Astronomen wiegen einen Stern mit einer „unmöglichen“ Technik

Das Hubble-Weltraumteleskop hat einen Stern mit einer Technik gewogen, die der berühmte Physiker Albert Einstein einst beschrieben hat. Allerdings sagte er auch, dass für die Menschheit „keine Hoffnung“ bestünde, sie je einsetzen zu können.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:34 MEZ
Einsteinring
Ein Bild des Hubble-Weltraumteleskops zeigt etwas, das man einen Einsteinring nennt. Dabei krümmt und vergrößert eine Galaxie das einfallende Licht einer entfernteren Galaxie, wie es von Einsteins Relativitätstheorie vorhergesagt wurde. Astronomen haben das Hubble nun benutzt, um zu sehen, wie das Licht eines Sterns von einem anderen gekrümmt wird. Der berühmte Physiker selbst hielt es für unmöglich, das entsprechende Experiment durchzuführen.
Foto von NASA, Esa

Wenn jemand Einstein widerlegen kann, dann ist es anscheinend das Hubble-Weltraumteleskop. Oder zumindest kann es ihm nachweisen, dass er unnötig pessimistisch war.

Vor Kurzem entdeckte das Hubble einen toten Stern in etwa 18 Lichtjahren Entfernung. Er krümmte das Licht eines weiter entfernten Sterns, der hinter ihm vorbeizuziehen schien. Einstein sagte diesen Effekt basierend auf seiner Relativitätstheorie voraus. Allerdings sagte er dann auch, dass es für die Menschheit „keine Hoffnung“ gäbe, ein solches Ereignis je zu sehen.

Natürlich schrieb er diese verdrießliche Äußerung fast 60 Jahre, bevor die Menschheit ein recht beeindruckendes Stück Hardware in den Erdorbit brachte.

Nun hat das Hubble das Spektakel endlich mit seinem eigenen Auge gesehen. Die Astronomen waren dadurch in der Lage, Hinweise aus dem gekrümmten Licht des Sterns zu ziehen und so auf die Masse des toten Sterns namens Stein2051B zu schließen. Das Ergebnis stimmt genau mit einer Vorhersage über die Masse des Sterns überein, die vor einem Jahrhundert getroffen wurde.

„Ich habe viele Jahre lang über dieses Problem nachgedacht. Wir waren uns nicht sicher, ob es uns gelingen würde. Aber es war definitiv einen Versuch wert“, sagt Kailash Sahu vom Space Telescope Science Institute. Er ist der Hauptautor eines Berichts, der im Fachmagazin „Science“ erschien und in dem die Beobachtungen beschrieben wurden.

EINE EINSTEIN‘SCHE UNMÖGLICHKEIT

Der Effekt der sich kreuzenden Sterne, den man Mikrolinseneffekt nennt, wurde zuvor bereits bei einem Stern beobachtet, der uns viel näher ist: unserer eigenen Sonne. Das berühmteste Ereignis dieser Art fand 1919 während einer totalen Sonnenfinsternis statt. Arthur Eddington maß die Positionen von Sternen, die sich am Rande der verdunkelten Sonne befanden. Er beobachtete, dass die Gravitation unseres eigenen Sterns das Licht der entfernten Sterne geringfügig verzerrte. Damit demonstrierte er, dass Einstein mit seiner Relativitätstheorie etwas Bedeutendem auf der Spur war.

Astronomen habe ähnliche Techniken verwendet, um Exoplaneten und Körper aus ansonsten unsichtbarer Dunkler Materie zu entdecken, die das Licht von Objekten krümmen, welche sich noch weiter hinter ihnen befinden. Selbst ganze Galaxien haben Wissenschaftler schon wie Linsen benutzt, um weit entfernte Sterne wieder und wieder in einer Supernova explodieren zu sehen.

Diese Illustration zeigt, wie die Gravitation eines weißen Zwergs den Raum krümmt und damit auch das Licht eines weit entfernten Sterns hinter ihm biegt. In der Mitte leuchtet hell der weiße Zwerg. Der linke obere Lichtpunkt markiert die tatsächliche Position des entfernteren Sterns (durchgezogene Linie bis zum Hubble-Teleskop). Der Lichtpunkt weiter rechts zeigt die scheinbare Position, die Hubble durch die Krümmung des Lichts beobachten konnte (gestrichelte Linie).
Foto von NASA, Esa

Bisher hatte allerdings noch niemand einen kleinen Stern gesehen, der das Licht eines anderen krümmte. Genau das ist das Szenario, welches Einstein 1936 in einer Abhandlung beschrieb, die er in „Science“ veröffentlichte. Darin äußerte er auch seine Vermutung, dass es fast unmöglich sei, so etwas zu beobachten.

