Leben schenken kann tödlich sein
In den USA sterben besonders viele Frauen an schwangerschaftsbedingten Komplikationen. Stark betroffen sind schwarze Mütter. Dagegen könnte eine bessere Grundversorgung helfen – und einfach mal zuhören.

Es gibt Momente, in denen passen am besten Flipflops und Jogginghosen. Im Urlaub. Am Sonntagbeim Picknick im Park. Oder wenn man sich auf die Geburt seines zweiten Babys vorbereitet. Doch am Abend des 11. April 2016 entschied sich Kira Johnson (39) gegen bequeme Klamotten. Sie saß vor ihrem Schlafzimmerspiegel. „Schatz, ich möchte mich für Langston richtig hübsch machen“, sagte sie zu ihrem Mann, Charles Johnson IV. Am folgenden Tag würden sie sich auf den Weg ins Cedars-Sinai Medical Center von Los Angeles machen, um dort ihren zweiten Sohn zur Welt zu bringen.
Baby Nummer eins, 2014 per Notfall-Kaiserschnitt geboren, heißt Charles Spurgeon Johnson V, benannt nach seinem Ururgroßvater, dem renommierten Soziologen und ersten schwarzen Präsidenten der Fisk University in Nashville, Tennessee. Sein kleiner Bruder sollte Langston heißen, wie der legendäre Dichter Langston Hughes der Harlem Renaissance. Kira packte Schmuck und ein Kleid ein, um ihn mit Stil nach Hause bringen zu können. Auch Charles beschloss, sich elegant zu kleiden. „Man weiß nie, wann man aussehen sollte, als hätte man ein bisschen Verstand und Geld“, dachte er sich und tauschte Basketball-Shorts und T-Shirt gegen ein schickes geknöpftes Hemd, eine Anzughose und Lederschuhe. Die Kleidung war so bewusst gewählt wie die Klinik, das Cedars-Sinai, das zu den Spitzenkrankenhäusern der USA zählt. Die Johnsons wollten alles richtig machen.
Langston Emile Johnson wurde am 12. April 2016 um 14.33 Uhr geboren. Der geplante Kaiserschnitt schien routinemäßig zu verlaufen. Kira konnte gleich nach der Geburt stillen. Sie half noch dabei, ihrem 18 Monate alten Sohn seinen kleinen Bruder vorzustellen, dann schlief sie ein.
Charles saß am Bett seiner Frau, als er Blut in ihrem Katheter bemerkte. Kurz nach 16 Uhr informierte er eine Krankenschwester darüber. Der Katheter wurde um 17.30 Uhr gewechselt, Ultraschall- und Blutuntersuchungen folgten; der Ultraschall zeigte Hinweise auf innere Blutungen. Die Tests wurden wiederholt, eine Bluttransfusion wurde durchgeführt und um 18.44 Uhr eine Computertomografie (CT) angeordnet.
Das alles geht aus den Details der Beschwerde hervor, die Charles für seine spätere Klage gegen das Krankenhaus zusammengetragen hat.
Auf die Computertomografie wartete Kira vier Stunden später immer noch. „Sie war blass und schwach und zitterte unkontrollierbar“, sagt Charles. Ihr Bauch habe bei jeder Berührung geschmerzt. Immer wieder habe er das Personal gefragt, was getan werde, um die Ursache der Blutung festzustellen.
Aus der Klageschrift geht hervor, dass die Computertomografie nie durchgeführt wurde. Kira wurde gegen 0.30 Uhr, zehn Stunden nach dem Kaiserschnitt, in den OP-Saal gebracht. Ihr Bauchraum war voller Blut. „Liebling, ich habe Angst“, waren ihre letzten Worte an Charles. Sie erschütterten ihn: Angst kannte Kira sonst nicht. Sie hatte in China gelebt, sprach fünf Sprachen, hatte einen Pilotenschein und war schon Rennwagen gefahren. Charles blieb nur, seiner Frau zu versichern: Alles wird gut.
Kira starb am 13. April um 2.22 Uhr.

