„Frauen haben da oben schon alles gemacht“

Samantha Cristoforetti (42) ist momentan die einzige europäische Astronautin. Ein Gespräch über Erfolge, Frust und Träume.

Von Wiebke Harms
Veröffentlicht am 29. Okt. 2019, 15:04 MEZ
Samantha Cristoforetti
Bestens vorbereitet: Samantha Cristoforetti ist ausgebildete Ingenieurin und Kampfpilotin. Hier sieht man sie an Bord der Internationalen Raumstation. Aufgewachsen ist Cristoforetti in einem italienischen Bergdorf, wo ihre Eltern ein Hotel betrieben.
Foto von Esa, NASA

Frau Cristoforetti, Sie wollten schon als Kind Astronautin werden. War das ein gängiger Kindertraum in dem italienischen Dorf, in dem Sie aufgewachsen sind?

Nein, zumindest nicht in meiner Erinnerung. Aber ich habe nie Probleme damit gehabt, dass ich anders war. Ich war ein selbstbewusstes Kind. Mich haben die Sterne einfach mehr fasziniert als andere.

Ihre Karriere war perfekt geplant: zuerst das Ingenieurstudium, dann die Ausbildung zur Pilotin bei der Luftwaffe. Sie haben Russisch gelernt, was auf der ISS wichtig ist. Waren im Auswahlverfahren bei der Europäischen Raumfahrtorganisation Esa alle so gut vorbereitet?

Ich denke ja. Aber von den sechs, die ins Astronautenprogramm aufgenommen wurden, konnte nur ich Russisch.

Sie haben sich gegen 8500 andere Bewerberinnen und Bewerber durchgesetzt. Droht man bei so einem Erfolg abzuheben?

Die Gefahr ist schon da. Außenstehende halten Astronauten oft für brillant. Aber in der Gruppe fühlen wir uns alle gleich und wissen: Wir sind nichts Besonderes.

Es gibt eine Barbie, die Ihnen nachempfunden ist. Wie fühlt es sich an, ein Vorbild zu sein?

Das ist eine Nebenwirkung meiner Arbeit: Ich versuche, es mit Abstand zu erleben. Mir werden immer mal Projekte angeboten, die mich als Vorbild präsentieren. Mein Hauptziel im Leben ist immer gewesen, in den Weltraum zu fliegen, und ich freue mich, wenn ich andere für die Raumfahrt begeistern kann. Aber letztlich muss jeder seinen Werdegang selbst gestalten.

Sie sind 2014 als Mitglied der „Futura“-Mission ins Weltall geflogen. In Ihrem Buch schreiben Sie über die Vorbereitung – unter anderem darüber, dass es zuerst keine passenden Handschuhe für Sie gab.

Ja, die Anzüge für die Außenbordeinsätze werden für jeden aus Einzelteilen verschiedener Größen zusammengebastelt und angepasst.

Lag es an den Handschuhen, die nicht für Frauen gemacht sind?

Im Gegenteil! Es gab viele Frauenhandschuhe. Aber die waren zu eng für mich. Die meisten Frauen haben schöne schmale Finger. Ich leider nicht. Die meisten Männerhandschuhe wiederum waren zu groß. Am Ende hat man für mich Handschuhe maßgeschneidert.

Ihr deutscher Kollege Alexander Gerst ist schon wenige Jahre nach seiner ersten Mission wieder ins All geflogen. Waren Sie neidisch auf ihn?

Zwischen den Mitgliedsstaaten der Esa gibt es eine Rotation, und die Länder, die größere Beiträge zahlen, kommen öfter dran. Es gibt also keinen Grund, das persönlich zu nehmen.

Spielen da oben eigentlich die Nationalitäten noch eine Rolle?

Bei der Arbeit und im Zusammenleben nicht. Wenn man wie ich Italienerin ist, steht wahrscheinlich später ein Gespräch mit dem italienischen Ministerpräsidenten auf dem Plan, und wenn man deutsch ist, dann mit der Bundeskanzlerin.

In diesem Frühjahr wollte die Nasa zum ersten Mal ein rein weibliches Team zu einem Außenbordeinsatz schicken. Doch der „All Female Spacewalk“ musste am Ende abgesagt werden, weil ein Raumanzug fehlte ...