Wie sich herausstellte, veröffentlichte Einstein diese Abhandlung nur, weil ein Freund ihn dazu überredete. „Vor einiger Zeit bekam ich Besuch von R. W. Mandl, der mich bat, das Ergebnis einer kleinen Rechnung zu veröffentlichen, die ich auf seine Bitte hin gemacht hatte“, schrieb er. „Dieses Schriftstück kommt seiner Bitte nach.“

KOSMISCHES GLÜHWÜRMCHEN

Um die richtige Sternenkonstellation zu finden, untersuchten Sahu und sein Team ungefähr 5.000 Sterne, die potenziell als Linsen fungieren könnten, bevor sie schließlich bei Stein2051B landeten. Bei diesem kosmischen Objekt handelt es sich um einen weißen Zwerg – die kleinen, verdichteten Überreste eines Sterns, der unserer eigenen Sonne einst ähnlich war.

Danach kam der schwierigere Teil. Die glückliche Ausrichtung von zwei Sternen ist eine Sache, aber sie dann tatsächlich auch beobachten zu können, ist eine ganz andere. Laut Sahus Beschreibung ist die Bewegung der Sterne am Himmel unfassbar winzig.

„Stellen Sie sich ein Glühwürmchen vor, das von einer Seite eines 25-Cent-Stücks auf die andere fliegt. Und diese Bewegung müssen Sie aus einer Entfernung von 2.400 km entdecken“, sagt er. „Außerdem befindet sich noch eine Glühbirne [der weiße Zwerg] neben dem Glühwürmchen. Und die winzige Bewegung des Glühwürmchens muss man unter dem strahlenden Leuchten der Glühbirne ausmachen.“

BELIEBT

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    Er hat sich darum beworben, das schärfste Auge der Menschheit am Himmel für einige Zeit benutzen zu dürfen. Nach der Genehmigung richtete er das Teleskop zwischen Oktober 2013 und 2015 insgesamt acht Mal auf das Sternenpaar aus.

    Und tatsächlich krümmte die Gravitation von Stein2051B das Licht des kosmischen Glühwürmchens. Basierend auf dieser Abweichung des Lichts konnte das Team die Masse des weißen Zwergs errechnen. Mit circa 68 Prozent der Masse unserer Sonne und etwa einem Prozent ihrer Breite entsprechen die Maße von Stein2051B exakt einer Theorie, die 1930 von Subrahmanyan Chandrasekhar aufgestellt wurde. Diese beschreibt die quantenmechanischen Interaktionen zwischen den Atomen im Kern eines Sterns.

    „Seine Theorie sagt voraus, dass der Radius eines weißen Zwergs in einem bestimmten Verhältnis zur zunehmenden Masse abnimmt, und unsere Massemessungen haben exakt das bestätigt!“, sagt Sahu.

    „Ob das eine Überraschung war? In gewisser Weise, ja, da die Messungen meist nicht exakt zu den Vorhersagen passen. Aber es ist schön zu wissen, dass die Theorie, mit der wir bisher gearbeitet haben, korrekt ist.“

    Die Ergebnisse des Hubble deuten auch darauf hin, dass Stein2051B anders als bisher angenommen wohl keinen Eisenkern hat. Ein solcher hätte vermuten lassen, dass der Stein so alt wie das Universum ist – oder vielleicht sogar noch älter. Mit anderen Worten: Der kleine weiße Zwerg ist so normal und langweilig, wie ein toter Stern nur sein kann, und das ist extrem aufregend für die Wissenschaftler.

    Nun, da Sahu und seinen Kollegen dieser tolle kosmische Trick gelungen ist, hoffen sie, dass die Methode auch bei der Vermessung anderer Sterne nützlich sein wird. Diese könnte zum Beispiel mit Hilfe des ESA-Satelliten Gaia vorgenommen werden, der sich aktuell die nächsten paar Milliarden Sterne ansieht, oder mit dem geplanten James-Webb-Weltraumteleskop der NASA.

    „Einstein wäre stolz“, äußert sich Terry Oswalt von der Embry-Riddle Aeronautical Universität in einer Mitteilung. „Eine seiner wichtigsten Vorhersagen hat einer strengen Beobachtungsprüfung standgehalten.“

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