Neue Raumzeit-Wellen offenbaren seltsame Schwarze Löcher

Die Schwarzen Löcher waren schwerer als erwartet und kollidierten vor über drei Milliarden Jahren miteinander. Die dadurch entstandenen Gravitationswellen fegten über die Erde hinweg.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:35 MEZ
Zwei Schwarze Löcher verschmelzen in der Weite des Kosmos
Zwei Schwarze Löcher verschmelzen in der Weite des Kosmos. Diese Illustration stellt das Ereignis dar, welches das jüngste Gravitationswellen-Signal ausgelöst hat.
Foto von Aurore Simonnet, Ligo, Cal Tech, Mit, Sonoma State

Es war einmal vor langer Zeit in einem weit, weit entfernten Sternhaufen ... als zwei überraschend schwere Schwarze Löcher miteinander verschmolzen und eine regelrechte Flut an Energie freisetzten, die das Gewebe der Raumzeit selbst verbog.

Jetzt haben Messinstrumente auf der Erde die sanften Schwingungen dieser entfernten kosmischen Katastrophe aufgefangen und damit zum dritten Mal in der Geschichte Gravitationswellen gemessen. Insgesamt öffnen die Messungen, die alle vom Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) gemacht wurden, ein neues Fenster zu unserem Kosmos.

Das Entscheidende dabei ist, dass die Wellen auch Informationen über ihre entlegenen Ursprünge mit sich tragen. Die Ergebnisse stellen einige Vorstellung darüber infrage, wie Schwarze Löcher entstehen, wo sie existieren und wie sie letztendlich in so gewaltsame und tödliche Tänze miteinander verwickelt werden.

„Das Universum enthält noch Geheimnisse“, sagt der Astrophysiker Daryl Haggard von der McGill Universität. „Wir dachten, dass wir wüssten, wie Schwarze Löcher entstehen. Und jetzt sehen wir, dass es da noch einiges an Raum für Entdeckungen gibt.“

CRASH DER SCHWARZEN LÖCHER

Das LIGO entdeckte die Wellen des jüngsten Zusammenstoßes von zwei Schwarzen Löchern am 4. Januar 2017 – etwa drei Milliarden Jahre, nachdem das Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Die Gravitationswellen zogen über die Erde hinweg und rüttelten kaum merklich an den identischen Aufbauten aus Lasern und Spiegeln der zwei Observatorien in Hanford, Washington und Livingston, Louisiana.

Die Wellen ließen die Erde schrumpfen und sich wieder ausdehnen – allerdings nur um einen Bruchteil der Breite eines Protons, also eines der Teilchen, aus denen ein Atomkern besteht. Offensichtlich ist es für Menschen unmöglich, so eine Veränderung wahrzunehmen. Die Detektoren des LIGO sind jedoch so empfindlich, das selbst solche winzigen Störungen seinen Laseraugen nicht entgehen.

Nachdem das LIGO-Team die Signale sorgfältig analysiert hat, konnte es feststellen, dass es sich um den Fingerabdruck einer katastrophalen Kollision von zwei Schwarzen Löchern handelte. Eines davon hatte eine Masse, die dem 30-fachen der Masse unserer Sonne entsprach. Das andere hatte deren 19-fache Masse.

Diese Schwarzen Löcher waren seit Äonen umeinander herumgetanzt und wurden langsam in die kosmische Todesspirale hineingezogen. Als sie sich einander annäherten, strahlten sie Energie in Form von Gravitationswellen ab. In dem Moment, da sie schließlich zusammenstießen und verschmolzen, setzten sie noch mehr Energie in Form dieser kosmischen Wellen frei.

Das Schwarze Loch, das aus dieser wilden kosmischen Spirale entstand, ist ein Bereich der gebogenen Raumzeit mit einer Masse, die dem 50-fachen unserer Sonne entspricht. Das Team hat seine Ergebnisse im Fachmagazin „Physical Review Letters“ veröffentlicht.

MERKWÜRDIG SCHWERE LÖCHER

LIGOs zwei erste Entdeckungen von Gravitationswellen im September und Dezember 2015 kamen ebenfalls durch den Zusammenstoß von Schwarzen Löchern zustande. In zwei der drei bisherigen Fälle waren die Schwarzen Löcher verblüffend schwer, gemessen an den Erwartungen der Astrophysiker.

Insgesamt bedeutet das für die Wissenschaftler, dass viele ihrer Annahmen über sogenannte Stellare Schwarze Löcher nicht so ganz stimmen.

Wenn massereiche Sterne in einer Supernova explodieren und sterben, bildet sich aus ihren Überresten ein Stellares Schwarzes Loch. Man könnte naiv annehmen, dass das entstehende Schwarze Loch größer ist, je größer der Stern war. So funktioniert Astrophysik aber nicht zwingend.

Je größer ein Stern ist, desto stürmischer ist er auch, und seine heftigen Sonnenwinde stoßen im Laufe des Sternenlebens Materie ins Weltall. Wenn der Stern schließlich stirbt, hat er einen großen Teil seiner Masse verloren und kollabiert zu einem vergleichsweise kleinen Schwarzen Loch.

