Verdampften die Opfer von Pompeji beim Vulkanausbruch?
Rückstände an den Knochen der Opfer deuten auf grausige Todesumstände hin. Einige Experten sind jedoch nicht überzeugt.
Der berüchtigte Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 verwüstete nicht nur die umliegende Landschaft, sondern auch die römischen Metropolen im Schatten des Vulkans. Nachdem große Mengen Asche auf Pompeji niedergeregnet waren und zu fatalen Gebäudeeinstürzen geführt hatten, raste ein pyroklastischer Strom den Hang hinab und begrub die Stadt unter sich.
Die Ausmaße des gewaltigen Ausbruchs an jenem Tag vor fast 2000 Jahren sind unter Wissenschaftlern unumstritten. Allerdings wird nach wie vor darüber debattiert, wie die meisten Opfer dieser Katastrophe starben.
Ein Team italienischer Spezialisten untersuchte kürzlich einige der grauenvollsten Todesfälle in Herculaneum – einer Nachbarstadt von Pompeji, die ebenfalls durch den Vulkanausbruch unterging –, bei denen die Köpfe der Opfer anscheinend explodiert waren. Die Forscher waren lange davon ausgegangen, dass die enorme Hitze die Hauptursache war: Die Temperaturen brachten die Flüssigkeiten im Gehirn und Gewebe der Opfer zum Kochen und Verdampfen. Die Studienergebnisse, die in „PLOS ONE“ erschienen, untermauern diese Theorie.
Allerdings gibt es auch Gegenstimmen. Die Archäologin Elżbieta Jaskulska der Universität Warschau, die an der Studie nicht beteiligt war, sagt, dass die Behauptung der Studie „allem widerspricht, was ich über Hitzeschäden am menschlichen Körper und Skeletten weiß“.
Tödliche Wolken
Pyroklastische Ströme sind ein Gemisch aus Asche, Lava und giftigen Gasen. Die bis zu 700 °C heißen Wolken rasen teils mit Geschwindigkeiten von 80 km/h durch die Landschaft. Eine spezielle Form dieser Ströme, eine sogenannte Surge (aus dem Englischen für „Welle“ oder „Brandung“), hat einen höheren Gasanteil.
Bei dem fatalen Ausbruch des Vesuv entstanden sowohl pyroklastische Ströme als auch Surges und hielten eine Reihe grausiger Todesszenarien für die panischen Opfer bereit. Umherfliegendes Geröll konnte Menschen verletzen und töten, während jene, die zu viel Asche oder vulkanische Gase einatmeten, daran ersticken konnten. Die extrem hohen Temperaturen konnten Menschen auch plötzlich zu Tode kochen.
Der Paläobiologe Pier Paolo Petrone des Universitätskrankenhauses Federico II in Neapel hat Jahrzehnte mit der Untersuchung der Opfer des Vesuvausbruchs zugebracht. Mehrere Studien, an denen er beteiligt war – darunter eine 2001 in „Nature“ veröffentlichte Arbeit und eine Studie, die 2010 in „PLOS ONE“ erschien –, deuteten darauf hin, dass Asche und Gase nicht die Hauptursache für die Todesfälle in der Region waren. Stattdessen argumentiert Petrone, dass die Hitze selbst den meisten Menschen zum Verhängnis wurde – ein schneller, schmerzloser Tod.
Gebrochene Knochen, kaputte DNA
Ein wichtiger Fakt ist dabei, dass die Auswirkungen der Hitze auf den menschlichen Körper sich in Pompeji und Herculaneum unterschieden. Pompeji befindet sich etwa zehn Kilometer vom Fuße des Vulkans entfernt und erlebte zunächst einen Geröllregen, der Häuser zum Einsturz brachte. Im Anschluss traf eine besonders gashaltige pyroklastische Surge die Stadt. Sie war für die meisten dortigen Todesfälle verantwortlich.
Die Funde der Archäologen zeigten, dass die meisten Leichname der Opfer dort größtenteils unversehrt waren. Anhand der Schäden an den Knochen und den diversen geschmolzenen Metallen kamen Petrone und seine Kollegen zu dem Schluss, dass viele der Menschen einem extremen Hitzeschock erlagen, als sie von einer maximal 300 °C heißen pyroklastischen Surge getroffen wurden.
In Herculaneum und dem nahegelegenen Oplontis spielten sich deutlich verstörendere Szenen ab. Die beiden Siedlungen befanden sich etwas näher am Krater des Vesuv. Die DNA der Opfer hatte sich den Forschern zufolge vollständig zersetzt, zahlreiche Knochen waren anscheinend durch die Hitze gebrochen und die Schädel machten den Eindruck, als wären sie regelrecht explodiert. Petrones Team kam daher zu dem Schluss, dass diese Opfer heißere pyroklastische Surges von 500 bis 600 °C erlebt hatten. Die enorm hohen Temperaturen brachten die Körperflüssigkeiten sofort zum Kochen – auch jene im Gehirn der Opfer.