Im Autopsiebericht steht, dass Kira an inneren Blutungen infolge des Kaiserschnitts gestorben ist. Ein Vorwurf der Rassendiskriminierung kommt darin nicht vor. Die Klage soll im Januar verhandelt werden. Im Oktober befand die kalifornische Ärztekammer, dass der für Kira verantwortliche Arzt, Arjang Naim, grob fahrlässig gehandelt habe. Sie verhängte eine vierjährige Bewährung für den Arzt, so lange steht er unter Beobachtung und darf sich keinen Fehler mehr leisten.
So schockierend Kiras Tod ist – er ist kein Einzelfall. Obwohl die Medizin heute auf manchen Gebieten Wunder vollbringt, bleibt die Müttersterblichkeit in den USA hartnäckig hoch: Sie liegt bei ungefähr 14 Todesfällen bei 100 000 Lebendgeburten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat festgestellt, dass es unter 46 Industrieländern nur zwei gibt, in denen sich die Müttersterblichkeitsrate zwischen 1990 und 2015 sogar erhöht hat: Serbien und die USA.
Und zumindest in den USA gibt es weitere beunruhigende Werte: Der amerikanischen Behörde für Gesundheitsvorsorge (CDC) zufolge haben afroamerikanische Frauen ein dreimal höheres Risiko als weiße Frauen, an schwangerschaftsbedingten Ursachen zu sterben. Und: Mehr als 60 Prozent der Tode sind vermeidbar.

Alle Frauen sind den gleichen gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt, die um eine Schwangerschaft herum auftreten und zum Tod führen können: schweren Nachgeburtsblutungen und Blutstürzen etwa; einer Sepsis infolge einer Infektion; einer Präeklampsie, die auch Schwangerschaftsvergiftung genannt wird und den Blutdruck lebensgefährlich erhöht. Aber warum ist die Müttersterblichkeitsrate unter schwarzen US-Amerikanerinnen besonders hoch?
Forscher sagen, dass der Stress, dem ethnische Minderheiten, darunter Afro- und Hispanoamerikaner und indigene Völker, durch Diskriminierung ausgeliefert sind, sich negativ auf die Gesundheit auswirkt. Und zwar unabhängig von ihrem ökonomischen oder gesellschaftlichen Status.
Die Professorin für öffentliche Gesundheit an der University of Michigan, Arline Geronimus, hat für dieses Phänomen den Begriff Weathering („Verwittern“) geprägt: Demnach verschlechtert sich der Gesundheitszustand von Afroamerikanern aufgrund der kumulativen Effekte von Rassismus und Diskriminierung im Lebensverlauf schneller als der von Weißen. Dass könnte ein Teil der Erklärung sein, warum die Sterblichkeit selbst unter schwarzen Müttern mit höchstem Bildungsgrad höher ist als unter weißen Frauen mit geringster Bildung.
Valerie Montgomery Rice, die Präsidentin und Dekanin der Morehouse School of Medicine in Atlanta, Georgia, weist darauf hin, dass Diskriminierung konkrete Folgen im Kreißsaal hat. Etwa durch medizinisches Fachpersonal, das schwarze Mütter unbewusst anders behandelt als weiße. Während ihrer Ausbildung hat Rice selbst miterlebt, dass afroamerikanischen Frauen eine Epiduralanästhesie und andere Schmerzbehandlungen vorenthalten wurden. „Es gibt Leute, die glauben, schwarze Frauen empfänden Schmerz anders, weil diese eine höhere Muskelmasse hätten und die Nervenfasern nicht so starke Impulse abfeuerten. Nach dem Motto: Die kann das Baby auch so herauspressen“, sagt Montgomery Rice.
Doch das Probleme ist nicht auf Minderheiten begrenzt: Durch bessere und kontinuierliche Betreuung vor und während der Schwangerschaft würden in den USA weniger Mütter aller Hautfarben sterben – doch die ist nicht so einfach zu haben. Geburtshelfer und Hebammen verlangen oft mehr als 1500 Dollar für ihre Dienste, zu teuer für viele Mütter. In Kalifornien wurden mit einigen Krankenhäusern mittlerweile Routineprozeduren für Blutstürze und Präeklampsien vereinbart; das hat bereits geholfen, die Müttersterblichkeit zu senken. Selbst einfache Maßnahmen – wie den Blutverlust zu messen – werden in Kliniken nicht selten ignoriert oder hinausgezögert.
Oder wie Charles Johnson es ausdrückt: Es ist wichtig, den Müttern und Familien einfach richtig zuzuhören.
Johnson zieht seine kleinen Söhne nun allein groß. Er verbringt einen Großteil seiner Zeit damit, Gesundheitsbehörden, Lobbygruppen und sogar Kongressabgeordneten Kiras Geschichte zu erzählen. „Ich möchte den Menschen klarmachen, dass diese Frauen, die wir verlieren, mehr sind als eine Statistik“, sagt er. „Es sind Mütter, Töchter, Schwestern, Freundinnen. Sie hinterlassen diese kostbaren Kinder.“ Keine Statistik könne ausdrücken, wie das ist, „einem Anderthalbjährigen zu sagen, dass Mami nicht mehr nach Hause kommt. Oder einem Zweijährigen, wie wunderbar diese Mutter war, die er nie kennenlernen wird.“
Dieser Text wurde gekürzt und bearbeitet. Lesen Sie die ganze Reportage in Heft 1/2019 des National Geographic-Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!