Jahrzehntelang ging man aufgrund von Theorien und Beobachtungen davon aus, dass Stellare Schwarze Löcher eine Masse von ungefähr zehn Sonnen nicht übersteigen können, erzählt Steinn Sigurdsson von der Pennsylvania State University. Das LIGO offenbart jedoch mehrere Schwarze Löcher, deren Masse das vermutete Limit deutlich übersteigen – auch wenn sie um einiges weniger massereich als die Supermassiven Schwarzen Löcher im Zentrum von Galaxien sind.

„Vor unseren Entdeckungen waren wir nicht mal sicher, dass es diese Schwarzen Löcher wirklich gibt“, sagt Laura Cadonati von der Georgia Tech, die Mitglied des LIGO-Teams ist. Jetzt müssen Astrophysiker eine Erklärung dafür finden, wie diese sonderbaren Objekte entstehen.

„Wir müssen einen Weg finden, um ihre Masse zu erklären“, sagt Haggard. „Das war schon bei der ersten Entdeckung ein Dilemma. Schwarze Löcher mit der 30-fachen Masse der Sonne – wir hatten zwar keine Modelle, die das völlig ausschließen, aber es ist schon ein bisschen überraschend. Diese [neu entdeckten Schwarzen Löcher] sind einfach sehr schwer.“

Eine Erklärungsmöglichkeit wäre, dass die Elternsterne der Schwarzen Löcher größtenteils aus Wasserstoff und Helium bestanden. Diese Kombination erzeugt weniger heftige Sonnenwinde und führt damit auch zu weniger Masseverlust. Wenn solche Sterne sterben, kollabiert ein größerer Teil ihrer Masse zu einem Schwarzen Loch.

Diese Art von Sternen war einst in Kugelsternhaufen verbreitet – dichten Ansammlungen extrem alter Sterne, die um Galaxien wie unsere Milchstraße kreisen.

ZWEI ENTSTEHUNGSGESCHICHTEN

Weitere Erkenntnisse des LIGO untermauern die Vorstellung, dass Kugelsternhaufen eine Rolle bei der Bildung von Doppelten Schwarzen Löchern spielen könnten.

Aus den Signalen der Gravitationswellen konnte das LIGO-Team mehrere Merkmale der Schwarzen Löcher herleiten, die sie vor ihrem Verschmelzen aufwiesen. Dazu gehörten ihre Drehrichtung und die Neigung ihrer Achse. Basierend auf diesen Informationen, sagt Cadonati, mache es den Anschein, dass die Kollision innerhalb eines Kugelsternhaufens erfolgte.

Eine der Theorien zu den Ursprüngen von Doppelten Schwarzen Löchern beinhaltet ein Paar massereicher Doppelsterne, die sich umeinander drehen. Wenn diese Sterne sterben, führen die aus ihren entstehenden Schwarzen Löcher diesen Tanz fort und behalten dabei die Drehrichtung und ihren Neigungswinkel ungefähr bei.

Die jüngsten Daten des LIGO lassen allerdings darauf schließen, dass die Drehmomente der ehemaligen Schwarzen Löcher nicht so recht zueinanderpassen. Es ist möglich, dass sie sich innerhalb des Kugelsternhaufens in größerem Abstand zueinander gebildet haben. Als sie dann tiefer in den Haufen hineinwanderten, wurde sie schließlich in einer gemeinsamen Gravitationsspirale gefangen.

In diesem Fall ist ihr Schicksal das Ergebnis der Dynamik und des Chaos im Kern des Kugelsternhaufens, und nicht etwa das Resultat einer kleinen Ewigkeit, in der sie einander umkreisten. Diese Erklärung scheint zu den aktuellen Daten zu passen. Allerdings gebe es keinen Grund zu glauben, dass nur ein Szenario stimmt, so Sigurdsson.

„Persönlich denke ich, dass beides davon in den Sternhaufen und den Galaxien passiert, und dass die Sternhaufen vermutlich die massereichen Sternenpopulationen bedingen, die wir in großen Entfernungen sehen“, sagt Sigurdsson.

„Das beginnt langsam, uns etwas über die Populationen zu erzählen, wo sie herkommen. Das wird einen ganz schönen Disput bei dem Seminar geben, das ich diesen Sommer geben werde.“

Die Antworten werden sich aus weiteren LIGO-Messungen ergeben, von denen man einige in sehr naher Zukunft erwartet, sowie aus den Theorien der Astrophysiker, die sie so abwandeln werden, dass sie zu den neuen Beobachtungsdaten passen.

Haggard sagt, dass die LIGO-Daten schon jetzt einige Ideen zur Evolution von Sternen und Sternhaufen infrage stellen – und sogar ein paar Vorstellungen von dem mysteriösen Material, das man Dunkle Materie nennt. Aber Einsteins Relativitätstheorie hält sich wacker: Die LIGO-Daten stimmen mit ihren Vorhersagen überein.

„Die Astrophysik zur Entstehung [der Schwarzen Löcher] ist eine völlige Katastrophe“, sagt Haggard. „Aber die reine Physik ist in Ordnung.“

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