Mehr Hitze, mehr Schäden
Die aktuelle Studie in „PLOS ONE“ liefert noch weitere Beweise für Petrones grausige Theorie. Die Forscher verweisen insbesondere auf einen dunklen, rötlichen Rückstand an den Knochen diverser Opfer von Herculaneum. Chemische Analysen zeigten, dass die Rückstände viel Eisen und Eisenoxide enthalten, die höchstwahrscheinlich aus dem Blut und anderen Körperflüssigkeiten der Opfer stammten.
Die eisenhaltigen Verbindungen könnten entstanden sein, als sich das Hämoglobin in den roten Blutkörperchen zersetzte. Petrone zufolge könnte das durchaus eine Folge solch hoher Temperaturen gewesen sein, die auch Knochen zum Brechen gebracht hätten. Außerdem hätten sie „das Gewebe an den Leichnamen der Opfer binnen zehn Minuten vollständig vaporisiert und die Schädel zum Explodieren gebracht“.
Die Körperhaltung vieler Opfer von Pompeji war zudem sehr gekrümmt, was darauf hindeutet, dass sich ihre Muskeln durch die Hitze zusammengezogen hatten. In Herculaneum wiesen einige Gliedmaßen der Opfer Muskelkontraktionen auf, andere wiederum nicht. Der Studie zufolge lässt das vermuten, dass die enorme Hitze einige Muskeln schneller zerstört hat, als sie sich zusammenziehen konnten.
Laut Jaskulska deuten einige unabhängige forensische Untersuchungen darauf hin, dass die Zerstörung von roten Blutkörperchen derartige Verfärbungen an Knochen hinterlassen kann. Wie ihre Beurteilung der ursprünglichen Studie zeigt, ist sie aber nicht davon überzeugt, dass der Fall damit erledigt ist.
Ihrer Einschätzung nach können rote Blutkörperchen auch zerstört werden, ohne dass Haut, Muskeln und Fett verdampfen. Zudem sei nicht geklärt, ob es in Herculaneum überhaupt zur Verdampfung von Gewebe kam.
Die Einäscherung in modernen Krematorien erfolgt beispielsweise bei ungefähr 1.000 °C, was mit jenen Temperaturen vergleichbar ist, die die Opfer von Herculaneum erlebten.
„Unter diesen Bedingungen verdampft das Gewebe nicht“, sagt Jaskulska. „Es verbrennt einfach.“
Schädelfrage: ungeklärt
Allerdings ist das nicht ihr einziges Problem mit der Studie: Sie zweifelt auch an der Behauptung, dass die unteren Extremitäten schneller verdampften als die oberen. Das erscheint ihr seltsam, da es an den Beinen viel mehr Gewebe gibt, das verdampfen könnte, als an den Armen. Wenn das Gewebe wirklich durch die plötzliche Hitze verschwand, würde Jaskulska zudem auch erwarten, dass die Knochen deutlich größere Schäden aufweisen.
Was die Schädel betrifft, so ist sie sich nicht mal sicher, ob sie überhaupt explodieren können. Einäscherungen zeigen, dass Schädel durch Hitzeeinwirkung Frakturen erhalten können. Allerdings explodieren sie nicht im eigentlichen Sinne, sodass Knochenstücke umherfliegen. Jaskulska findet es durchaus plausibel, dass die gesplitterten Schädel in Herculaneum einfach zerdrückt wurden.
„Jeder Archäologe wird Ihnen sagen, dass selbst intakte Schädel unter dem Gewicht schwerer Sedimente kollabieren.“
Jaskulska behauptet nicht, dass die Hitze keine Schäden hinterließ oder nicht tödlich war. Sie zweifelt lediglich daran, dass sie die Hauptursache für die Todesfälle in Herculaneum war. Selbst, wenn sich das Hämoglobin durch die Hitze zersetzte, könnten die pyroklastischen Surges diesen Schaden angerichtet haben, nachdem die Menschen bereits erstickt oder aus anderen Gründen gestorben waren.
Das Heil in der Flucht
Die Vulkanologin Janine Krippner von der Concord University in West Virginia erklärt, dass pyroklastische Ströme und Surges auch heutzutage nicht immer einen schnellen Tod garantieren. Ihre Auswirkungen hängen unter anderem davon ab, wie schnell und heiß die Ströme sind und wie das Verhältnis von Gas zu Asche aussieht. Unter gewissen Umständen kann man eine Begegnung mit diesem Phänomen sogar überleben, wenn auch mit schweren Verletzungen.
Allerdings sollte man es nicht darauf ankommen lassen und Krippner zufolge einem einfachen Rat folgen, um nicht wie die Opfer des Vesuv zu enden: „Wenn Sie eine graue Wolke auf sich zukommen sehen, laufen Sie.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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