Dann fügt er hinzu: «Kann aber gut sein, dass man den Führerschein demnächst nicht mehr in der Fahrschule macht, sondern zu Hause. Im 3-D-Fahrsimulator am Computer.»
Noch gilt freilich eine internationale Vorschrift, das „Wiener Übereinkommen für den Straßenverkehr“ von 1968. Danach muss „jedes Vehikel einen Fahrer haben, «der sein Fahrzeug beherrscht». Daimler ist, wie alle großen Autokonzerne, an Verhandlungen beteiligt, die diese Regel aufheben sollen.
Auch die Konkurrenz treibt diese Form der Mobilität voran. Am zurückhaltendsten gibt sich BMW. Dort spricht man lieber vom «hochautomatisierten Fahren», das «einen großen Beitrag leisten wird, der unfallfreien Mobilität ein Stück näher zu kommen. Wir möchten jedoch nicht das Selbststeuern des Fahrers verdrängen. Wir möchten ihn entlasten».
Bei VW und Audi sieht man die autonome Mobilität dagegen durchaus als Modell für die Stadt der Zukunft. Wolfgang Müller-Pietralla ist als Zukunftsforscher bei VW zuständig für den „Trendtransfer“. Er sagt über die neuen Autos: «Sie werden sich über Apps mit Menschen, anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur vernetzen. Durch die Kommunikation zwischen Fahrzeugen mit Infrastrukturen, Ampeln und Baustellen wird der Verkehr flüssiger und sicherer. Als persönlicher Chauffeur übernimmt das Auto die Fahrt zur Arbeit und schafft Freiraum für andere, individuelle Zeitnutzung.» Für machbar hält er «die Vision einer Stadt, in der ein Schwarm intelligenter, pilotierter Fahrzeuge als „Personal Rapid Transit“-System fährt.»
Ähnlich äußert sich Albrecht Trautzburg von Audi: «Das Automobil für Städte wird vermutlich schwarmintelligent navigieren, im permanenten Datenaustausch mit anderen Fahrzeugen sowie smarten Infrastrukturen und Gebäuden. Die klassische Mobilität wird aber weiterhin ihre Märkte haben. Besonders in ländlichen Regionen und im Umfeld der Städte.»
Diese Einschätzung bestätigt ein Experiment, das in diesem Sommer zu Ende gegangen ist, das Forschungsprojekt „simTD“ (für: „Sichere Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland“). Dabei wurde in Hessen auf öffentlichen Straßen erprobt, wie Autos untereinander und mit ihrer Umgebung Informationen austauschen, Hindernisse wahrnehmen, Gefahren erkennen, Signale aussenden, Verkehrszeichen und Ampeln steuern, Fahrtrouten anpassen. Das Ergebnis, kurz gefasst: Das System ist praxistauglich.
Was in den Städten wahrscheinlich schneller Folgen haben wird als auf dem Land. Denn in erster Linie ist die künftige Mobilität ein Thema der Städte. Dafür sprechen zwei Trends. Der überall auf der Welt anhaltende Drang in die urbanen Zentren. Und die Demografie.
Schon heute leben zwei Drittel aller Einwohner Deutschlands in Städten. Im Jahr 2050 werden es drei Viertel sein. Es sind vor allem die Älteren, die in die Zentren zurückziehen. «Weil die Wege kürzer sind und man sie ohne eigenes Auto bewältigen kann. Weil die Versorgung besser ist. Und weil Städte die Knoten für Fernreisen mit der Bahn und elektrischen Überlandbussen sein werden», sagt Joachim Scheiner, ein Raumplaner in Dortmund. Die Ära billiger Fernreisen per Flugzeug dagegen werde mit dem Ende des Öls ihre Grenzen finden.
Mit höherem Alter ihrer Bewohner werden die Städte komfortabler, grüner, leiser. Elektroautos und -busse, E-Bikes und -Roller warnen Fußgänger dezent, mit wenigen Ausnahmen gilt Tempo 30. Viele Autos, Taxis und Busse fahren autonom, aber das ist erst der Einstieg in die „intelligente Stadt“. Zukunftsforscher haben da- für den Begriff „Carchitecture“ erfunden, die Vernetzung von Auto und Architektur.
Wie die aussehen könnte, schilderte der für Daimler arbeitende Designer Holger Hutzenlaub bei einem Kongress in Berlin: «Fahrzeuge werden zu Datenknotenpunkten, die kontinuierlich Daten aus ihrer Umgebung aufnehmen, verarbeiten und selbst Informationen beisteuern. Autos werden zu eigenständig handelnden Robotern. Das parkende Fahrzeug signalisiert Kindern, die die Straße überqueren wollen, ob die Fahrbahn frei ist. Oder weist solchen, die sich verlaufen haben, den Rückweg. Es kann Signale an die Infrastruktur senden, um beim Überqueren der Straße den Verkehr zu verlangsamen. Bei Bedarf projizierte Zebrastreifen ermöglichen es, die Straße sicher zu überqueren.»