Das ist ein Missverständnis. Die Nasa hatte wie immer einen Weltraumspaziergang geplant. Dass zwei Frauen den Einsatz übernehmen sollten, war reiner Zufall. Der Anlass war nicht: Nun machen wir den ersten weiblichen Weltraumspaziergang. An dem Tag musste einfach etwas erledigt werden. Während der Vorbereitung hat sich gezeigt, dass die Amerikanerin Anne McClain für den Einsatz einen Raumanzug gebraucht hätte, der nicht unmittelbar verfügbar war. Darum hat sie selbst entschieden, mit einem Kollegen zu tauschen. So ist das eigentliche Leben auf einer Raumstation. Man ändert ständig die Pläne. Ein Riesending wurde erst in der Presse daraus gemacht, weil es hieß, der erste weiblich besetzte Weltraumspaziergang sei gescheitert.

Also geht es im All immer nur um die Sache?

Das zeigt doch, dass wir aus dem Kampf der Geschlechter rausgewachsen sind – zumindest in unserer technischen Welt. Ob ein Mann oder eine Frau den Außeneinsatz übernimmt, ist Nebensache.

Trotzdem waren bislang erst 60 von gut 550 Menschen im All weiblich. Wie lange wird es dauern, bis Frauen im All zur Normalität werden?

Sie sind schon Normalität, aber die Leute wollen das nicht wahrnehmen. Wenn man in die Geschichte zurückschaut, dann ist es klar, dass es Unterschiede gab. Aber vom heutigen Standpunkt aus betrachtet haben Frauen im All wirklich schon alles gemacht. Alles, alles, alles. Natürlich waren sie nicht auf dem Mond – aber da reden wir von den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren. Heute gibt es da oben nichts mehr zu erobern für Frauen.

Sie haben 199 Tage im All verbracht. So lange wie keine andere Frau vor Ihnen. Bedeutet Ihnen das etwas?

Nein. Ich war vier Tage länger oben als meine Vorgängerin – aber das ist reiner Zufall und nicht mein Verdienst. Das ist nicht so, als hätte ich wie eine Sportlerin einen Rekord aufgestellt.

Wann starten Sie zu Ihrer nächsten Raumfahrtmission?

Konkrete Pläne gibt es nicht. Es wird bestimmt noch ein paar Jahre dauern. Aber hoffentlich nicht mehr als drei oder vier.

Wie sähe die perfekte Mission für Sie aus?

Mein großer Traum bleibt, einen Weltraumspaziergang zu machen. 2014 hat das leider nicht geklappt. Vielleicht ja beim nächsten Mal.

Können Sie das forcieren?

Das ist schwer vorhersehbar. Wenn ein Spaziergang geplant ist, heißt das nicht unbedingt, dass er auch stattfinden wird. Ein Frachtschi mit wichtigen Teilen für den Spaziergang kann zu spät kommen. Prioritäten können sich ändern, oder es wird aus anderen Gründen umgeplant: Etwas auf der Raumstation geht kaputt und muss zuerst repariert werden. Die eigenen Wünsche spielen keine Rolle.

Wie verhindern Sie, dass deswegen Frust aufkommt?

Na ja, der kommt auf – das muss man dann wegstecken. Die Erwartungen, die man vorher hat, beeinflussen natürlich, wie man die Mission erlebt. Aber im All gibt es wichtigere Sachen als deine eigenen Ambitionen. Egozentriker, ob Mann oder Frau, würden niemals für das Team ausgewählt.

Das letzte Auswahlverfahren der Esa ist jetzt zehn Jahre her. Wann findet das nächste statt?

Ich denke, spätestens in drei Jahren.

Ist es für Sie von Nachteil, wenn nun eine neue Generation nachkommt?

Nein, um Gottes willen! Es ist an der Zeit. Wir sind ja nicht mehr die Jüngsten. Ich stelle mir das als sehr schön vor, wenn junge Leute dabei sind. Die bringen einfach einen anderen Enthusiasmus und überdies auch einen anderen Blick mit – das ist sogar sehr wichtig. Ich freue mich darauf.

 

Das Interview stammt aus Heft 11/2019 des National Geographic-Magazins: "Frauen. Warum die Zukunft weiblich ist!".

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