Wer will, kann natürlich sein Auto noch selber lenken. Zeiger und Skalen auf dem Armaturenbrett muss er dabei nicht mehr beobachten, Projektionssysteme spiegeln wichtige Fahrdaten in Augenhöhe auf die Frontscheibe. Einige Navigationsgeräte können das bereits.
Formten bislang die Bedürfnisse der Autos die Städte, ist jetzt zu sehen, wie die Städte beginnen, die Autos zu prägen. Vielleicht nicht so weit, wie in den Studien einiger Reutlinger Studenten aus dem Jahr 2009. Einige sahen voraus, dass die Zentren der Zukunft gar keine Straßen mehr haben, und machten aus Fahrzeugen „Laufzeuge“ – etwa ein Auto auf sechs Beinen, das nicht nur als Transportmittel, sondern auch als Raumerweiterung genutzt werden kann, indem es an die Wohnung andockt. Ein anderes, vierbeiniges Auto soll mit künstlichen Muskeln rennen und seine Energie von einer fliegenden Begleitdrohne beziehen, die Sonnenlicht in Elektrizität umwandelt. Der „Jetcar“ dagegen ist ein Elektroauto, das sich energiesparend auch von einem Lenkdrachen ziehen lassen kann. Wer darüber lacht, hat das Faltauto Hiriko noch nicht gesehen. Die Deutsche Bahn will mit diesem Elektromobil seine Carsharing-Flotte erweitern. Wenn dieser Zweisitzer fährt, ist er 2,5 Meter lang, beim Parken kann er auf zwei Meter zusammengeschoben werden. 2014 soll es in Berlin jedermann ausprobieren können.
Video: Das Faltauto Hiriko
Im selben Jahr endet eine Mobilitätsstudie der EU, die mit 4,3 Millionen Euro Forschungen rund um ein „fliegendes Stadtauto“ fördert. Maßgeblich beteiligt ist das Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. Das Vehikel soll «fliegen so einfach machen wie Auto fahren», sagt Institutsdirektor Heinrich Bülthoff. Ein Anlass für das Projekt war die Energieverschwendung von Millionen Autos, die täglich im Stau stehen. Diese Utopie wird sich aber mit dem vorhersehbaren Durchbruch der Elektromobilität wohl erledigt haben.
Kommen wird dagegen die intelligente Straße. Erfunden hat sie der Designer Daan Roosegarde, erste Strecken werden derzeit in den Niederlanden getestet. Dank Farben, die das Sonnenlicht speichern, leuchten die Straßenmarkierungen im Dunkeln. Geht die Temperatur gegen null Grad, erscheinen Schneeflocken-Symbole auf dem Belag – als Warnung vor Glatteis. Oder Hinweise auf Tempolimits oder Umleitungen. Windräder am Straßenrand erzeugen aus dem Fahrtwind der Autos Strom für eine Induktionsspur, auf der sich die Akkus von Elektrofahrzeugen während der Fahrt aufladen. Zum Beispiel von Bussen auf ihrer Tour über Land.
Trotz anhaltender Landflucht werden auch weiterhin Menschen in Kleinstädten und Dörfern leben. Die zum Einkaufen oder zur Arbeit fahren, Verwandte besuchen oder zur Schule müssen. Dieses Muster gilt für den Rest der industrialisierten Welt genauso. Hie New York und Los Angeles, da Montana und Wyoming. Hie Shanghai und Singapur, da das chinesische Hinterland. Hie die neuen, intelligenten Formen der Mobilität, da der ländliche Raum, wo sich nicht so rasch etwas verändern wird – außer dass die Bahn den Schienenverkehr weiter reduzieren wird und Busse keinen Fahrplan mehr haben, sondern flexibel angefordert werden können. Ärzte und andere Dienstleister werden regelmäßig über die Dörfer fahren, für Zustelldienste wird eine neue Blütezeit anbrechen.
Ich als Städter werde dann kein eigenes Auto mehr haben. Seit kurzem notiere ich in einem Fahrtenbuch den Zweck jeder Tour – und mögliche Alternativen. Es gibt immer eine. Ich stehe nicht mehr im Stau, sondern lese in der Bahn. Auch mit dem Rad bin ich meist schneller als mit dem Auto. Ein kleiner Anhänger eignet sich wunderbar für den Einkauf. Und mit dem Geld, das mich mein Auto kostet, selbst wenn ich es nicht benutze, kann ich auch mal ein Leihauto buchen. Einen Stromer. Vielleicht bald einen, den nicht ich fahre. Sondern der mich fährt.
Video: Intelligent Drive und Autonomes Fahren (Quelle: Daimler)
Video: Interview mit Stephan Rammler
Weiterführende Literatur:
(NG, Heft 9 / 2013, Seite(n) 112 bis 135)